Es gibt eine überaus rätselhafte Form von Materie in unserem Universum: Wir können sie nicht sehen, da sie nicht leuchtet und auch kein Licht reflektiert. Daher wird sie auch die Dunkle Materie genannt.
Woraus besteht die Dunkle Materie?
Im Gegensatz zur sichtbaren Materie kennt niemand ihre Zusammensetzung, bis heute ist völlig ungeklärt, aus welcher Sorte von Teilchen sie besteht. Während die sichtbare Materie sich im Laufe von Milliarden Jahren zu Sternen und Planeten verdichtet hat, verhält sich die Dunkle Materie gänzlich anders.
Die mysteriösen Teilchen, aus denen sie besteht, bilden keine Atome und mithin keine komplexeren Strukturen wie Moleküle. Obwohl es weltweit zahlreiche Projekte gibt, die einen Nachweis zum Ziel haben, ist es bisher nicht gelungen, auch nur ein einziges Teilchen der Dunklen Materie direkt mithilfe eines Detektors aufzuspüren.
Wo im Universum kommt Dunkle Materie vor?
Es kann schon verwundern, dass noch kein einziges Dunkle-Materie-Teilchen nachgewiesen werden konnte. Denn: Die Dunkle Materie existiert überall im Universum, sie durchzieht das gesamte All. Sie ist auch hier auf der Erde vorhanden, wir werden sogar beständig von ihr durchströmt: Die seltsamen Partikel wehen einfach durch uns hindurch. Wir bekommen davon überhaupt nichts mit.
Denn die Dunkle Materie interagiert nur extrem selten mit den Atomen, die unseren Körper bilden. Daher fühlen wir sie auch nicht. Einer gängigen Theorie zufolge rauschen durchschnittlich pro Sekunde rund 100.000 Teilchen der Dunklen Materie durch eine Fläche, die so groß ist wie ein Daumennagel.
Wie hat man die rätselhafte Materieform entdeckt?
Die Erforschung des rätselhaften Phänomens reicht weit zurück: Schon in den 1930er-Jahren hatte der Schweizer Astrophysiker Fritz Zwicky die Existenz einer unsichtbaren Form von Materie postuliert. Der Wissenschaftler hatte die Geschwindigkeit mehrerer weit entfernter Galaxien beobachtet, die eine Art Ansammlung bilden. Aufgrund komplexer Berechnungen stellte Zwicky fest, dass die Galaxien eigentlich auseinanderfliegen müssten.
Gäbe es nur die sichtbare Materie, also hauptsächlich die Masse der Sterne und des Gases dazwischen, dürften sich gar keine Galaxienhaufen bilden – ihre Gravitationskraft wäre schlicht nicht groß genug, die Sternenarchipele aneinander zu binden. Es musste weitaus mehr als die sichtbare Materie vorhanden sein – etwas, das die Galaxien wie eine Art Klebstoff zusammenhält. Doch Zwickys Theorie wurde von Kollegen belächelt, seine Entdeckung lange Zeit ignoriert.
Erst in den 1970er-Jahren machte die US-Physikerin Vera Rubin eine weitere revolutionäre Beobachtung, die schließlich auch von Astrophysikern weltweit ernst genommen wurde: Sie ermittelte, mit welchem Tempo sich Sterne um das Zentrum einer Galaxie bewegen. Und stellte dabei fest, dass die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Gestirne nur durch die Existenz einer großen, unbekannten Masse zu erklären sind.
Wie viel Prozent aller Materie sind Dunkle Materie?
Wäre allein die sichtbare Materie vorhanden, müssten sich den Gesetzen der Physik zufolge jene Sterne, die sich weit entfernt vom Zentrum einer Galaxie befinden, weitaus langsamer bewegen, als sie es tatsächlich tun. Außerdem stellt man fest: Dunkle Materie, die Galaxien umgibt, lenkt das Licht ferner, weit dahinter liegender Himmelskörper durch ihre immense Masse und die dadurch wirkende Gravitationskraft ab. Das Resultat: Von der Erde aus gesehen, erscheinen die Objekte hinter der Galaxie verzerrt – gerade so, als würde man sie durch eine Art Linse betrachten.
