Wale "Biotwang"-Rätsel gelöst: Urheber des mysteriösen Unterwasser-Sounds ist gefunden

Brydewal unter Wasser
Der Brydewal ist ausgerechnet nach dem Norweger Johan Bryde benannt, der die erste Walfangstation in Südafrika errichtete
© Bluegreen Pictures / imago images
Ein tiefes Stöhnen, dann ein metallischer Klang: Das Geräusch, das Forschende 2014 im Marianengraben aufzeichneten, gab Rätsel auf. Schon länger standen Wale als Verursacher im Verdacht. Nun ist geklärt, welche Spezies da tönt. Ein KI-Modell verrät sogar, wo und wie oft der "Biotwang" auftritt

2014 werteten Forschende der Cornell University und der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde der USA (NOAA) Tonaufnahmen aus dem Westpazifik aus. Ein autonomer Unterwassergleiter hatte sie nahe der Marianeninseln aufgezeichnet, in einer Übungszone des US-Militärs. Unter all den Geräuschen des Meeres stach eines heraus: eine Art tiefes Stöhnen, gefolgt einem höherfrequenten, metallischen Klang. Es erinnerte an Sound-Effekte aus Science-Fiction-Filmen. Die Forschenden tauften es "Biotwang". Schon damals hatten sie Wale als Urheber in Verdacht, denn die Aufnahme ähnelte entfernt den "Star Wars"-Rufen des Minkwals, die Militär-U-Boote bereits in den 1950er-Jahren aufgezeichnet hatten. Doch erst 2005 fanden Meeresforschende heraus, wer die bizarren Geräusche absetzte.

Dem Biotwang kam man deutlich schneller auf die Spur. Als ein Team der NOAA 2018 in das Gebiet um Guam reiste, um nach Meeressäugern Ausschau zu halten, sichteten sie im Lauf eines Monats zehnmal Brydewale: mal ein einzelnes Tier, mal kleinere Gruppen oder Mütter mit Kälbern. Sie ließen Horchbojen zu Wasser, um die Rufe der Tiere aufzuzeichnen. Und siehe da: In neun von zehn Fällen erklang der bizarre Biotwang.

Hören Sie hier den Biotwang

Brydewale sind Bartenwale. Sie werden zwischen zwölf und vierzehn Meter lang und tummeln sich das ganze Jahr über in warmen Meeresregionen. Wer sie erforschen will, steht jedoch vor einem Problem. Wale sind groß, der Ozean ist größer. Die Tiere legen weite Strecken zurück, und sobald sie abtauchen, sind sie praktisch unauffindbar. Das macht ihre Rufe für die Wissenschaft so wertvoll: Sie verbreiten sich unter Wasser über weite Strecken und unterscheiden sich nicht nur zwischen Spezies, sondern oft auch zwischen Populationen.

Eine KI lauscht 200.000 Stunden Tonmaterial

Nachdem die Forschenden um Ann Allen den Brydewal als Urheber des Biotwangs identifiziert hatten, machten sie sich daran, mehr über das Geräusch und seine Bedeutung herauszufinden. Sie suchten es in Tonaufnahmen fest installierter Unterwassermikrofone von den Marianeninseln bis nach Hawaii. Es galt, 200.000 Stunden Material zu sichten, das bis ins Jahr 2005 zurückreichte. Ein Mensch hätte dazu 23 Jahre lang nonstop lauschen müssen. 

Deshalb übertrug das Team den Job einer Künstlichen Intelligenz von Google. Die Forschungssparte des Konzerns kooperiert bereits seit Längerem mit Meeresbiologen und -biologinnen in Kanada und den USA, um die Rufe verschiedener Walspezies in Unterwasseraufnahmen automatisch zu klassifizieren. Ihr selbstlernender Algorithmus filtert Hintergrundgeräusche und menschengemachten Lärm heraus und zerhackt die Aufnahmen in fünfsekündige Schnipsel, die er in Grafiken, Spektrogramme, umwandelt. Als "Shazam für Wale" bezeichnet das Wissensmagazin "New Scientist" Googles Modell: Es erkennt die Gesänge der Meeressäuger, so wie die gleichnamige App Lieder erkennt. Die neueste Version kann acht Spezies identifizieren, darunter Buckelwale, Orkas, Minkwale und eben Brydewale. 

Innerhalb weniger Stunden durchkämmte die KI 500 Terabyte an Audiodaten aus dem Westpazifik nach dem Biotwang. Nur nahe der Marianeninseln und am Wake-Atoll war das Geräusch regelmäßig zu hören. Die Forschenden schließen daraus, dass es einer bestimmten Population von Brydewalen im Westpazifik eigen ist. Sie vermuten, dass die Tiere damit Artgenossen ihre Position übermitteln.

Das Auftreten des Biotwangs folgte übers Jahr hinweg einem Muster, das sich mit den Wanderungen der Wale deckte. Von Februar bis April und von August bis November war es häufiger zu hören. Auch Klimaphänomene beeinflussten die Frequenz: Im El-Niño-Jahr 2016 erklangen viele Biotwangs. Im El-Niña-Jahr 2021 schienen die Wale aufgrund veränderter Meeresströmungen einer anderen Route zu folgen. Die Ergebnisse erschienen nun in dem Fachmagazin "Frontiers in Marine Science". 

Dass Künstliche Intelligenz bei der Walforschung hilft, ist kein Novum: Projekte wie CETI versuchen nicht nur, einzelne Laute zu identifizieren und so die Verbreitung und Wanderbewegungen der Tiere nachzuvollziehen. Sie wollen die Sprache der Meeressäuger sogar vollständig entschlüsseln. 

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