Hintergründe und Trailer gibt es auf der offiziellen Webseite von "Nobody's River" zu sehen
Der Amur ist der drittlängste frei fließende Fluss der Welt. Von seiner Quelle in der Mongolei bis zur russischen Pazifikküste überwindet er 4000 Kilometer. Nicht ein Staudamm, nicht ein menschliches Hindernis stört seinen Lauf. Genau so etwas suchte Amber Valenti nach dem Abschluss ihres Studiums. Wilde Natur, ein Abenteuer und am besten mit ihrem Kayak. Schnell hatte sie ihre Freundinnen Becca und Sabra davon überzeugt mitzukommen, schlussendlich kam noch die Fotografin Krystel dazu. Nach zwei Jahren Vorbereitung konnte es losgehen. Im Interview erzählt Amber, warum ein Schicksalsschlag die Reise nachhaltig verändert hat und wie der Dokumentarfilm "Nobody's River" entstanden ist - einer der Publikumslieblinge der diesjährigen "European Outdoor Film Tour".
GEO.de: Wo und wie habt ihr Euch kennengelernt?
Amber: Becca habe ich getroffen, als ich Rafting-Guide in Nord-Kalifornien war. Sie hat dort ebenfalls Touren geführt und irgendwann haben wir uns dann zusammengetan. Sabra habe ich dann an der Uni kennengelernt. Wir haben schnell gemerkt, dass wir beide Abenteuer mögen, und haben ein paar Ausflüge zusammen unternommen. Krystel war die Einzige, die ich vorher noch nicht wirklich gut kannte. Wir drei waren auf der Suche nach einer Fotografin, die uns auf dem Trip zum Amur begleiten könnte, als mich ein Freund anrief und sagte: "Ich glaube Krystel wäre die richtige für Euch." Sie kam dann zu Besuch und wir haben viel über das Projekt geredet. Ich habe dann allerdings noch ihre vorherigen Auftraggeber angerufen, um sicherzugehen, dass sie wirklich die Richtige für uns ist. Und dann waren wir zu viert.
Wie bist Du zum Kayaking gekommen?
Amber: Ich bin in Idaho, dem "Weiß-Wasser-Staat", groß geworden. Da gibt es eine Menge Flüsse und ich war mein ganzes Leben lang von Wasser umgeben. Als ich dann auf dem College war, habe ich mit Kayaking angefangen. Ich liebe es einfach, Orte und Landschaften paddelnd zu erkunden. Es gibt mir eine ganz andere Sicht auf die Dinge.
Haben die anderen drei ein ähnliches Kayaking-Level?
Amber: Nein, Becca und ich sind ungefähr auf dem gleichen Level, Sabra hatte etwas weniger Erfahrung und Krystel war vor unserem Trip nur ein paar Mal auf dem Wasser. Der Amur ist allerdings nicht wirklich schwierig, die meiste Zeit ist das Wasser ruhig und es gibt kaum Stromschnellen. Wir wollten unbedingt eine Fotografin und eine Biologin mit im Team haben und deswegen waren wir auch willens mit den verschiedenen Erfahrungswerten zu arbeiten. Wenn anspruchsvollere Abschnitte kamen, haben Becca und ich die Gruppe geleitet.
Wie seid Ihr auf die Idee gekommen ausgerechnet den Amur zu paddeln?
Amber: Während ich meine Masterarbeit schrieb, habe ich mein Leben in der Natur so vermisst. Ich saß endlose Stunden in Bibliotheken und begann Tagträume zu haben: Wo auf der Welt kann ich noch frei sein? Das waren für mich ganz klar frei fließende Flüsse – ohne Staudämme oder andere Restriktionen. Ich begann also, nach diesen Flüssen zu schauen. Ich kannte viele, aber vom Amur hatte ich noch nie etwas gehört. Allein das machte mich neugierig. Als ich dann sah, wo er verläuft, war es eigentlich schon entschieden. Es ist nicht nur der Fluss, der wild ist, sondern auch die Natur, die ihn umgibt. Es gibt Leoparden, Tiger und eine einzigartige Flora und Fauna. Desto mehr ich über diesen Fluss las, umso dringender wurde mein Wunsch ihn zu erkunden.