Und es findet sich noch ein anderer Hinweis auf die Existenz der Dunklen Materie. Es gibt eine Strahlung, die das ganze All erfüllt, sie stammt aus der Frühzeit des Universums und ist eine Art Echo des Urknalls: die kosmische Hintergrundstrahlung. Durch deren präzise Vermessung kann man berechnen, wie viel Masse schon in der Urzeit des Universums vorhanden war. Diese physikalischen Quantifizierungen offenbaren, dass die Masse weitaus höher ist als jene, aus der die für uns wahrnehmbare Welt – etwa Sterne, Planeten, Asteroiden, Gaswolken – besteht. Man könnte auch sagen: Man hat das All gewogen und festgestellt, dass noch ein erheblicher Teil an Materie fehlt. Und zwar: rund 85 Prozent.
Wie hat Dunkle Materie das Universum geprägt?
Kosmologen gehen davon aus, dass die Dunkle Masse bei der Entwicklung des Alls eine wesentliche Rolle gespielt hat. Sie hat dem Kosmos Struktur gegeben. Weder Galaxien noch Galaxienhaufen oder auch netzartige Verbände aus Tausenden Galaxienhaufen können ohne die Kraft der Dunklen Materie erklärt werden.
Inzwischen sind Physiker mithilfe moderner Computersimulationen in der Lage, die Strukturbildung und insbesondere die Entstehung der Galaxien im Universum recht genau nachzuvollziehen. Diese Simulationen kommen ohne die Dunkle Materie gar nicht aus.
Wie versucht man, Teilchen der mysteriösen Masse zu finden?
Seit Jahrzehnten versuchen Physiker der Partikel habhaft zu werden. So lässt man mithilfe von großen Teilchenbeschleunigern wie etwa dem CERN nahe Genf Protonen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit zusammenprallen. Bei der Kollision entstehen zahlreiche neue Teilchen. Die Hoffnung: Möglicherweise befindet sich unter diesen neuen Partikeln eben auch ein Teilchen der Dunklen Materie (welches man durch komplexe Berechnungen feststellen könnte).
Andere Forschende gehen davon aus, dass die Dunkle Materie fast nicht mit der sichtbaren interagiert – aber eben nur fast. Es kann, so die Vermutung, zu sehr seltenen Zusammenstößen zweier Partikel kommen. Weil sie so wenig reaktionsfreudig sind, bezeichnen Fachleute die hypothetischen Teilchen der Dunklen Materie daher auch als "WIMPs", englisch für "Schwächlinge". Zugleich ist WIMP eine Abkürzung für "Weakly Interacting Massive Particle", deutsch so viel wie "schwach wechselwirkendes massereiches Teilchen". Wenn es sich bei den Partikeln der Dunklen Materie tatsächlich um WIMPs handelt, müsste es hin und wieder vorkommen, dass ein solches schwach wechselwirkendes Teilchen auf einen Atomkern prallt. Genau auf dieser Annahme basiert ein Detektor in einem Untergrundlabor im italienischen Gran-Sasso-Gebirgsmassiv, an dem Laura Baudis forscht. Es ist der weltweit größte seiner Art.
Noch hat man kein einziges Teilchen jener Materie detektiert, die unser All so reichhaltig durchdringt. Doch wenn, wäre das eine wissenschaftliche Sensation. Denn unter anderem würde die Entdeckung der Teilchen das Standardmodell der Teilchenphysik, das die Eigenschaften der kleinsten Materiebausteine unserer Welt beschreibt, vor immense Herausforderungen stellen. Bislang sind darin keine Partikel der Dunklen Materie vorgesehen. Das Standardmodell bezieht sich allein auf die Teilchen der sichtbaren Materie und müsste somit erweitert werden. Es wäre ein enorm wichtiger Stein der Erkenntnis in einem der größten Puzzles der Wissenschaft.