Wrack-Fund vor 40 Jahren Die riskante Reise zur "Titanic"

Unterwasserfahrzeug "Jason Jr."
Das ferngesteuerte Unterwasserfahrzeug "Jason Jr." wirft einen Blick in das Innere der "Titanic". Im Juli 1986, neun Monate nach der Entdeckung des Wracks, kehrte ein Forschungsteam an den Fundort zurück – diesmal mit dem dreisitzigen Forschungs-U-Boot "Alvin" und dem neu entwickelten ROV "Jason Jr."
© WOODS HOLE OCEANOGRAPHIC INSTITUTION / HANDOUT / AFP
Vor genau 40 Jahren entdeckte der Meeresforscher Robert Ballard das Wrack der "Titanic" im Nordatlantik. Seither tauchen immer wieder U-Boote zum Wrack. Wie gefährlich ist das?

Knapp zwei Stunden, nachdem die "Titan" abgetaucht war, verlor das Begleitschiff den Kontakt mit dem Tauchboot. Kein Signal, kein Notruf deutete darauf hin, was den Insassen widerfahren sein könnte auf ihrem Weg zur "Titanic" in 3800 Metern Tiefe: Stockton Rush als Pilot und vier Begleiter – der bekannte französische Tiefseeforscher Paul-Henri Nargeolet sowie drei Touristen, die jeweils einen sechsstelligen Betrag bezahlt hatten, um das Wrack des Passagierschiffs aus der Nähe zu betrachten. Es war der frühe Morgen des 18. Juni 2023.

Binnen kurzer Zeit lief eine internationale Suchaktion an, mit Flugzeugen und Schiffen der US-amerikanischen und kanadischen Küstenwachen, einem französischen Forschungsschiff, einem Rohrverlegeschiff. Groß war weltweit die Anteilnahme, ebenso die Lust an der Sensation. 

Dr. Robert Ballard
Dr. Robert Ballard vom WHOI bei der Leitung der Rückkehr zur "Titanic" im Juli 1986. Als einer der Passagiere an Bord des dreisitzigen Forschungs-U-Boots "Alvin" konnte er das legendäre Wrack aus nächster Nähe untersuchen
© WOODS HOLE OCEANOGRAPHIC INSTITUTION / HANDOUT / AFP

Lebten die Männer noch und warteten auf dem Meeresboden verzweifelt auf Hilfe? Würde der Sauerstoff ausreichen, bis man die Vermissten fand? Dann, vier Tage später, entdeckte ein ferngesteuertes Fahrzeug (ROV) ein Trümmerfeld, und es wurde klar: Die "Titan", betrieben von der Firma OceanGate aus dem US-Bundesstaat Washington, hatte dem enormen Wasserdruck nicht mehr standgehalten und war in unzählige Teile zerborsten. Die Insassen hatten keine Chance zu überleben.

Unerforschte, unerbitterliche Welt

Für Fachleute kam der Verlust nicht überraschend. Zumal, als sie erfuhren, dass die US Navy am Morgen des Unglückstags ein Geräusch registriert hatte, das auf eine Implosion hindeutete. Kollegen hatten Stockton Rush, den CEO von OceanGate, schon einige Zeit zuvor in einem gemeinsamen Brief gewarnt, dass sein Tauchboot nicht sicher sei. Rob McCallum, ein erfahrener Expeditionsleiter und Tauchexperte, schrieb: "Ich denke, dass Sie sich und Ihre Kunden einer gefährlichen Dynamik aussetzen. Ihr Wettrennen zur ‚Titanic‘ erinnert an den berühmten Satz über dieses Schiff: dass es unsinkbar sei."

Die Tiefsee, in der die Überreste des Dampfers liegen, ist eine noch immer weitgehend unerforschte, unerbittliche Welt. Nur wenige Tauchboote sind in der Lage, Forscher und Abenteurer sicher dorthin und wieder an die Oberfläche zu bringen – geschweige denn, in noch größere Tiefen vorzudringen. Und nur einige Firmen verfügen über das Wissen, sie zu konstruieren.

Der Regisseur James Cameron ("Titanic") ließ sein Tauchboot "Deepsea Challenger" in Australien entwickeln und herstellen – ein maßgeschneidertes Einzelstück, mit dem er unter anderem in den pazifischen Marianengraben tauchte, elf Kilometer tief. 

