Termiten zählen zu den beeindruckendsten Architekten der Natur. In gemeinsamer Anstrengung konstruieren die staatenbildenden Insekten zum Teil meterhohe Bauwerke über und unter der Erde. Doch wie genau die Tausenden bis Millionen Individuen sich dabei abstimmen, ist bis heute rätselhaft.
Forscher um Andrea Perna und Giulio Facchini von der University of Roehampton in London sind nun auf einen überraschenden Mechanismus gestoßen, wie sie im Fachjournal "eLife" berichten.
Demnach lassen sich die Insekten, genauer die Vertreter der asiatischen Art Coptotermes gestroi, offenbar nicht wie lange vermutet nach dem Vorbild der Ameisen von Pheromonen leiten. Die Forscher glauben vielmehr, dass die Insekten sich an den Verdunstungsmustern ihrer Umgebung orientieren. Doch wie kommen sie darauf?
Die Termiten folgen auch im Labor ihrem Bauinstinkt
Um den sechsbeinigen Architekten auf die Spur zu kommen, füllten die Forscher zunächst kleine Petrischalen mit Lehm. Anschließend setzten sie eine Handvoll Termiten in die Schalen.

Sofort machten sich die Insekten daran, kleine Säulen und Pfeiler aus Lehm zu errichten. Die Forscher überwachten die Bautätigkeit mittels einer Kamera und eines 3-D-Scanners, die auf die Schale gerichtet waren.
Die Krümmung der Umgebung weist den Weg
Bei ihren Beobachtungen fiel ihnen auf, dass die Termiten bevorzugt an unebenen Stellen mit starker Krümmung bauten. Dies bestätigte sich, als sie die Schale mit vorgefertigten Säulen und Wänden bestückten: Die Tiere begannen umgehend damit, die Säulen mit Lehmbröckchen zu bekleben und die steilen Seitenwände mit Lehm abzurunden:

Zudem haben Computersimulationen gezeigt: Wenn Baumaterial vorwiegend an den am stärksten gekrümmten Stellen hinzugefügt wird, werden aus Unebenheiten Säulen, aus Säulen Verzweigungen und aus Verzweigungen Höhlen und Gänge. Auf diese Weise könnten genau jene komplexen Strukturen entstehen, die im Inneren von Termitennestern vorherrschen.
Termiten bauen vor allem dort, wo es trocken ist
Allerdings rätselten die Forscher, wie die Termiten überhaupt in der Lage sind, die Krümmung zu messen. Die Tiere scheinen jedenfalls keinen besonders scharfen optischen Sinn zu haben. So kann sich zum Beispiel ein Käfer, der eine riesige Termitenattrappe auf seinem Rücken herumträgt, unbemerkt bei den Insekten einnisten und durchfüttern lassen, wie Forschende erst kürzlich entdeckten.
Worüber Termiten aber zweifellos verfügen, ist ein ausgeprägter Sinn für Feuchtigkeit. "Termiten haben ein dünnes Exoskelett und eine weiche Haut, was bedeutet, dass selbst eine längere Exposition gegenüber einer Luftfeuchtigkeit von unter 70 Prozent für sie tödlich sein kann", erläutert Perna.
Das brachte die Forscher auf die Idee, dass die Krümmung der Strukturen in der Petrischale die Verdunstung beeinflusst – und dass die Termiten dies spüren.
Salzkristalle legen Verdunstungsmuster offen
Um ihre These zu testen, mischten die Forscher den Lehm mit Natriumbicarbonat, das bei Verdunstung auskristallisiert. Sie verteilten ihn nach dem gleichen Muster wie zuvor in der Petrischale. Als das Wasser aus dem Lehm verdunstete, wuchsen dort, wo besonders viel Wasser entschwand, größere Salzkristalle. Wie vermutet, waren dies auch die Stellen mit der größten Krümmung.
Die Forscher sind sich sicher, dass sich die Termiten beim Nestbau von eben dieser Verdunstung leiten lassen. Dafür spricht, dass sich im Zuge der Bautätigkeit die Krümmung und damit die Verdunstung ständig verändert und wie von unsichtbarer Hand die Termiten mal an die eine, mal an die andere Stelle lenkt. Lehmbrocken für Lehmbrocken entsteht so ein ausgeklügeltes Gebilde, in dem Verdunstung, Temperatur und Belüftung perfekt reguliert sind.
Auch unterirdisch lebende Termiten "bauen" Nester
"Das Anbringen von Baumaterial an Stellen, an denen die Luftfeuchtigkeit schnell abnimmt, könnte eine einfache Anpassungsreaktion gewesen sein, die bereits bei den Vorfahren der Termiten vorhanden war; und die dann von der Evolution genutzt wurde, um die sehr komplexen Strukturen zu schaffen, die von einigen heutigen Termitenarten gebaut werden", vermutet Perna.

Doch wenn Coptotermes gestroi überwiegend unterirdisch lebt, müsten die Termiten dann nicht graben, anstatt zu bauen? "Interessanterweise 'bauen' Arten, die unterirdisch leben, ihre Nester oft in unterirdischen Hohlräumen", sagt Perna, "wir wissen das, weil wir sehen, dass das Baumaterial anders ist. Der umgebende Boden besteht zum Beispiel aus Sand, aber die von Termiten gebauten Strukturen sind aus Lehm oder anderen Materialien."
Termiten könnten dabei helfen, den Mond zu besiedeln
Deshalb sind die Forscher zuversichtlich, dass sich die Erkenntnisse auch auf andere, vorwiegend oberirdisch lebende Spezies übertragen lassen. Möglicherweise könnten sie erklären, wie die spektakulären, meterhohen Monumente mancher Wüstenarten zustande kommen. Die Megabauten haben wegen ihre natürlichen "Klimaanlage" sogar schon menschliche Architekten inspiriert.
Einst könnten die ausgeklügelten Bauwerke gar als Vorbild zur Errichtung von Siedlungen auf dem Mond aus Mondgestein dienen, wie Forschende der University of Arizona kürzlich vorgeschlagen haben. Die Mondsiedlung müsste extremen Temperaturschwankungen von bis zu 280 Grad trotzen und steht damit vor ähnlichen Herausforderungen wie Termitenstaaten in der Wüste.