Rainer Brämer ist einer der wenigen seines Fachs in Deutschland, die sich mit unserer Haltung zur Natur beschäftigen (www.natursoziologie.de). Alle drei Jahre bringt Brämer einen Jugendreport heraus, in dem man nachlesen kann, was Schüler auf simple Fragen antworten: Stell dir vor, du bist im Wald - welche Vögel siehst du? Wie heißen die Früchte der Rose? Welche Farbe hat eine Ente? Jeder Dritte weiß nicht einen einzigen Vogel zu nennen. Hagebutten sind 80 Prozent der Kinder unbekannt. Nichts aber symbolisiert die Kluft zwischen Kind und Naturwelt deutlicher als die Antwort auf die dritte Frage: Denn Enten kennen viele nur in Gelb - wie das Kinderspielzeug.
Der Grad der Entfremdung von der Natur hängt davon ab, wie viele Geräte im Kinderzimmer stehen, Fernseher, Computer, Spielkonsolen. Zwischen 2003 und 2006 hat es noch einmal einen heftigen Einbruch gegeben - in jener Zeit also, als interaktive Computerspiele aufkamen. Und ein Trend aus den USA bricht sich auch bei uns Bahn: Kinder spielen immer seltener im Wald oder auf Brachland, denn ihre Eltern erlauben es nicht mehr - aus Furcht, es könnte etwas passieren. Dabei sei das eigene Erleben der beste Lehrmeister in Sachen Naturkunde, selbst ohne Hilfe von Pädagogen, sagt Brämer.
Zudem ist das Spiel im Wald besonders intensiv: "Naturkinder" können sich auf Befragen viel besser an ihre Aktivität erinnern als Spielplatzkinder. Das Merkwürdige aber ist: "Je mehr uns die Natur im Alltag abhanden kommt, desto wichtiger wird sie", konstatiert Brämer. "Die Kids kennen zwar keine Arten, aber beim Artensterben leiden sie mit."
Das "Bambi-Syndrom" ist auf dem Vormarsch
Die Kinder, wie auch viele Erwachsene, stellten die Natur zunehmend auf einen Sockel. "Natur - Artenvielfalt - ist ihnen etwas Reines, Heiles, Idyllisches." Brämer hat für dieses ins Rosarote verklärte Verständnis den Begriff "Bambi- Syndrom" geprägt. Drei Viertel aller Jugendlichen und Erwachsenen seien der Meinung, dass das, was natürlich ist, auch gut sei. Und groß die Entrüstung, wenn etwas nichts ins Bild passt: Von "Karpfenmord" war die Rede, als der mittlerweile erwachsene Eisbär Knut es wagte, die Fische in seinem Gehege zur Strecke zu bringen.
Nur Erwachsene wurden für eine Studie des Umweltministeriums von 2008 befragt. Von ihnen erachtet rund die Hälfte das Ausweisen von neuen Nationalparks als wichtigste Maßnahme, Arten in ihrer Vielfalt zu schützen. Zugleich glaubt fast jeder Zweite, dass der Verlust der Biodiversität in Deutschland "kein großes Problem" sei. Das Artensterben vermuten die meisten in den Entwicklungsländern. Bei der Option, im eigenen Garten Raum für seltene Pflanzen und Tiere zu schaffen, kreuzten die meisten dagegen an: "Kommt für mich nicht infrage." "Wir Deutschen verstehen uns zwar als besonders naturliebendes Volk", sagt Brämer. "Doch an den Arten vor der eigenen Haustür haben die wenigsten Bundesbürger Interesse."
Machen Sie mit!
Jedes Jahr richtet GEO einen "Tag der Artenvielfalt" aus. An vielen Orten in Deutschland und den Nachbarländern wollen wir den Reichtum der Arten entdecken. Wer dazu eine Aktion veranstalten möchte, kann sich über www.geo.de/artenvielfalt anmelden. Oder bei:
Tom Müller, Tel. 040 / 37 03-27 32, oder per E-Mail
Besonders eingeladen sind Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrern. Berichte über bisherige Aktionen, Plakate und Urkunden können kostenlos bestellt werden. Eine Lehrerbroschüre mit Praxistipps steht online zur Verfügung.