Als der texanische Millionär Victor Vescovo sich vor einigen Jahren in den Kopf setzte, an die tiefsten Punkte aller fünf Ozeane zu reisen, fiel seine Wahl hingegen auf die Firma Triton Submarines in Florida. Dort werden Tauchboote für professionelle und wissenschaftliche sowie für touristische Zwecke gefertigt. "Ich wollte ein Gefährt, mit dem man nicht nur einmal, sondern viele Male in große Tiefen gelangen kann", sagt der Extrem-Abenteurer. "Außerdem hänge ich an meinem Leben und wollte unbeschadet wieder nach oben kommen." 

In monatelanger Arbeit entwickelte ein Team von Ingenieuren um Firmenchef Patrick Lahey also die "Triton 36 000/2": eine komplexe, vier Meter hohe, zwölf Tonnen schwere Maschine. Vescovo nannte sie "Limiting Factor", nach einem Schiff aus einem Science-Fiction-Roman des von ihm verehrten schottischen Schriftstellers Iain Banks.

Wrack der Titanic als 3 D Ansicht auf dem Meeresboden
Aus 700.000 Unterwasseraufnahmen setzten Forschende bereits 2023 einen 3-D-Scan des "Titanic"-Wracks zusammen, das auf dem Meeresboden liegt
© Atlantic Productions / Magellan / ZUMA Press Wire Service / dpa
3D-Scan des Titanic-Wracks liefert neue Erkenntnisse zum Untergang
© Video: Magellan Limited, Guernsey | Foto: Atlantic Productions / Magellan / ZUMA Press Wire Service / dpa

Am tiefsten Punkt der Meere, nahezu elf Kilometer unter der Oberfläche, herrscht ein enormer hydrostatischer Druck: 1100 bar, das entspricht einem Gewicht von mehr als einer Tonne, das auf jedem Quadratzentimeter lastet. Es ist, als läge das Gewicht eines PKW auf dem Nagel des kleinen Fingers. Herzstück des Tauchbootes ist daher eine Hohlkugel aus 90 Millimeter starkem Titan, in der zwei Personen Platz finden. Sie haben alle Instrumente im Blick, durch Acrylfenster können sie die Umgebung betrachten. Um die Kugel herum sind die Motoren, Ballasttanks, Auftriebskörper und alle weitere technische Ausstattung verbaut. Jedes Teil muss unter allen Bedingungen verlässlich funktionieren, die Elektronik vor dem aggressiven Salzwasser geschützt sein. Ein weißer Rumpf umhüllt die Technik; seine Form erinnert eher an eine Tasche als an ein Tauchboot.

Sie waren bei der "Titanic"

Seit dem Fund der "Titanic" 1985 haben zahlreiche Expeditionen das Wrack erreicht. Manche der eingesetzten Tauchboote genießen einen legendären Ruf. 

 

Im Sommer 1986 unternahm Robert Ballard die erste Tauchfahrt zum Wrack – neun Monate, nachdem er es entdeckt hatte. Er verwendete das Tauchboot "Alvin" der Woods Hole Oceanographic Institution, 1964 in Dienst gestellt und noch immer aktiv. Ballards Filmaufnahmen weckten damals schon das Interesse eines jungen kanadischen Regisseurs, James Cameron. Ein Jahrzehnt später wurde dessen monumentaler Film "Titanic" zum Welterfolg. 

 

1987 untersuchte ein Team des französischen Meeresforschungsinstituts Ifremer die "Titanic" unter anderem mit dem Tauchboot "Nautile". Dabei war Paul-Henri Nargeolet, der 2023 mit an Bord der "Titan" war, als das Gefährt auf dem Weg zum Wrack implodierte. 

 

1991 waren die sowjetischen Tauchboote "Mir-1" und "Mir-2" mehrmals in der Tiefe, damit ein US-amerikanisches Team Aufnahmen für den IMAX- Dokumentarfilm "Titanica" des Regisseurs Stephen Low machen konnte. 

 

Jüngste Expeditionen dienen primär dazu, die "Titanic" zu scannen und mit heutiger Technik immer bessere, detailliertere Aufnahmen des Wracks zu machen. Dafür werden jedoch überwiegend ferngesteuerte Fahrzeuge (Remotely Operated Vehicle, ROV) eingesetzt. 