Welche Idee war zuerst da, der Film oder der Amur?
Amber: Ich wollte nie einen Film machen. Am Anfang stand immer die Idee, diesen Fluss zu paddeln. Mein damaliger Freund war allerdings in der Filmindustrie tätig und sagte immerzu: "Du musst daraus einen Film machen!" Ich dachte dann darüber nach, vielleicht den Fluss und das Leben dort zu filmen. Seine Reaktion darauf war: "Das wird ein langweiliger Film, denn die Geschichte seid ihr!" Und so kam es dann auch.
Wie viel Zeit ist vergangen zwischen der Idee und der eigentlichen Reise?
Amber: Zwei Jahre. Ursprünglich dachten wir, dass ein Jahr Vorlaufzeit ausreichen würde und von unserer Fitness her wäre das auch kein Problem gewesen. Es waren eher die äußeren Umstände, die den ganzen Trip immer wieder verzögert haben. Einer unserer Hauptsponsoren ist spontan abgesprungen und der ganze Papierkram war einfach die Hölle.
Was war die größte Herausforderung während der Vorbereitungsphase?
Amber: Besonders in Russland war man nicht sehr begeistert von unserer Idee. Es gab Schmiergeldforderungen, Genehmigungen wurden nicht erteilt und generell war es sehr schwierig Informationen zu der Infrastruktur dort zu bekommen, alternative Routen oder Ansprechpartner vor Ort zu finden. Die Menschen insbesondere an der chinesisch-russischen Grenze leben sehr angepasst, denn sie haben oft genug die Erfahrung gemacht, dass wenn sie das nicht tun, die Regierung ihre Wege finden wird, sie dafür zu bestrafen. Wir hatten also kaum Möglichkeiten uns aus der Ferne zu informieren oder zuverlässige Ansprechpartner zu finden, die uns vorab auf mögliche Gefahren oder Wissenswertes hätten hinweisen können.
Wie habt ihr die Reise finanziert?
Amber: Es gab zwei Hauptquellen: Crowdfunding und Sponsoren. Wir haben über 30.000 Dollar allein über Crowdfunding eingenommen.
Zach, der Lebensgefährte von Becca ist ein paar Wochen vor Eurer Reise gestorben. Stand damit die Reise zur Debatte?
Amber: Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass wir nicht fahren werden. Man weiß einfach nicht, wie man in so einer Situation reagieren soll. Zach war unser aller Kumpel und wir waren einfach geschockt. Es war klar, dass wir nur zu viert fahren würden, alles andere hätte sich nicht richtig angefühlt. Zu unserer aller Überraschung wollte Becca zum Amur und dann sind wir natürlich los. Zachs Tod hat die Reise verändert. Alles hatte mehr Intensität, die schönen Momente und die schlechten. Ich hatte während der Tour die besten und die schlimmsten Tage meines Lebens.
Wie war es nach zwei Jahren Planung endlich am Ufer des Amur zu stehen?
Amber: Ich glaube, es gibt Dinge im Leben für die man einfach bestimmt ist. Dieses Erlebnis zählt für mich ganz persönlich dazu. Am Ufer zu stehen, fühlte sich also an, wie die Erfüllung dieser Bestimmung.
Einmal vor Ort wart ihr immer wieder auf Hilfe angewiesen, wie hat die Interaktion mit der lokalen Bevölkerung funktioniert?
