Eine eigene Welt Zwischen Aufräumern und Großfamilien – ein Survival Guide für Camping-Neulinge

Von Daniel Ramm
©Jan Steins
© Jan Steins
Hinter dem rot-weißen Schlagbaum wartet eine andere Welt: Campingplätze haben ihre ganz eigenen Gesetze und auch ganz besondere Bewohner. Ein amüsierter Blick auf die manchmal eigenwilligen, aber meist doch recht liebenswerten Zeitgenossen, die man dort so trifft – und wie man mit ihnen klarkommt

Die Unbeweglichen

Eine Frage, die die Menschheit ähnlich nachhaltig beschäftigt, wie die nach der Gültigkeit des Wembley-Tors: Wann haben sich die Unbeweglichen eigentlich das letzte Mal bewegt? Und daran anschließend: Geht es ihnen gut oder sollte man einen Arzt rufen? Das zumeist ältere Paar liegt und liegt und liegt – auf zwei großbemusterten Klappliegen im Gärtchen vor seinem Wohnwagen. Es sonnt sich und sieht dabei sehr friedlich aus und auch sehr, sehr braun, mit einem Hautton nahe an Nutellabrot. Nichts und niemand bewegt sich in diesem Sommeridyll, nicht mal auf Zuruf.

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Die Unbeweglichen sind wahre Sonnenanbeter - friedlich schnarchend und braungebrannt
Die Unbeweglichen sind wahre Sonnenanbeter - friedlich schnarchend und braungebrannt
© Jan Steins

Widerstehen Sie der Versuchung, die Jugendgruppe um grölende Unterstützung zu bitten. Verlassen Sie sich ganz auf Ihren Hörsinn. Die Unbeweglichen sind nämlich keinesfalls die Tonlosen. Sie schnarchen meist! Entwarnung also. Kehren Sie am nächsten Morgen dennoch bitte vor dem Morgentau zurück. Sollte das Paar immer noch unverändert liegen: Denken Sie doch mal über einen Notruf nach

Die Aufräumer

Der kritische Blick des Aufräumers spricht Bände. Es fallen Sätze wie: "Müssten die Fenster unseres Wohnwagens nicht längst mal wieder geputzt werden?!" Das meist ältere Ehepaar weiß sich auch im Campingurlaub bestens zu beschäftigen. Tagtäglich sucht und findet es etwas zu säubern, wegzuräumen oder zumindest umzuräumen. Sein kleines, feines, mit einer gepflegten Buchsbaumhecke eingefasstes Camping-Refugium gleicht deshalb auch eher einem Verkaufsstand auf einer Caravan-Messe, so poliert und herausgeputzt ist alles.

Die Aufräumer sind vielleicht nicht auf Anhieb die beliebtesten Camping-Genossen, doch eigentlich ganz harmlos
Die Aufräumer sind vielleicht nicht auf Anhieb die beliebtesten Camping-Genossen, doch eigentlich ganz harmlos
© Jan Steins

Gern betätigt sich Ehepaar Heinzelmann auch außerhalb der eigenen vier mobilen Wände und sammelt etwa leere Capri-Sonne-Packungen vom Kinderspielplatz. Im Grunde sind Herr und Frau Sauber harmlose, oft sogar angenehme Camping-Genossen, nur mögen sie absolut keine Neuankömmlinge. Denn diese stören die etablierte Ordnung. Warten Sie einfach ab, setzen Sie auf den Gewöhnungseffekt. Dass Sie ins Ordnungssystem der Aufräumer einsortiert wurden, merken Sie daran, dass Sie plötzlich gegrüßt werden. Fortan wird man Ihnen, nun ja, sehr aufgeräumt begegnen.

Die Großfamilien

Die Frauen sind zusammen zur Schule gegangen, die Männer haben sich schon nach so manchem Heimsieg in den Armen gelegen. Oder es zelten Schwestern, Cousins, Schwippschwager mit Anhang. In jedem Fall herrschen sie meist sehr laut lachend über eine Zeltstadt, die schon seit Jahren jeden Sommer an der exakt selben Stelle errichtet wird.

