Zellen unter Druck Tiefseequallen könnten uns helfen, Alzheimer zu besiegen

Durchscheinende Tiefsee-Rippenqualle vor schwarzem Hintergrund
Survival-Expertin: Die Rippenqualle Bathocyroe affosteri lebt in Tiefen von bis zu 3000 Metern
© Jacob Winnikoff
Wie halten Tiefseetiere den Wasserdruck aus? In Zellmembranen von Rippenquallen entdeckten Forschende einen entscheidenden Trick, der auch uns Menschen zugutekommen könnte

Der größte Lebensraum des Planeten, die Tiefsee, ist kalt, schwarz und leer: Vor allem aber stehen die Bewohner dieses gigantischen Wasserkosmos enorm unter Druck. Am tiefsten Punkt der Weltmeere, rund 11.000 Meter unter dem Meeresspiegel am Boden des Marianengrabens, lastet auf jedem Quadratzentimeter der Körper von Fischen, Krebsen oder Kalmaren eine Wassermasse so schwer wie ein Elefant. Wie halten die Tiere diese Belastungen aus? 

Viele Tiefseefische vertrauen auf Schwimmblasen, die mit Fett statt mit Luft gefüllt sind und so dem Druck besser standhalten. Quallen und Salpen bestehen fast völlig aus Wasser und geben so wenig Angriffsfläche. Wie sie jedoch ihre Zellwände schützen, war in der Wissenschaft bislang rätselhaft. Denn die Membranen bestehen vor allem aus kälte- und druckempfindlichen Fettmolekülen (Phospholipiden). Unter Umweltbedingungen wie in der Tiefsee müssten diese eigentlich so weit erstarren, dass der lebensnotwendige Austausch von Molekülen durch die Membran versiegt. Und doch hat das Leben sich alle Wasserschichten der Meere erschlossen.

In einer Studie, die vor Kurzem im Fachblatt "Science" veröffentlicht wurde, ging ein Forschungsteam nun am Beispiel von Rippenquallen der molekularen Survivalkunst unter Tiefseebewohnern nach – und entdeckte dabei einen Trick, der auch für uns Menschen von Nutzen sein könnte.

Mithilfe des Tiefseeroboters "Ventana" vom Monterey Bay Research Institute fingen die Forschenden Rippenquallen in Tiefen von mehr als 3500 Metern. Und als Vergleich dazu sammelten sie Arten, die sonnendurchflutete Oberflächengewässer durchstreifen - von der Arktis bis nach Hawaii. 

Die Untersuchung der Proben mit einem Fluoreszenzspektrometer ergab: Die Rippenquallen der Tiefsee tragen in ihren Zellwänden einen extrem hohen Anteil besonderer "gekrümmter Lipide", auch "Plasmalogene" genannt: Sie machen bei ihnen rund 80 Prozent aller Fettmoleküle in den Membranen aus. Unter großem Druck nehmen die Plasmalogene genau jene Form an, die für eine zugleich stabile und doch dynamische, halbdurchlässige Zellwand notwendig ist. So können die Rippenquallen in der Tiefe bestehen. Nur aufsteigen dürfen sie nicht: Werden sie an die Oberfläche gebracht, löst ihr Gewebe sich auf.

Großer Tauchroboter
Erfahrener Tiefsee-Spion: Der Meeresroboter "Ventana", den das Forschungsteam einsetzte, hat bereits mehr als 4500 Tauchgänge absolviert
© Jacob Winnikoff

Auch fern der Tiefsee kommen Plasmalogene vor, auch bei uns Menschen. Vor allem in unseren Gehirnzellen scheinen sie eine wichtige Rolle zu spielen: Eine sinkende Konzentration von gekrümmten Lipiden im Hirngewebe wird oft mit Alzheimer-Erkrankungen in Verbindung gebracht. 

Die Autoren der Studie mutmaßen nun: Wahrscheinlich benötigen Nervenzellen die flexiblen Fette in ihren Membranen, um mit anderen störungsfrei über Botenstoffe zu kommunizieren. Im Labor gelang es dem Team zudem, in Bakterienkolonien den Anteil von Plasmalogenen signifikant zu erhöhen. So könnten die Einsichten aus dem Ozean womöglich auch helfen, eine der schlimmsten neuronalen Erkrankungen unserer Zeit zu verstehen – und zu bekämpfen.