Amber: Auf dem Weg zum Flussufer hatten wir ein paar Guides, mit denen wir uns super verstanden haben – wenn auch nicht sprachlich. Danach kam erst mal Wildnis. Die Guides wohnten in einem der ersten Dörfer, die wir nach zwei Wochen am Ufer entdeckten. Dort haben wir sie wiedergetroffen und das war toll. Wir haben nicht nur sie wiedergesehen, sondern konnten auch an ihrer Kultur teilhaben. Ein Erlebnis, dass wir ohne sie sicherlich so nicht gehabt hätten. Wir mussten allerdings in Begleitung eines Übersetzers reisen, das war eine Auflage, die wir von den Behörden bekommen hatten. Er ist die komplette mongolische Strecke mit uns gepaddelt, war aber auch ein Glücksgriff.
Wie hat sich der Fluss verändert, als ihr in Russland angekommen seid?
Amber: Völlig. Am Ufer standen Kräne und wir sahen sehr viel Industrie. Leider wird alles in den Fluss geleitet: Benzin, giftige Substanzen und industrielle Abfälle, sodass wir versucht haben, so wenig Kontakt wie möglich mit dem Wasser zu haben. Der Amur wurde auf russischer Seite zudem sehr viel mächtiger und unüberschaubarer. Er hat uns immer wieder gezeigt, wie klein wir Menschen wirklich sind.
Vier Menschen über so einen langen Zeitraum beisammen, wie hat das funktioniert?
Amber: Wir waren über 60 Tage zusammen und hatten natürlich unsere Launen, Diskussionen und Dispute aber in unserem Inneren waren wir immer miteinander verbunden und haben uns zu jeder Zeit respektiert. Nur so war es dann auch möglich die Launen der anderen nicht persönlich zu nehmen. Durch Zachs Tod hatten wir sicherlich öfter schlechte Stimmung, als das sonst der Fall gewesen wäre. Dennoch, es war die perfekte Gruppe für diesen Trip.
Ihr seid nicht den ganzen Fluss gepaddelt, wie kam es dazu?
Amber: Wir haben tatsächlich immer wieder Stücke ausgelassen. Das lag allerdings an den Behörden. Um über die Grenze zu kommen, mussten wir an Land. Der erste russische Abschnitt des Amur ist für alle gesperrt, denn hier ist Militärübungsgelände. Das waren alles Dinge, die wir vorher nicht wissen konnten. Und dann kam der Tag, an dem wir abgebrochen haben.
Warum
Amber: So genau kann ich das gar nicht sagen. Ich hatte einfach ein tiefes inneres Gefühl, das wir aufhören sollten. Zum einen, weil der Fluss und das Wetter immer unberechenbarer wurden und zum anderen, weil ich es irgendwie spürte. Wir haben dann Tage lang diskutiert und uns im Endeffekt dafür entschieden. Einen Tag nachdem wir abgeflogen sind, war die Erklärung überall in den Nachrichten. Eine Jahrhundertflut hat den Amur über die Ufer treten lassen, viele Orte, an denen wir gecampt hatten oder Dörfer, die wir besucht hatten, gab es auf einmal nicht mehr.
Den Pazifik habt ihr dennoch erreicht, wie?
Amber: Wir sind mit einer Fähre und auf dem Landweg zu dieser vergessenen Küste gereist, das war uns dann doch ein Bedürfnis. Es ist so trostlos da, aber wir haben uns gefreut wie vier Teenager.
Welches Bild kommt Dir als erstes in den Kopf, wenn Du an diesen Trip zurückdenkst?
Amber: Das ist eine schwere Frage, es kommen gleich mehrere, aber ich denke das stärkste Bild ist der Blick, den wir hatten, als wir mitten in der mongolischen Wildnis auf eine Anhöhe gestiegen sind und dort über den Flusslauf sowie die Landschaft überschauen konnten, das war einfach unglaublich. Es war der schönste Blick, den ich bisher in meinem Leben hatte. Es gibt so viele schöne Orte auf dieser Welt, aber dieser hat mich einfach in meinem tiefsten Inneren berührt.
Infos zu dem Film "Nobody's River"
"Nobody's River" ist in diesem Jahr Teil der European Outdoor Film Tour, die ab dem 11. Oktober 2014 unter anderem durch Deutschland, Österreich und die Schweiz tourt