Die Fortpflanzung von Ameisen ist ein komplexes Unterfangen: Nach der Paarung legt die Königin sowohl befruchtete Eier, aus denen Arbeiterinnen schlüpfen, als auch unbefruchtete Eier, aus denen sich geflügelte Männchen entwickeln. Die Ernteameise Messor ibericus aber treibt die Komplexität auf ein neues Level – und bricht eine der fundamentalsten Regeln der Biologie: Aus ihren Eiern schlüpft der Nachwuchs zweier unterschiedlicher Arten. Dafür braucht sie noch nicht einmal eine Kolonie der fremden Art in ihrer Nähe. Stattdessen klont sie die Männchen dieser Art, um an ihr Spermium zu gelangen, schreiben Forschende in einer aktuellen Studie im Fachmagazin "Nature".
Messor ibericus, die auch an einigen warmen Orten Deutschlands vorkommt, dem Kaiserstuhl etwa oder der Rheinregion, ist ein sexueller Parasit: Die Königin ist auf das Sperma einer anderen Ameisenart angewiesen, Messor structor. Dieses benötigt sie, um eine Armee von sterilen Arbeiterameisen zu züchten, die ein Hybrid beider Arten sind, und die fortan für den Nestbau, die Aufzucht der Larven und die Nahrungssuche zuständig sind. So weit, so gewöhnlich – in der Welt der Ameisen. An einigen Orten in Europa überschneiden sich die Verbreitungsgebiete der beiden Ameisenarten, die Königinnen von M. ibericus erhalten so reichlich Nachschub an M.structor-Männchen und werden mit deren Sperma versorgt. Doch was tun, wenn keine Kolonie von M. structor mehr in der Nähe ist?
Die beinahe unglaubliche Antwort auf diese Frage fand Jonathan Romiguier, Mitarbeiter am Institut für Evolutionswissenschaften in Montpellier, auf Sizilien. Dort entdeckten er und sein Team in den Kolonien von M. ibericus eine zweite Art von Ameisen, die sich äußerlich deutlich von den anderen Ameisen der Kolonie unterschieden. Eine Genanalyse bestätigte, dass neben M.ibericus tatsächlich auch Ameisen der Art M. structor durch die Kolonien krabbelten – obwohl die nächste bekannte Kolonie dieser Art 700 Kilometer entfernt liegt.
Dieselbe Mutter, andere Art
Die Forschenden vermuten deshalb, dass die Königinnen von M. ibericus die Männchen von M. structur fortlaufend klonen. Dazu lassen sie Sperma in ihre Eier eindringen, dass von M. structur-Männchen stammt, die vermutlich vor langer Zeit in ihrer Nähe lebten. Dann entfernen die Königinnen jedoch ihre eigenen Gene, um eine Befruchtung zu verhindern und männlichen Nachwuchs sicherzustellen. Genanalysen zeigten, dass die mutmaßlich geklonten Männchen tatsächlich ausschließlich M. structor-DNA in ihrem Zellkern tragen – während die Mitochondrien von M. ibericus stammen.Das werten die Forschenden als Beweis dafür, dass die geklonten Männchen aus den Eiern der fremden Art geschlüpft sind. "Infolgedessen weisen Männchen derselben Mutter unterschiedliche Genome und Morphologien auf, da sie zu Arten gehören, die sich vor über fünf Millionen Jahren auseinanderentwickelt haben", schreiben die Forschenden in ihrer Studie. "Uns ist bisher keine andere Beobachtung von Weibchen bekannt, die Mitglieder einer anderen Spezies klonen mussten." Die Ameise ist damit der einzige bekannte Organismus, der absichtlich – und nicht etwa durch den Befall eines Parasiten – zwei Arten aus sich selbst vermehrt.
Die geklonten Männchen sichern nun einerseits den Spermavorrat der Königin und zeugen mit ihr andererseits die hybriden Arbeiterinnen, die sie für den Erhalt ihres Staates braucht. Und so ergibt eine der komplexeste bisher bekannten Fortpflanzungen im Tierreich am Ende doch Sinn.