Als Kapitän Paul Watson mit der 25-köpfigen Crew der "John Paul DeJoria" am 21. Juli in Grönland festmachte, um zu tanken, muss er gewusst haben, was ihm drohte. Immer wieder hat der heute 73-Jährige "Sea Shephard"-Gründer Walfangnationen provoziert. Er ging weiter als jede Tierschutzorganisation vor ihm, bis an die Schmerzgrenze. Er ließ es auf Kollisionen ankommen. Er drängte sich, wie er es nennt, mit "aggressiver Nichtgewalt" zwischen Jäger und Gejagte. Machte das Fleisch schon getöteter Tiere mit Stinkbomben unbrauchbar.
Und er hat es auch auf Verhaftungen ankommen lassen. Wohl in dem Vertrauen darauf, dass er das Recht auf seiner Seite habe. Das Recht, große, intelligente, empfindsame und soziale Säugetiere vor der Harpune und einem oft qualvollen und sinnlosen Tod zu bewahren. So auch 2010 im Südatlantik, als Watson einen japanischen Walfänger störte.
Über das, was damals tatsächlich geschah, gibt es zwei Versionen. Für die Walfangnation Japan, der Watson schon seit Jahrzehnten auf die Nerven geht, ist der Fall klar: "Einbruch in ein Schiff", "Sachbeschädigung", "gewaltsame Behinderung von Geschäften" und "Körperverletzung" lauten die Vorwürfe. Auf Antrag Japans stellte Interpol 2012 einen internationalen Haftbefehl aus. Interpol-Mitgliedsländer werden damit aufgefordert, die gesuchten Personen vorläufig festzunehmen und auf Antrag auszuliefern. Sie müssen es aber nicht.
Dänemark hatte sich in eine diplomatische Sackgasse manövriert
Die dänische Justiz – Grönland ist zwar weitgehend selbstständig, gehört aber zum Königreich Dänemark – entschied sich im Juli, zuzugreifen. Und brachte sich damit ohne Not in eine schwierige Lage. Denn nun gab es nur noch "laufen lassen" oder "ausliefern". Im ersteren Fall hätte sich das Land, das zu Recht stolz ist auf eine lange demokratische und rechtsstaatliche Tradition, dem Verdacht ausgesetzt, sich internationalem Druck gebeugt zu haben. Schließlich haben sich nach der Festnahme Watsons Prominente wie Frankreichs Staatspräsident Emanuel Macron oder die Primatologin Jane Goodall für den Kapitän eingesetzt.
Kaum weniger problematisch wäre die zweite Option gewesen. Das EU-Land hätte Watson in diesem Fall an ein Land ausgeliefert, das nach einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs in der Antarktis jahrelang illegal Wale gejagt hat. Und dessen Rechtssystem von Human Rights Watch als "Geiseljustiz" kritisiert wird. Für Verdächtige gilt demnach nicht die Unschuldsvermutung, sondern sie werden vor der Verhandlung häufig für lange und willkürlich festgelegte Dauer eingesperrt – um Geständnisse zu erzwingen. Das japanische Strafrechtssystem basiere auf "Gesetzen, Verfahren und Praktiken, die systematisch die Rechte der Angeklagten verletzen". Watson hätten in Japan bis zu 15 Jahre Haft gedroht – ein Strafmaß, das in keinem Verhältnis zu den angeblichen Taten des Aktivisten steht.
Die dänische Justiz hat sich nun für die erste Option entschieden: Sie ließ Watson frei. Und hat damit einen internationalen Aufschrei der Empörung vermieden. Warum die Dänen allerdings fast fünf Monate brauchten, um zu einer Entscheidung zu gelangen, wird wohl Gegenstand von Spekulationen bleiben.
Übrigens hat nicht nur Japan, sondern auch Dänemark ein Problem mit Watson. Ist es doch seine Organisation Captain Paul Watson Foundation, die das alljährliche Grindwal-Gemetzel auf den zum Königreich gehörigen Färöern anprangert und behindert.
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hatten wir geschrieben, Watson kämpfe mit seiner Organisation Sea Shepherd gegen den Grindwalfang auf den Färöern. Der von ihm gegründeten Organisation gehört Watson allerdings nicht mehr an.