Im Zentrum dieser Planen-Burg: Grills, mindestens drei. Denn schließlich wollen zehn oder mehr Kinder zwischen zweieinhalb und neunzehn abgefüttert werden. Die sind dann auch die größte Herausforderung im Umgang mit den Doppel-Wollnys: Denn die Kleinwüchsigen treten selbstbewusst auf, wissen sie doch, dass sie immer in der Überzahl sind. Erkaufen Sie sich also Freundschaften schamlos mit Haribo und seien Sie beruhigt: Zum Essen müssen alle wieder "zu Hause" sein – und gegessen wird bei grillenden Großfamilien ja eigentlich ständig.

Berlin-Mitte unterwegs

Seinen Bully hat das junge Paar selbst ausgebaut, selbstverständlich nur mit nachhaltigen Materialien und ausreichend Platz für einen hoch aufgetürmten Man Bun. Dabei wollte es doch eigentlich dem Kapitalismus entsagen und all seine Besitztümer verschenken. Aber der Minimalismus muss warten, vorher will die Welt noch gesehen werden. Den Strom fürs umgerüstete E-Mobil und die biodynamische Schonkost finanziert das Hipster-Paar wahlweise durch Crowdfunding oder durch Mama und Papa. Merkwürdig nur: Obwohl es so wenig Stress im Leben hat, verbreitet es ziemlich viel Hektik. Sieht es endlich gut genug für Instagram aus? Already likeable? Come on! Noch schnell was posten und den Travelblog füllen. Und das Filmchen für die Follower!!! Höchste Zeit!!!!! Laden Sie die zwei Großstädter also bald mal auf einen veganen Verbenentee ein und erzählen Sie dann möglichst beiläufig – dass man im Urlaub ganz wunderbar auch Urlaub machen kann.

Die Depotverwalter

Nein, nein, diese Gattung Camper heißt keineswegs Hastdumal oder Ichsuchgrad mit Vornamen, auch wenn sie von allen anderen ständig so angesprochen wird. Die Depotverwaltung hat ihren Sitz in dem mit Abstand geräumigsten Wohnmobil weit und breit, einer luxuriösen Variante des blauen Bauwagens von Peter Lustig aus "Löwenzahn". Man sieht jedenfalls sofort: Hier hausen Tüftler, die sich aus allem Möglichen alles Mögliche bauen und die als Grundvoraussetzung dazu – oder als Konsequenz daraus – auch alles Mögliche besitzen.

Tüftler und Horter gehören zu den Depotverwaltern. Kaum ein Werkzeug oder Utensil, was diese Camping-Genossen nicht aufzutreiben können
Tüftler und Horter gehören zu den Depotverwaltern. Kaum ein Werkzeug oder Utensil, was diese Camping-Genossen nicht aufzutreiben können
© Jan Steins

Mit diesen Möglichkeiten geht die Depotverwaltung äußerst freigiebig um. Sie ist erst dann glücklich, wenn sie auch dem letzten Nachbarn einen Akku-Schrauber, ein Starthilfe-Kabel oder zumindest eine Fliegenklatsche ausleihen konnte. Rückgabe: Nebensache. Von jeder Gerätschaft hat man schließlich noch ein weiteres Exemplar, mindestens. Borgen Sie sich schon am zweiten Tag irgendetwas bei dieser großzügigen Spezies, egal, ob Sie es brauchen oder nicht. Erfreuen Sie das personifizierte Technische Hilfswerk des Campingplatzes. Dann haben Sie fortan eine zuverlässige Anlaufstelle für Rat und Tat und Gerät, sollte es wirklich mal hart auf hart kommen.

Die Helfer

"Ach, das kenn ich."–"Moment, ich komm mal zu Ihnen rüber." – "Kein Problem, da habe ich/weiß ich/kann ich was!" Mit dem immer gleichen verbalen Dreisprung steht der Helfer schnell vor Ihrem Wohnmobil. Mit einer maßlosen Freundlichkeit, wie man sie sonst nur von Bäckerei-Fachverkäuferinnen oder Markus Lanz kennt, bietet er seine Unterstützung an – auch wenn Sie noch gar nicht wussten, dass Sie Unterstützung brauchen.

