Riesenschildkröten sind friedfertige, vegetarische Giganten. Zumindest wirken sie so. Doch dieses Bild von den gepanzerten Echsen muss revidiert werden. Sie machen nämlich Jagd auf Vögel – und fressen sie. Das ungewöhnliche Fressverhalten konnte nun zum ersten Mal in einem Video dokumentiert werden.
Aufgenommen im Wald von Frégate, einer Seychellen-Insel, zeigt es, wie eine weibliche Riesenschildkröte auf eine junge Seeschwalbe zugeht, sie mit geöffnetem Maul bedroht und nach quälend langen Momenten der vergeblichen Gegenwehr verschlingt.
Aufgenommen von Anna Zora, der stellvertretenden Naturschutz- und Nachhaltigkeitsmanagerin der Insel, ist das Video wohl das erste, das eine solche Zeitlupen-Attacke zeigt. Über das ungewöhnliche Verhalten berichtet ein Forscherteam nun in der "Fachzeitschrift Current Biology."
Dass der Vorfall kein Zufall war, bestätigt der Biologe Justin Gerlach von der Universität Cambridge in einer Mitteilung. "Für mich sah es aus, als hätte dieses Individuum schon zuvor erfolgreich gejagt; sie schien zu wissen, was sie tat."
Hohe Vogeldichte macht das Fressverhalten wahrscheinlicher
Dass der Vogel nicht versucht zu fliehen, erklärt der Biologe so: Die auf der Insel verbreiten Seeschwalben brüten auf Bäumen. Wenn Küken aus dem Nest fallen, vermeiden sie instinktiv den Boden – und bleiben um jeden Preis auf der erhöhten Sitzwarte.
Für die Schildkröten ist der gefiederte Snack offenbar eine willkommene, kalzium- und proteinreiche Ergänzung des Speiseplans. Und möglicherweise ein Ergebnis des Naturschutzes.
Während die Seeschwalben- und die Schildkröten-Populationen auf der Insel in den vergangenen Jahrhunderten stetig abgenommen hatten, zeigten die Schutzbemühungen der letzten Jahre Erfolg: Sowohl die Zahl der Vögel als auch die der Schildkröten nahmen zu. Und damit auch die Gelegenheiten für die Echsen, nach einer Seeschwalbe zu schnappen.
"Wir haben auf der Insel Bedingungen für natürliche Verhaltensweisen geschaffen, die die Menschen seit Hunderten von Jahren nicht gesehen haben", sagt Justin Gerlach.