Die Kugel bewährt sich seit Jahrzehnten bei Tauchgeräten für die Tiefsee, kein anderer Körper kann dem Wasserdruck besser widerstehen. In den 1930er Jahren entwickelten der amerikanische Naturforscher Charles William Beebe und der Ingenieur Otis Barton erstmals einen solchen Tauchkörper aus Stahl, auch Bathysphäre genannt. Am 15. August 1934 glitt Beebe darin an einem Seil 923 Meter in die Tiefe, eine Sensation. Ein winziges Fenster erlaubte es ihm, die damals noch unbekannte Tierwelt der Tiefsee vor den Bermuda-Inseln zu beobachten, die er skizzierte und einem staunenden Publikum in mehreren Büchern präsentierte.

"Eine heftige Erschütterung, ein dumpfer Schlag"

Knapp drei Jahrzehnte später schrieben der Schweizer Ozeanograf Jacques Piccard und sein amerikanischer Kollege und Marineleutnant Don Walsh Geschichte, als sie in ihrem Tauchboot "Trieste" als erste Menschen das Challengertief im Marianengraben erreichten, mit gut 10 900 Metern eine der tiefsten Stellen des Pazifischen Ozeans. 

Bis heute waren dort weniger Menschen als auf dem Mond. Die Form der "Trieste" ähnelte der eines U-Boots. Bei der Sicherheit setzten auch Piccard und Walsh allerdings auf eine von den Krupp-Werken in Essen hergestellte Kugel aus Stahl, die unten am Tauchfahrzeug angebracht war. Aus ihr lenkten sie ihr Gefährt.

Tauchboot "Titan"
Am 18. Juni 2023 verschwand das Tauchboot "Titan" bei einer Tauchfahrt im Nordatlantik. Tage später entdeckten Suchteams nahe dem Wrack der "Titanic" die Trümmer – alle fünf Insassen starben
© OceanGate Expeditions via Bestimage / imago images

Als Ballast dienten ihnen 16 Tonnen Eisen, die das Tauchboot in die Tiefe zogen. Unten wurden sie abgeworfen, um wieder aufsteigen zu können. Es war ein für diese Zeit außerordentlich durchdachtes System. Doch fast schon am Ziel, erlebten die Forscher einen Schreckmoment. "Plötzlich ein Krach! Eine heftige Erschütterung, ein dumpfer Schlag", erinnerte sich Piccard in einem Interview. Was genau passiert war, ließ sich zunächst nicht feststellen, und so entschieden er und sein Begleiter, den Abstieg fortzusetzen. Später stellte sich heraus, dass ein Lukendeckel des Einstiegtunnels Risse bekommen hatte.

Die Kugel als Lebensversicherung – doch Stockton Rush von OceanGate vertraute auf eine andere Konstruktion. Zwar verfügte die "Titan" über stabilisierende Stahlringe sowie Kappen aus Titan, im Wesentlichen bestand sie jedoch aus einem Kohlefaser-Verbundwerkstoff. Dieses Material gilt zwar als ausgesprochen widerstandsfähig, jedoch nur bei Zugbelastung. Experten vermuten, dass wiederholte Fahrten in die Tiefe zu Ermüdungen geführt haben könnten und das Material schließlich dem Druck des Wassers nachgab.

Bei Victor Vescovos "Limiting Factor" wollten die Konstrukteure keine Risiken eingehen. Alle Bauteile sind extrem stabil. Ein Lebenserhaltungssystem sorgt für die Luftversorgung und Klimatisierung des Druckkörpers. Zentrale Elemente für die Sicherheit gibt es mindestens zweimal. Und alles wurde nicht nur auf mehreren Testfahrten erprobt, repariert, erneut erprobt, wenn nötig ausgetauscht – sondern Vescovo ließ die Sicherheit seines Gefährts zudem von dem unabhängigen Zertifikationsunternehmen DNV (Det Norske Veritas) überprüfen. Dessen auf Tauchfahrzeuge spezialisierter Ingenieur Jonathan Struwe von der Hamburger DNV-Niederlassung begleitete kritisch den Bau der "Triton 36 000/2", begutachtete alle Technik und das Backup-System.

45 Millionen Dollar kostet das Tauchboot

Dann stieg Struwe zusammen mit Patrick Lahey von Triton Submarines in die Tiefe des Marianengrabens ab: 10 925 Meter unter dem Meeresspiegel. "Es kann sehr viel passieren und ein Fehler leicht zu Folgefehlern führen", sagt er. Etwa, wenn durch eine Leckage Wasser ins elektrische System eindringt. War er nervös? "Dann hätte ich meinen Job nicht richtig gemacht", antwortet er.

