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Altkleidersammlungen Das Geschäft mit dem Stoff

Jedes Jahr fallen allein in Deutschland 750.000 Tonnen gebrauchte Kleidung an. Was passiert damit eigentlich? Wir sprachen mit Andreas Voget, dem Geschäftsführer von FairWertung. Der Verband setzt sich seit 1994 für Transparenz und Verantwortlichkeit beim Sammeln und Verwerten von gebrauchter Kleidung ein

Herr Voget, Möglichkeiten, Altkleider loszuwerden, gibt es viele. Was ist aus Ihrer Sicht die erste Wahl?

Ich würde mich zunächst informieren, ob es in meiner Nachbarschaft ein Sozialprojekt gibt, das mit Textilien arbeitet. Das kann ein kirchliches oder nicht kirchliches Projekt sein, mit einem angeschlossenen Second-Hand-Laden oder einem Nähprojekt. Oft sind solche Projekte gekoppelt mit Qualifizierungsmaßnahmen für langzeitarbeitslose Menschen. Wenn es kein solches Projekt in der Nähe gibt, bleibt nur eine Straßensammlung oder ein Container.

Was sollte man dabei beachten?

In jedem Fall sollte man sich jeden Container oder Sammelzettel genau ansehen. Denn häufig ist nicht erkennbar, wer tatsächlich hinter der Sammlung steckt. Und für welchen Zweck gesammelt wird. Nicht selten mieten gewerbliche Sammelfirmen Namen und Logo eines gemeinnützigen Vereins, um einen karitativen Eindruck zu erwecken.

Altkleidersammlungen: Andreas Voget ist Geschäftsführer des Dachverbands FairWertung e.V.
Andreas Voget ist Geschäftsführer des Dachverbands FairWertung e.V.
© Dachverband FairWertung e.V.

Sie meinen, wenn "wohltätig" draufsteht, ist nicht unbedingt "wohltätig" drin?

Ja, leider werden Verbraucher oft in die Irre geführt. Mit Formulierungen wie "Helfen Sie, damit wir helfen können!" oder "Jede Spende hilft!" auf den Sammelzetteln wird suggeriert, dass mit jedem Kleidungsstück, das gespendet wird, der Erlös der gemeinnützigen Einrichtung steigt. Das stimmt aber nicht. Die Vereine und Organisationen erhalten oft nur einen Pauschalbetrag und erfahren gar nicht, wie viel tatsächlich gesammelt wurde. Sie haben außerdem keinerlei Kontrolle darüber, was mit der Kleidung geschieht. Auch bei Wäschekörben oder Sammeleimern, die plötzlich vor der Haustür stehen, handelt es sich fast immer um gewerbliche Sammlungen von Firmen, die mit gemieteten Namen arbeiten. Zu erkennen sind solche Sammlungen häufig daran, dass nur eine Handynummer, aber keine Adresse des Sammlers angegeben ist.

Die Homepage des Dachverbands FairWertung

Altkleidersammlungen: In Handarbeit werden die unterschiedlichen Altkleiderqualitäten - vom einmal getragenen Brautkleid bis zum Putzlappen - sortiert
In Handarbeit werden die unterschiedlichen Altkleiderqualitäten - vom einmal getragenen Brautkleid bis zum Putzlappen - sortiert
© Halle, Museum für Kommunikation Frankfurt

Ist das überhaupt legal?

Der Logoverkauf als solcher ist legal. Was wir kritisieren, ist, dass er von gewerblichen Sammlern gezielt genutzt wird, um den Eindruck einer wohltätigen Sammlung zu erwecken. Wenn nicht ersichtlich ist, wer die Sammlung durchführt und zu welchem Zweck, dann ist das in unseren Augen unlautere Werbung. Deswegen raten wir Vereinen auch dringend davon ab, ihren Namen für Kleidersammlungen zu vermieten.

Wie viele gewerbliche Altkleidersammler gibt es in Deutschland?

