10.000 Jahre: So lange standen sie herum und wurden von Bauern, Jägern oder einfach nur Spaziergängern beobachtet, ohne dass es auch nur einem aufgefallen wäre: Rinder und Rehe orientieren sich beim Ruhen, aber auch beim Grasen und Äsen, an der Nord-Süd-Achse des Erdmagnetfeldes. Das legt eine vor kurzem veröffentlichte Studie eines deutsch-tschechischen Forscherteams nahe. Die streng wissenschaftliche Untersuchung in dem renommierten Journal PNAS hat für reichlich Wirbel in der Öffentlichkeit gesorgt. Sind die mental doch eher einfach gestrickten Wiederkäuer geheimnisvoller als gedacht? Schon war in Blogs von einem buchstäblichen „Kuh-Kompass“ die Rede, die ersten wollten bereits nach Metallnadeln im Kuhmagen fahnden.
Rind und Reh sind richtungstreu
„Das Telefon stand letzte Woche nicht mehr still vor lauter Anfragen“, erzählt Sabine Begall, Biologin an der Universität Duisburg-Essen und Mitautorin der Studie, mit einer Mischung aus Befremden und Begeisterung. „Völlig überwältigt“ sei man gewesen von der Resonanz, die das Paper hervorgerufen hat. „Aber es kursieren so viele Gerüchte um unsere Ergebnisse, weil viele sich in ihrer Kritik auf Infos aus zweiter Hand verlassen und kaum jemand die Untersuchung selbst liest.“
In ihr werten die fünf Wissenschaftler zahlreiche Satellitenaufnahmen durch Google Earth und eigene Beobachtungen vor Ort aus, um zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass 60 bis 70 Prozent der beobachteten Kühe und Rehe ihre Körperachse am Magnetfeld der Erde ausrichten. Diese These erhält weitere Nahrung durch Ausschluss von Gegenargumenten. Denn dass ruhende Kühe und Rehe sich nach dem Wetter orientieren, ist bekannt und wenig überraschend. Wie der Mensch auch, bevorzugen sie es, den Kopf zur Sonne zu drehen und Regen wie Wind den Rücken zu kehren. Wetterfühlig sei das Rindvieh, weiß schon die alte Bauernregel „Wenn die Kuh das Maul nach oben hält im Lauf, so ziehen bald Gewitter auf“ zu berichten.
Das Wetter ist nicht allein ausschlaggebend
Die Studie zeigt nun aber, dass Wetterverhältnisse nicht den alleinigen Ausschlag für die Lieblingsrichtung der Tiere geben können. Erstens sind die über Satellit ausgewerteten Weideplätze über verschiedene Landschafts- und Klimaregionen zerstreut. Zweitens haben sich tschechische Wissenschaftler um die 3000 Rehe an unterschiedlichen Orten und unter verschiedenen Klimabedingungen angeschaut und auch dort eine Nord-Süd-Orientierung unabhängig von Sonne, Wind und Temperatur erkannt.
Zudem wurden die Tiere auch bei Nacht beobachtet, was den Einfluss der Sonne natürlich ausschließt. Untermauern konnten sie ihre Feststellung noch durch die Auswertung von Rehspuren im Schnee. Schließlich stellten die Forscher fest, dass Tiere im hohen Norden sich offenbar nicht am geografischen, sondern am magnetischen Nordpol ausrichteten.
Die empirische Basis der These stützt sich also nicht allein auf satellitengestützte Naturbeobachtung, wie in einigen Meldungen und Kommentaren irrtümlich angenommen, sondern auch auf unmittelbare Feldforschung.
Die Frage nach dem Warum
Die Autoren wollen ihre Studie vor allem als Denkansatz für weitere Forschung verstanden wissen. Denn das Problem, das auch die Studie nicht lösen kann, ist das dahinter liegende Warum. Was bei Zugvögeln und Tauben sofort einleuchtet, bleibt zumindest bei unserem Hausrind rätselhaft. Da es keine größeren Wanderungen unternimmt, sondern relativ standorttreu ist, braucht es eigentlich überhaupt keine Nord-Süd-Ausrichtung.
Zu vermuten wäre hinter dem inneren Magnetskompass der Wiederkäuer eine Art archaisches Erbe, das die Zeiten überdauert hat. Ganz zweckfrei sei der Magnetsinn der Kühe dennoch nicht, stellen die Autoren der Studie in einem zweiten Paper klar, das die gröbsten Missverständnisse auszuräumen sucht. Schließlich gehöre der Mensch auch nicht zu einer ausgesprochenen Wanderspezies. Trotzdem finde wohl jeder, der einmal in unwirtlichem Gelände unterwegs war, einen richtigen Kompass sinnvoll. In Sachen Orientierung hat uns das Rindvieh offenbar einiges voraus. Und dass seine Wanderung an einem Elektrozaun endet, ist nun wirklich nicht seine Schuld.