Mehr als 45 Millionen Dollar zahlte Vescovo für sein Tauchboot und das Mutterschiff "Pressure Drop", ein hochseetüchtiges ehemaliges Marine-, dann Forschungsschiff. Er ließ zudem drei Lander für die Tiefsee weiterentwickeln: mit Elektronik vollgestopfte Geräte, die auf dem Meeresboden abgesetzt wurden. Die Besatzung des Tauchbootes konnte mit ihnen Kontakt aufnehmen und auf diese Weise ihre eigene Position berechnen. Nach Ende der Tauchfahrt warfen die allein schon jeweils eine Viertelmillion Dollar teuren Lander ihre Gewichte ab, schwammen auf und wurden vom Begleitschiff wieder geborgen.

Zeitungsjunge verkündet Untergang der "Titanic"
Die Nachricht vom Untergang der "Titanic" verbreitete sich rasch und löste weltweites Entsetzen aus
© Science Source / akg-images

Vescovo engagierte den erfahrenen Expeditionsleiter Rob McCallum, Gründer von EYOS Expedition, um eine Crew zusammenzustellen und sein Five Deeps genanntes Abenteuer zu planen. Eine heikle Aufgabe, denn das harsche Wetter vor allem in den Polarregionen oder die Hurrikansaison in anderen Weltgegenden ließen ihnen nur kurze Zeitfenster für die Tauchfahrten. 

Von Dezember 2018 bis August 2019 erreichte Vesovo dann aber die tiefsten Punkte des ­ Atlantiks, des Pazifiks und Indischen Ozeans, des Arktischen Ozeans und des Südpolarmeers. So auch den Tonga-Graben, eine bis zu 10.882 Meter tiefe Rinne östlich der Tonga-Inseln.

Wie vor allen Tauchgängen wurde mit dem Sonar der Meeresboden gescannt. Der Pilot sollte möglichst wissen, welche Landschaft ihn erwartete: steile Klippen oder sandige Ebenen? Sanfte Hügel oder bizarre Lavahänge, von denen er sich lieber fernhielt? Dennoch blieb stets ein gewisses Risiko.

Mit knapp 50 Metern in der Minute sank das Tauchboot in die Tiefe. "Nach 20 Minuten bist du in einer anderen Welt", erzählt Vescovo, und seine Stimme klingt noch immer begeistert. Die Zone des Dämmerlichts lag da schon hinter ihm, er war nun in einer Welt ohne Sonne. "Es ist vollkommen still, und tiefe Finsternis umgibt dich. Oben könnte ein Hurrikan wüten, und du würdest nichts davon spüren." Hier, in der Bathyalzone, schwimmen noch Wale und Haie, Oktopusse oder auch Tiefsee-Anglerfische, die Licht erzeugen.

Titanic-Passagier sitzt an Rudermaschine im Fitnessraum

Fotografien Die letzten Bilder von Bord der Titanic

Im April 1912 fuhr ein Jesuitenpater zwei Tage lang auf der Titanic. An Bord machte er mit der Kamera Dutzende Aufnahmen. Es sind die letzten erhaltenen Fotos des Unglücksschiffs

Auf etwa 4000 Meter beginnt das Abyssal; etwa in dieser Tiefe liegt die "Titanic". Die Wassertemperatur liegt stets etwas über dem Gefrierpunkt, und viele Tiere ernähren sich von Meeresschnee: den Überresten oder Ausscheidungen anderer Lebewesen, die langsam zu Boden rieseln. Wenn sie im Licht der Scheinwerfer vorübertreiben, sieht es aus wie Schneeflocken bei einer nächtlichen Autofahrt.

Dann, zwei Stunden nach dem Abtauchen, in gut 6000 Metern Tiefe, erreichte das Tauchboot das Hadal, benannt nach dem griechischen Gott der Unterwelt. Und nicht viel später den Bereich, in dem nur noch vergleichsweise wenig Leben existieren kann. "Spätestens jetzt war ich vollkommen auf mich allein gestellt", sagt der Extrem-Abenteurer. Ein Feuer, ein winziges Leck, ein Riss: alles wäre fatal. "Kein ferngesteuerter Roboter hätte in diese Tiefe gelenkt werden können, um Hilfe zu leisten." Eine Implosion? Niemand hätte wohl die Überreste der "Triton 36 000/2" und des Piloten je gefunden.

