Diese Zufallsbegegnung gewährte einen seltenen Einblick in die sonst verborgene Welt in der Tiefe der Ozeane: Als das ferngesteuerte Tauchfahrzeug Ventana des Monterey Bay Aquarium Research Institute kürzlich über einen dunklen Abgrund vor der Küste Kaliforniens glitt, tauchte im Lichtkegel der Kameras ein Wesen auf, das so selten zu sehen ist, dass Forschende es in vier Jahrzehnten kaum eine Handvoll Mal lebend dokumentieren konnten: Haliphron atlanticus, der Siebenarm-Oktopus – von manchen auch liebevoll blob octopus genannt, wegen seiner formlosen, weich-wabbeligen Silhouette.
Dabei täuscht sein Name: Natürlich verfügt auch dieser Kraken über acht Arme. Doch die männlichen Tiere verbergen einen davon sauber verpackt in einer Tasche unter ihren rechten Auge. Wer einen der Oktopus-Männer nur flüchtig sieht, mag daher glauben, eines seiner Gliedmaßen fehle. Doch der achte Arm erfüllt eine Spezialaufgabe: als Fortpflanzungsorgan, das sich mitsamt seiner Spermienladung an die Partnerin heftet und mitunter sogar vom Körper abreißt. Worauf der Krakenmann stirbt.
In einer Tiefe von 706 Metern begegnete das Forschungsteam allerdings einem Weibchen. Einem großen, weinrot schimmernden Wesen, das ein durchscheinendes Etwas fast wie einen Talisman mit sich führte. Beim Näherkommen zeigte sich: Die Oktopus-Dame hielt eine Helmqualle (Periphylla periphylla) fest im Griff. Schon 2017 hatte eine Sichtung Hinweise geliefert, dass der siebenarmige Krake eine Vorliebe für gelatinöse Beute hegt. Damals hatte ein Weibchen eine andere Qualle umschlungen, und die Analyse von Mageninhalten aus Museumspräparaten des Monterey Bay Aquarium bestätigte später: Dieser Oktopus ernährt sich tatsächlich auch von Quallen.
Die Oktopus-Damen wachsen zu Riesinnen heran. Ihre Männer bleiben zwergenhaft klein
Das mag überraschen, denn Quallen sind nur begrenzt nahrhaft. Doch schweben sie in großer Zahl durch die Tiefsee – und wer dort satt werden und wachsen will, nimmt, was sich bietet. Haliphron atlanticus frisst offensichtlich vor allem das glockenartige Körpergewebe seiner Beute. So gering der Nährstoffgehalt der Quallen-Mahlzeiten sein mag, so groß werden die Räuber, jedenfalls die Weibchen. Sie erreichen eine Länge von bis zu vier Metern und können rund 75 Kilogramm wiegen. Die Männchen hingegen werden kaum länger als eine menschliche Handspanne. Und drohen dann beim Sex auch noch einen ihrer Arme zu verlieren.
Jenseits der Grundversorgung scheint die Quallen-Beute einen weiteren Vorteil zu haben. Auf dem Video ist nämlich Sonderbares zu beobachten: Die giftigen Tentakel der Qualle läßt die Jägerin hinter sich her schweben, möglicherweise als improvisierten Schutzschirm gegen andere hungrige Tiefseebewohner. Denn der siebenarmige Oktopus steht auf dem Speiseplan von Haien, Orcas, Thunfischen oder Pottwalen. In einer Welt voller Bedrohungen muss jeder Trick recht sein.