Helfer sind immer gern zur Stelle. Wenn ein Problem angepackt, oder zumindest erklärt werden muss
Helfer sind immer gern zur Stelle. Wenn ein Problem angepackt, oder zumindest erklärt werden muss
© Jan Steins

Problem erkannt, Problem gebannt – zumindest mit dem Mund.Denn Helfer packen das Leben nicht selber an, sondern erklären lieber allen anderen, wie sie anpacken müssen. Das ist Ihre große Chance: Bitten Sie den Helfer, ausnahmsweise selbst einmal mit anzupacken. Schon ist er in großer Gefahr: öffentlich zu scheitern. Schnell wird er sich mit einem verbalen Dreisprung verabschieden und nie wiederkommen: "Oh, schon so spät." – "Ich muss dann mal." – "Ich schau morgen noch mal vorbei."

Der Sparfuchs

"Neu hier, was?!" Der Sparfuchs ist der erste Ihrer neuen Teilzeit-Nachbarn, auf den Sie treffen werden. Er winkt Sie schon beim Abstellen des Wohnmobils ein. Dabei gilt sein Interesse aber im Grunde nur einem Thema: "Was habt ihr denn für Ding (wahlweise auch für Kugelgrill oder Sonnenschirm) ausgegeben? Ach, so viel! Wo habt ihr denn gekauft? Echt? Alsoooo im Moment gibt es bei Hausgeräte-Schmitz hier gleich um die Ecke ja eine Rabattaktion: zehn Prozent auf alles außer Tiernahrung. Wir haben unseren Kocher damals ganz billig bei ..."

Und schon ist der Sparfuchs sehr spendabel mit Worten. Der Monolog des leidenschaftlichen Schnäppchenjägers wird nicht so schnell abreißen. Extreme Exemplare zücken sogar Taschenrechner. Lassen Sie den Sparfuchs reden und sparen Sie an Antworten. Begreifen Sie diese Begegnung einfach als eine Art Aufnahmeritual: Durch diesen Wortschwall müssen alle durch. Doch, doch, wirklich alle. Spätestens wenn Sie den halben Campingplatz am nächsten Tag bei Hausgeräte-Schmitz treffen, werden Sie uns glauben.

Die Naturfreunde

Keine Sorge, Sie werden die Naturfreunde so selten wie Grünspechte zu Gesicht bekommen. Im entlegensten Winkel des Areals hat das entspannte Grüppchen sein Lager aufgeschlagen, dort, wo das Gras etwas höher, der Baumbestand deutlich weniger gestutzt und die Campermeute möglichst weit weg ist. Denn eigentlich finden die freiheitsliebenden Blumenkinder Campingplätze "endspießig".

Wo Wildcampen verboten ist, trifft man Naturfreunde auf Campingplätzen. Gelegentlich auch unbekleidet..
Wo Wildcampen verboten ist, trifft man Naturfreunde auf Campingplätzen. Gelegentlich auch unbekleidet..
© Jan Steins

Da die Summe all ihrer Bußgelder für wildes Zelten aber mit der Zeit eine schmerzhafte Höhe erreicht hatte, nehmen die chronisch klammen Freunde der Natur mittlerweile die Nähe zu Sparfüchsen und Aufräumern in Kauf – wenn zumindest eine gewisse Distanz gewahrt werden kann. Besser auch für alle anderen, die über Schüttelmeditationen im Morgengrauen nur den Kopf schütteln können. Sehr früh oder sehr spät am Tag könnten Sie den Naturfreunden am angrenzenden Stand oder See begegnen, wenn die sich juchzend ins Wasser stürzen, selbstverständlich wie die Natur sie schuf. Denn nur textilfrei ist nachhaltig genug.

Erschienen in GEO Saison Extra 04/2021