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Tierversuchszahlen 2016 Wieder mehr Tierversuche: Wie man unnötiges Leid abschaffen könnte

Tierversuch, Ratte
312.654 Ratten wurden 2016 in wissenschaftlichen Tierversuchen "verbraucht" - fast 8000 weniger als im Vorjahr. An den Gesamtzahlen ändert das wenig
© picture alliance / CHINAFOTOPRESS/MAXPPP
Die Zahl der für die Wissenschaft getöteten Tiere steigt. Dabei könnte es längst alternative Testverfahren geben, würde man den Ausstieg aus dem Tierversuch ernst nehmen. Ein Kommentar von GEO.de-Redakteur Peter Carstens

Kurz vor dem Jahresende, mitten im Weihnachts- und Silvestertrubel, gab die Bundesregierung die neuen Tierversuchszahlen bekannt. Der Blick auf die Gesamtzahl verrät, warum der Zeitpunkt gut gewählt war: Sie ist erneut gestiegen. Und das, obwohl sich die Mitgliedsstaaten der EU im Jahr 2010 per Richtlinie sogar auf eine komplette Abschaffung von Tierversuchen verpflichtet haben.

Knapp 2,8 Millionen Tiere wurden demnach im Jahr 2016 „verbraucht“, wie es im Fachjargon heißt. Das sind fast 1,6 Prozent mehr als im Vorjahr. 70 Prozent von ihnen, fast zwei Millionen Tiere, waren Mäuse. Dagegen erscheint die Zahl der Katzen (485) und Hunde (2008) fast vernachlässigbar gering. Zwar gibt es bei fast allen „klassischen“ Versuchstieren einen leichten Rückgang, darunter bei den Primaten, Kaninchen, Ratten und Mäusen. Zuwächse verzeichnen allerdings die Schweine, Rinder, Schafe, das Geflügel und vor allem (gentechnisch veränderte) Fische.

Tierversuchsgegner rechnen darüber hinaus mit einer großen Dunkelziffer. Also Tieren, die nicht gemeldet werden müssen und in keiner Statistik auftauchen. Tiere, die als lebender Vorrat, zum Beispiel einer genetischen Zuchtlinie, gehalten werden, aber nicht zum Einsatz kommen. Oder Tiere, die nach einer genetischen Manipulation nicht die gewünschten Merkmale haben – und direkt entsorgt werden.

Dieser Befund ist in doppelter Hinsicht problematisch.

Denn zum einen mehren sich die Hinweise, dass nicht nur Primaten, Hund und Katz, sondern auch Schweine und sogar Fische uns ähnlicher sind als wir dachten. Bücher über verblüffend schlaue und soziale Tiere haben seit Jahren Konjunktur, und das Interesse ebbt nicht ab. Schon werden Stimmen laut, zumindest den „schlauesten“, uns Menschen ähnlichsten unter den Tieren Rechte zu verleihen, um sie so gegen eine kommerzielle Ausbeutung durch die Spezies Mensch zu schützen. Parallel zu dieser Debatte unter Biologen, Verhaltensforschern und Tierrechtlern wird die Frage immer leidenschaftlicher diskutiert, ob die Nutzung von empfindungsfähigen Lebewesen überhaupt legitim oder ethisch zu vertreten ist. In den aktuellen Tierversuchszahlen spiegelt sich das wachsende öffentliche Unbehagen jedenfalls nicht.

Der Ausstieg aus dem Tierversuch braucht einen Termin

Wer solche ethische Erwägungen zulässt, dem stellt sich eine zweite Frage: Wie können wir den "Tierverbrauch" reduzieren – oder ganz abschaffen, ohne den medizinischen Fortschritt oder die hohen Sicherheitsanforderungen an neue Produkte in Frage zu stellen, um nur zwei Beispiele zu nennen? An Antworten arbeiten Forscher seit Jahren – zum Teil mit gutem Erfolg. Tierfreie Testmethoden, wie zum Beispiel Zellkulturen oder Computermodelle, gibt es längst. Allerdings kostet deren Entwicklung Millionen Euro, die Zulassungsverfahren dauern 15 Jahre und länger.

Was die Bundesregierung hier an Unterstützung leistet, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Zwar unterstützte das Forschungsministerium seit 1980 gut 530 Projekte mit 170 Millionen Euro. Doch Förderprogramme, die ausschließlich der Entwicklung von Alternativen zum Tierversuch zu Gute kommen, existieren nicht.

Ein echter Wille zum Ausstieg ist nicht erkennbar. Von einem Fahrplan, geschweige denn einer konkreten Deadline für den Ausstieg fehlt bislang jede Spur. Dabei wäre genau das notwendig, um nicht nur den moralischen, sondern auch den wissenschaftlichen Fortschritt voranzutreiben.

Unser Nachbar im Westen macht es vor. Bis 2025 wollen die Niederlande aus staatlich vorgeschriebenen Tierversuchen für Sicherheitsüberprüfungen aussteigen. Zum einen, um endlich mit der EU-Richtlinie zur Abschaffung von Tierversuchen ernst zu machen. Vor allem aber, um zum "Weltführer bei tierfreier Laborinnovation" zu werden.

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