Um sanft landen zu können, warf Vescovo einen Teil des Ballasts aus Metall ab, das die "Limiting Factor" absinken ließ, und schaltete die Propeller (Thruster) ein. Viereinhalb Stunden unterhalb der Meeresoberfläche setzte er schließlich auf einem schlammigen Boden auf – der erste und bisher auch einzige Mensch an diesem Ort ferner als der Mond. 

Deutlich mehr Menschen haben die "Titanic" besucht, auch das immer noch ein exklusives Abenteuer. Der Neuseeländer Rob McCallum leitete ein halbes Dutzend Expeditionen dorthin, mit zahlenden Gästen und auch an Bord von Victor Vescovos "Limiting Factor". 

Strömung, Wirbel und Strudel erschweren die Steuerung 

Zehn bis zwölf Stunden dauert die Reise vom Begleitschiff zum Wrack und zurück. "Du blickst aus dem Fenster, und nach wenigen Minuten wird es dunkel", erzählt McCallum. "Die lange Reise in die Tiefe hat begonnen. Die Stimmung ist unglaublich leicht und entspannt nach all dem Stress der Vorbereitung. Und dann taucht das Wrack vor dir auf, und du denkst: Wie groß es ist! Viel größer als das Schiff, das du gerade verlassen hast. Vor allem fällt dir auf, wie schön die ‚Titanic‘ noch immer ist. Ganz anders als die meisten Schiffe, die wir heute kennen. So anmutig und elegant."

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Doch auch für McCallum ist die Tauchfahrt noch immer ein riskantes Unterfangen. "Die ‚Titanic‘ liegt direkt im Einflussbereich des Golfstroms. An manchen Tagen ist das Wasser warm, an anderen Tagen kalt und klar. Strömung, Wirbel und Strudel machen es schwer, das Tauchboot zu steuern." Gefährlich sei es besonders, wenn man dem Schiff nahe komme an Stellen, wo es schon in sich zusammenfalle, wo Spanten und andere Teile der Konstruktion frei lägen. Man müsse sehr vorsichtig operieren.

Entscheidend ist, sich auf sein Tauchboot verlassen zu können. Gefahren richtig einzuschätzen. Vorbereitet zu sein auf jedes denkbare Szenario. Und analytisch zu bleiben, was auch immer passiert. "Man hat einen Rettungsplan", sagt McCallum. "Man hat Ausweichsysteme. Aber wenn etwas schief geht, ist klar, dass man Plan A verlassen hat und nun mit Plan B arbeitet. Und wenn der nicht funktioniert, geht man über zu Plan C."

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© Alamy Stock Photo

Stockton Rush, dem Piloten der "Titan", blieb für solche Maßnahmen offenbar keine Zeit. Gleich nach dem Verlust des Tauchbootes im Juni 2023 setzte die amerikanische Küstenwache eine Kommission ein, um die Ursache zu ermitteln. Die Untersuchungen zogen sich noch viel länger hin, so komplex waren die technischen Analysen. Sie zeigen gravierende Sicherheitsmängel bei der Betreiberfirma. "Die Sicherheitsregeln des Unternehmens waren kritisch fehlerhaft", heißt es im 335 Seiten langen Abschlussbericht. "Grundlegende technische Prinzipien" seien missachtet worden. Die "Titan"habe zudem gravierende Designmängel gehabt, sei nicht ausreichend überprüft und gewartet worden

Der Regisseur James Cameron, der im russischen Tauchboot "Mir" viele Male beim Wrack der "Titanic" gewesen war, sagte nach dem Unglück auf CNN: "Wir haben hier eine nahezu surreale Situation. Das Passagierschiff sank, weil sein Kapitän es in einer mondlosen Nacht mit voller Geschwindigkeit durch ein Eisfeld fahren ließ, obwohl er mehrmals gewarnt worden war. Genau die Arroganz und Hybris, mit der er die ‚Titanic‘ ins Verderben steuerte, haben wir bei diesem Tauchboot erlebt."

Siebo Heinken ist Kurator der Ausstellung "Titanic. Ihre Zeit. Ihr Schicksal. Ihr Mythos.", die noch bis zum 06.01.2026 im Lokschuppen Rosenheim läuft. Anhand von Originalartefakten, immersiven Multimedia-Installationen und dramatischen Passagiergeschichten wird der Untergang des berühmten Schiffes erneut lebendig. Weitere Infos: https://www.lokschuppen.de/titanic

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