Große Möwen attackieren seit einiger Zeit gezielt Wale vor einer argentinischen Halbinsel. Für die Meeressäuger habe das schlimme Folgen, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal "Biology Letters". Vor allem Kälber würden von den Verletzungen zunehmend geschwächt, ihre Überlebensrate schwinde. Das ungewöhnliche Möwenverhalten bedrohe inzwischen die Population der betroffenen Region.
Dominikanermöwen (Larus dominicanus) gehören mit gut 50 Zentimetern Körperlänge und einer Flügelspannweite von über einem Meter zu den größten Möwenarten weltweit. Die Vögel fressen Napfschnecken und Abfälle, erbeuten aber auch Fische, kleinere Säugetiere und Vögel.
Attacke auf Mütter und Jungtiere
Vor der argentinischen Halbinsel Valdés nutzen Dominikanermöwen zudem seit rund drei Jahrzehnten bestimmte Wale als Nahrungsquelle: Sie landen auf oben schwimmenden Südkapern und reißen ihnen Haut- und Speckstücke heraus. Vor allem Mütter mit Jungen werden inzwischen attackiert, wie die Forschenden erläutern. Fast alle von ihnen erleiden demnach Verletzungen. Südkaper (Eubalaena australis), auch Südliche Glattwale genannt, ziehen an den Küsten von Argentinien, Brasilien und Uruguay ihre Kälber auf.
Die durch Möwen verursachten Wunden pro Kalb haben seit Mitte der 1990er Jahre deutlich zugenommen, wie das Team um Macarena Agrelo von der Universidade Federal de Santa Catarina in Florianópolis berichtet. Seit 2003 sei lokal eine ungewöhnlich hohe Sterblichkeit der Kälber erfasst worden. Vermutet werde, dass die Möwenattacken die Ursache sind, zumal die Vögel am liebsten auf bereits verletzte Tiere abzielten.
Stresshormone steigen: Wale fliehen vor den Angreifern
Beobachtet wurde bereits, dass die Wale wegen der ständigen Bedrohung seltener zum Atmen auftauchen und schneller schwimmen. Insgesamt entfielen inzwischen rund ein Viertel der Tageslichtstunden darauf, vor den Möwen zu fliehen, erläutert das Team um Agrelo. Der Energiebedarf der Tiere steige dadurch, zugleich würden die Kälber weniger gestillt. Bluttests bei verendeten Tieren hätten erhöhte Stresshormon-Level ergeben.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysierten nun für fast 600 Wale, die in dem Gebiet ab 1974 in ihrem Geburtsjahr fotografiert worden waren, spätere erneute Aufnahmen zwischen 1974 und 2017. Einige Jahre wurden wegen mangelnder Daten ausgeschlossen. Der Auswertung zufolge überlebten wohl immer weniger Kälber ihr erstes Lebensjahr – zumindest gab es von ihnen keine erneuten Bilder. Die Schwere der von den Möwen verursachten Wunden nahm zu.
Mögliche Lösung: Futterquellen für Möwen eindämmen
Aus der Kinderstube vor Valdés wandern die Walmütter mit ihren Kälbern zu weit entfernten Sommerfutterplätzen. Sei der Gesundheitszustand der Jungtiere infolge der zugefügten Wunden schlecht, sinke vermutlich ihre Chance, diese anstrengende Reise zu überstehen, erläutert das Team um Agrelo.
Eine andere mögliche Erklärung dafür, dass ein immer höherer Anteil der Kälber nicht noch einmal vor der Halbinsel fotografiert wurde, könnte allerdings auch sein, dass die Tiere nicht dorthin zurückkehrten, sondern verstärkt in andere Küstenregionen abwanderten, geben die Forschenden zu bedenken. Eine Ausweitung der Fotodokumentation auf weitere Gebiete solle diesen möglichen Einflussfaktor klären helfen.
Als sinnvolle Maßnahme sieht das Team an, in der Region die Verfügbarkeit von Abfällen und anderen vom Menschen geschaffenen Futterquellen für die großen Möwen gezielt einzudämmen.