Das weiß niemand. Gerade in den vergangenen drei, vier Jahren sind kleine Firmen wie Pilze aus dem Boden geschossen, die zum Teil nur lokal operieren und höchstens noch den örtlichen Gewerbeämtern bekannt sind. Leider unterliegt das Sammeln und Vermarkten von Gebrauchtkleidung keiner Kontrolle. Es gibt daher einen großen Graubereich.

Was passiert eigentlich mit Kleidung, die in eine Straßensammlung abgegeben oder einen Container geworfen wird?

Die Kleidung, egal ob aus gewerblicher oder gemeinnütziger Sammlung, landet in einem Sortierbetrieb. Dort wird jeder Kleidersack von Hand darauf überprüft, ob die Kleidungsstücke modisch und gut erhalten sind, ob sie direkt in den Second-Hand-Verkauf gehen können. Was verdreckt oder unmodern ist, wird entweder zu Putzlappen verarbeitet oder zu Rohstoffen.

Das klingt nach viel Arbeit.

Das ist es auch. Und da die Lohnkosten ein entscheidender Faktor sind, wird die Sortierung zunehmend in Billiglohnländern angesiedelt, in Osteuropa, Tunesien, Marokko oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten ...

... wo es vermutlich noch schwieriger wird, den Weg der Kleidung zu verfolgen.

So ist es. Schon die Frage, wie viele Sortierbetriebe es allein in Deutschland gibt, kann Ihnen niemand beantworten. Wir haben es mit einem zumindest für Verbraucher undurchschaubaren Markt zu tun. Das ist auch der Grund, warum der Dachverband FairWertung gegründet wurde. Die Sammler haben damals gesagt, wir wollen uns kundig machen und die Verwertungskette der Textilien nach einer Sammlung verfolgen. Wir wollen, dass ordnungsgemäß sortiert wird, und dass alle Kleidungsqualitäten so weit wie möglich stofflich verwertet werden. Wir bekommen fast jede Woche Anrufe aus Osteuropa. Die Leute wollen zum Beispiel eine Lkw-Ladung Gebrauchtkleidung kaufen - unsortiert. Aber das sind Händler, die nur an der Top-Second-Hand-Ware interessiert sind und kein Sortier-Know-how haben. Die wissen also gar nicht, was sie mit minderwertigen Sachen machen sollen. Auf solche Anfragen reagieren wir gar nicht. Denn wir stehen bei denen in der Pflicht, die uns ihre Sachen gegeben haben, für eine ordentliche Verwertung der Textilien zu sorgen.

Apropos Verantwortung: Immer wieder wird die Frage diskutiert, ob wir mit unseren Altkleider-Exporten in die Dritte Welt die Textilindustrie dort schädigen. Wie stehen Sie dazu?

Diese Diskussion begann in Deutschland etwa 1993. Damals war eine Studie erschienen, die zum ersten Mal aufzeigte, dass ein erheblicher Anteil der gesammelten Altkleider in Afrika landet. Man hat dann den Zusammenhang zwischen dem Niedergang der Textilindustrie in vielen afrikanischen Ländern und den Second-Hand-Kleiderimporten aus Europa hergestellt. Auf diesem Kenntnisstand haben wir FairWertung gegründet und eine Zehn-Prozent-Exportquote nach Afrika beschlossen. Später mehrten sich die Rückfragen - auch aus Afrika selbst - ob diese Sicht wirklich richtig ist. In den Jahren 2004, 2005 haben wir dann ein zweijähriges Programm durchgeführt mit Partnern in über 20 afrikanischen Ländern, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Mit welchem Ergebnis?

Die Rückmeldungen waren erstaunlich eindeutig: Second-Hand-Kleidung ist nicht per se schlecht. Sie ist sogar ohne Alternative, insbesondere zur Versorgung von Menschen mit wenig Geld. Die wahren Gründe für den Niedergang der Textilindustrie waren vielfältig. Dass es in Afrika ohne die europäischen Second-Hand-Exporte blühende Textilindustrien und lokale Warenkreisläufe gäbe, - das ist jedenfalls eine Fiktion, die mit der Realität dort nichts zu tun hat.

