Massensterben befürchtet Vogelgrippe gefährdet "Serengeti des Südpolarmeeres"

Kolonie von Königspinguinen
In einer Kolonie von Königspinguinen versammeln sich bis zu 200 000 Brutpaare. Über ihnen kreisen Braune Skuas. Die Raubmöven haben vermutlich auf Südgeorgien die Vogelgrippe eingeschleppt
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Eine hoch ansteckende Mutation des Vogelgrippe-Virus hat einen der wichtigsten Brutplätze für Seevögel erreicht: die subantarktische Insel Südgeorgien. Hier brüten vom Aussterben bedrohte Wanderalbatrosse und Millionen von Pinguinen

Erst starben Raubmöven, dann Seeschwalben, Eissturmvögel und Schwarzbrauen-Albatrosse. Selbst vor Säugetieren macht die aktuelle  H5N1 HPAIV-Mutation der Vogelgrippe nicht halt: See-Elefanten und antarktische Seebären infizieren sich ebenfalls. Und das an einem Ort, der kaum abgelegener sein könnte: auf der Insel Südgeorgien, 1400 Kilometer östlich der Falklandinseln im Südpolarmeer. 

Bis zu 3000 Meter hoch ragen schneebedeckte Gipfel aus dem Meer, Gletscher zeichnen weiße Bänder in dunkles Geröll. Kein Baum, kein Gebüsch wurzelt dort, doch die Gewässer der Region sind die nährstoffreichsten des Südpolarmeeres. Das macht Südgeorgien, in etwa so groß wie Mallorca, zu einem der wichtigsten Brutgebiete für Seevögel weltweit: 31 Vogelarten nisten dort, darunter ein Viertel aller Wanderalbatrosse und die Hälfte aller Graukopfalbatrosse. Vier Pinguin-Arten versammeln sich zur Brutzeit, darunter Königspinguine in Mega-Kolonien mit Hunderttausenden Tieren. Auch für Meeressäuger ist das Eiland ein wichtiger Paarungstreff: Im antarktischen Sommer bevölkern rund fünf Millionen antarktische Seebären und 200000 See-Elefanten die menschenleeren Strände. Naturforscher vergleichen den Tierreichtum Südgeorgiens mit jenem der afrikanischen Serengeti. Die Vogelgrippe haben sie bereits mit Sorge erwartet.

Ansicht eines sitzenden und eines fliegenden Albatrosses
Mit einer Flügelspannweite von bis zu 3,5 Metern sind Wanderalbatrosse die größten flugfähigen Vögel weltweit. Zur Paarungszeit fliegen sie ozeanische Inseln wie Südgeorgien an
© Paul Souders / Getty Images

Im Jahr 2020 war die neue Variante HPAIV H5 erstmals aufgetaucht: Sie infiziert nicht mehr nur hauptsächlich Geflügel, sondern auch Wildvögel. Nach Südamerika gelangte sie Ende 2022. Von dort reiste sie im Oktober 2023 erstmals nach Südgeorgien, vermutlich durch Zugvögel, wie eine heute in "Nature Communications" veröffentlichte Studie des Virologen Ashley Banyard rekonstruiert. Einige Monate später wurde das Virus auf noch weiter südlich gelegenen Inseln bei Adélie-Pinguinen und Wanderalbatrossen nachgewiesen. 

Waren die Folgen dieses ersten Viruseintrages auf Südgeorgien noch begrenzt, befürchtet Banyard, dass in den kommenden Jahren eine weitere Verbreitung schwerwiegendere Auswirkungen haben könnte. Alle 48 Vogel- und 26 Meeressäugerarten der Antarktis-Region könnten sich infizieren, darunter viele, die ohnehin schon gefährdet sind. So gelten 17 von 22 Albatrosarten als vom Aussterben bedroht.

Ansicht von Vogelkolonie
Dich gedrängt nisten Schwarzbrauen-Albatrosse an den Steilhängen Südgeorgiens. Ihre Küken werden erst nach 13 Monaten flügge
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Ihr Brutverhalten begünstigt eine Ansteckung: Albatrosse nisten in dichten Kolonien. "Die enge Interaktion während dieser Jahreszeit kann zu einer raschen Ausbreitung der Krankheit führen," so Hort Bornemann, Veterinär am Alfred-Wegener-Institut, "ähnlich dem Massensterben, das bei den vom Virus betroffenen europäischen Brandseeschwalben-Populationen im Jahr 2022 zu beobachten war."

Doch während Seeschwalben bis zu drei Eier legen und ihre Küken nach wenigen Wochen flügge sind, haben die langlebigen Albatrosse extrem langsame Reproduktionszyklen. Sie legen nur alle ein bis zwei Jahre ein Ei, ihre Küken werden erst nach mehr als einem Jahr flügge. Verlieren erwachsene Vögel ihren Partner, vergehen Jahre, bis sie sich wieder paaren. Es dauert also Jahrzehnte, bis sich eine dezimierte Population wieder erholt.

Unter den Küken, die monatelang allein auf ihren Nestern sitzen und nur ab und zu von ihren Eltern versorgt werden, ist die Ansteckungsgefahr bisher offenbar gering. Doch mit dem Beginn des antarktischen Sommers ab Oktober könnte eine neue Infektionswelle beginnen. 

Dann fliegen auch wieder Raubmöven zur Paarung ein, die vermutlich im vergangenen Jahr das Virus eingeschleppt haben. Sie kommen mit einer großen Zahl anderer Arten in Kontakt, etwa wenn sie in Albatros- und Pinguinkolonien Eier stehlen, oder zwischen Robben und See-Elefanten Aas fressen. Die große Tierdichte Südgeorgiens ist also der perfekte Infektionsbeschleuniger.

Seeelefant im Vordergrund und Pinguine im Hintergrund
See-Elefanten teilen sich die Strände Südgeorgiens mit Königspinguinen. Die nahrungsreichen Gewässer rund um die subantarktische Insel ziehen Vögel und Meeressäuger gleichermaßen an
© Ashley Cooper / Getty Images

Dazu kommt: Auf ihren zirkumpolaren Wanderwegen kommen viele Tiere weit herum. Den Weltrekord hält der Wanderalbatros. Keine andere Kreatur reist so schnell so weit wie er: Der größte flugfähige Vogel legt 10 000 Kilometer fast ohne Pausen zurück. So könnte er das Virus zum Beispiel bis nach Neuseeland tragen. 

Die Folgen wären verheerend: Neuseeland hat mehr Vogel- als Säugetierarten, viele davon kommen nirgendwo sonst auf der Welt vor.  Rund 80 Prozent von ihnen sind bedroht, mehr als ein Dutzend stehen bereits vor dem Aussterben. Um wenigstens einige von ihnen vor der Vogelgrippe zu schützen, wurde vor einigen Monaten ein Impfprogramm gestartet. Allerdings nur bei Vögeln in Gefangenschaft: Sie werden im Abstand von einem Monat zweimal geimpft. Für wild lebende Tiere wie Albatrosse ist das leider keine Option.