GEO.de: Sind Sie so sportlich oder wie kamen Sie auf die Idee, allein bis an die Wolga zu radeln?
Christoph D. Brumme: Mit Anfang 40 habe ich mir gedacht: Ich muss mal wieder Sport machen. Dann hat mich ein Freund inspiriert. Eigentlich wollte ich zu Fuß zu laufen, aber mit dem Rad ist man flexibler und kann mal vom Weg abweichen.
Und wie fühlte sich der neue Sport an?
Die ersten drei bis vier Tagen in Polen hatte ich sehr, sehr starke Schmerzen. Aber dann einige Tage später merkte ich schnell, dass ich am Schreibtisch daheim mehr Schmerzen hatte als unterwegs. Auf der ersten Etappe fuhr ich auf einem Kunststoffsattel, das war keine gute Idee, auf der zweiten mit Ledersattel, der war weitaus besser. Ich habe gelernt: Gerade bei so langen Touren muss man sich entscheiden, was man mitnimmt.
Was hat sich als unersetzbar herausgestellt?
'Nehme ich ein Zelt mit?' Diese Frage hat mich einige Wochen beschäftigt. Ich war mir nicht sicher, ob das vom Gewicht richtig und gut ist, ob es vielleicht reicht, nur ein Moskitonetz mitzunehmen oder nur eine Plane. Dann fand ich ein Zelt, eine Mischung aus Iglu und Moskitonetz, da kann man von allen Seiten rausgucken. Ich war froh, es zu haben. Unverzichtbar war der Helm, nicht unbedingt aus Sicherheitsgründen: Als Detail für mein Kostüm brachte es mir viele Sympathien.
Haben Sie sich manchmal einsam gefühlt?
An einem Tag war ein Wetter, an dem man eigentlich in einer warmen Wohnstube hätte sitzen müssen mit Pflaumenkuchen. Ich fuhr alleine durch die Ukraine an den Fenstern vorbei und suchte einen Wald, um ein Zelt aufzuschlagen. Das fühlte sich seltsam an. Unterwegs habe ich mir Vorträge gehalten und manchmal gesungen. Nach der Mittagspause habe ich mich manchmal richtig gefreut, wieder alleine zu sein und meine Geschichte weiter zu spinnen. Das ist ein wenig wie bei den Eremiten im Himalaya, die nur Gräser kauen und schweigen – wunderschön. Die Einsamkeit war wirklich kein Problem für mich.
Wollten Sie mal aufgeben?
Ich halte mich für einen willensschwachen Menschen, aber das Fahrradfahren entwickelt ein Sog. Man merkt schnell: Es ist keine Lösung stehen zu bleiben. Und es hat auch wenig Zweck zurückzufahren. Es ist schon ein Kampf um die nächsten Meter, gegen die Eintönigkeit. Überrascht hat mich unter anderem die Ukraine. Ich hatte das Land für flach gehalten, aber da ist es weitgehend hügelig, 200 Meter hoch, wieder runter und so weiter.
Wie sind die Straßen? Haben Sie viele Schlaglöcher durchradelt?
Ich hatte mir eigentlich aneinander gelegte Betonplatten vorgestellt. Zu meiner Überraschung habe ich festgestellt, dass es ganz normale asphaltierte Straßen waren. Die Straßen waren viel breiter als bei uns, etwa 30 bis 40 Meter. Das sind riesige Alleen, auf der jede Stunde einmal ein Auto fährt.
Sie haben unterwegs mehrere Bushaltehäuschen entdeckt. Wissen Sie, was es damit auf sich hat?
Es scheint eine alte Tradition zu sein. Rund eine Woche lang braucht man, um die Häuschen zu dekorieren, angeblich ist die Gestaltung aus der byzantinischen Kirchenkunst inspiriert. Das Nette ist: Auch neue Bushäuschen werden verziert. Früher waren es eher Motive des Sozialismus, heute werden auch andere Motive geklebt, Blumen etwa. Interessant ist, dass den Leuten vor Ort gar nicht bewusst war, dass die Bushaltestellen etwas Besonderes sind. Ich wurde mehrmals gefragt: 'Sind die Bushaltestellen in Deutschland nicht so?'
Der Schriftsteller Christoph D. Brumme hat über seine Tour ein literarisches Fahrradreisebuch (Dittrich Verlag ) geschrieben. Humorvoll beschreibt er in "Auf einem blauen Elefanten" wie sich beispielsweise sein Körper durch die ungewohnte Belastung verändert. Er erzählt, welche Menschen er unterwegs getroffen hat und mit welch fast beschämender Gastfreundschaft er überall empfangen wurde.