Und woran lag es in Wirklichkeit?

In Tansania, einem der Schwerpunktländer unseres Programms, erwies sich die Textilindustrie als nicht wettbewerbsfähig in dem Moment, als der Schutz vor Importen und die Unterstützung durch Subventionen und Entwicklungshilfegelder wegfiel. Zweitens hatten die Betriebe schon lange mit Stromausfällen zu kämpfen, die Wasserversorgung hat nicht geklappt, es gab keine Devisen, um Ersatzteile für Maschinen zu kaufen. Einen Massenmarkt konnte die Textilindustrie so nie bedienen. Und die bestehenden Fabriken stellten Kleidung her, die für die meisten Menschen dort sowieso unerschwinglich teuer war. In vielen Regionen verbesserte sich die Bekleidungssituation erst mit der Second-Hand-Kleidung - das wurde uns immer wieder in den Interviews berichtet.

Das heißt, die Importe haben keine Arbeitsplätze gefährdet?

Ohne Frage sind Arbeitsplätze in Textilbetrieben verschwunden - aber nicht hauptsächlich durch die Second-Hand-Kleidung. Inzwischen leben viele Menschen dort vom Handel und der Weiterverarbeitung von Second-Hand-Ware. Der Anteil der Gebrauchtkleidung am afrikanischen Kleidungsmarkt wird inzwischen auf 60 bis 70 Prozent geschätzt.

Welche Konsequenz haben Sie aus diesen Erkenntnissen gezogen?

Wir haben die Exportbeschränkung 2003 gekippt. Wir achten aber weiterhin sehr darauf, dass die Ware in Betrieben mit Sortierstandards sortiert wird, dass also auch keine schlechten Qualitäten exportiert werden. Außerdem muss die Ware korrekt ausgewiesen und verzollt werden. Uns wurde aus Afrika immer wieder berichtet, dass für den gewerblichen Verkauf bestimmte Kleidung als Hilfslieferung deklariert war - um Zölle und Steuern zu sparen.

Also ist es doch gut, dass wir Altkleider nach Afrika exportieren?

Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Einerseits wächst der Überschuss an Gebrauchtkleidung in den Wohlstandsländern, weil für uns Textilien immer billiger geworden sind, und andererseits gibt es eine wachsende Nachfrage nach Gebrauchttextilien, etwa in Afrika. Wir sollten es uns aber trotzdem nicht ersparen, unser eigenes Konsumverhalten zu hinterfragen. Müssen wir Kleidung, deren Produktion wertvolle Ressourcen verschlingt und die wir eigentlich noch tragen könnten, wirklich so schnell wieder entsorgen, wie wir es heute tun?

Altkleidersammlungen: Second-Hand-Textilien spielen in Afrika eine große Rolle. Denn viele Menschen können sich Neuware nicht leisten
Second-Hand-Textilien spielen in Afrika eine große Rolle. Denn viele Menschen können sich Neuware nicht leisten
© Dachverband FairWertung e.V.

Der Dachverband FairWertung e.V. ist ein bundesweiter Zusammenschluss von gemeinnützigen Organisationen und Einrichtungen, die Kleidersammlungen durchführen und sich dabei auf verbindliche Standards verpflichtet haben. Dazu gehören ein transparentes Sammeln und Verwerten der Gebrauchttexilien und eine ehrliche Information über die Verwendung der Kleidung. Die Sammlungen der angeschlossenen Organisationen sind am Zeichen "FairWertung - bewusst handeln" auf Sammelzetteln und Containern zu erkennen. Weitere Informationen unter www.fairwertung.de.

Altkleidersammlungen: Das Geschäft mit dem Stoff

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