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Eine Lösung für den steigenden Energiebedarf der Dritten Welt surrt im Auer Mühlbach in München. Dort schaukeln neben einer alten Mühle am südlichen Stadtrand zwei längliche blaue Plastikschwimmkörper in der Strömung. Ihre leichte Vibration lässt ahnen, dass sich unter der Wasseroberfläche etwas verbirgt: ein 330 Kilogramm schweres Kleinstwasserkraftwerk, das einem mannshohen Ventilator ähnelt und hier einen Langzeittest absolviert. Per Anker am Grund oder Ufer befestigt, hängt es unter den Schwimmern in der Strömung und „zapft“ ihr fast lautlos Energie ab. Herzstück ist ein Rotor, verbunden mit einem Generator.
Die Kraft fließender Gewässer ist eine seit Jahrtausenden genutzte erneuerbare Energie. Doch wer heute von Wasserkraftwerken spricht, denkt an monumentale Betondämme, die den Wasserpegel regulieren, um künstlich eine gewaltige Fallhöhe zu erzeugen. Der Nachteil: Ihr Bau zerstört die Landschaft und ruiniert das Ökosystem des Gewässers.
Karl Kolmsee, 46 Jahre, studierter Agrarwissenschaftler und promovierter Philosoph, will das verändern. Er ist Gründer und Chef der Firma Smart Hydro Power mit Sitz am Starnberger See. In der Werkstatt im Untergeschoss montiert ein internationales Ingenieur-Team die Turbinen. Oben sitzt Kolmsee auf einem Gymnastikball am Schreibtisch mit Alpenblick und erzählt von seiner Vision. Von Miniwasserkraftwerken, die geräuschlos und emissionsfrei arbeiten, tags wie nachts.

Schwimmendes Kleinkraftwerk
Egal, ob in Bayern oder dem Rest der Welt: Mindestvoraussetzung ist ein Fluss von etwa zwei Meter Tiefe und zwei Meter Breite und einer Fließgeschwindigkeit zwischen einem und dreieinhalb Meter pro Sekunde. Je nach Durchflusstempo verwandelt die Turbine die Strömungsenergie mit bis zu 230 Rotorumdrehungen pro Minute in ein bis fünf Kilowattstunden elektrischen Strom. Mit der Maximalleistung lässt sich in Entwicklungsländern ein ganzes Dorf versorgen. Ein Kabel leitet die Energie an Land, je nach Bedarf als Gleich- oder Wechselstrom für den direkten Verbrauch oder um ihn ins Netz einzuspeisen oder in einer Batterie zu speichern.
Bevor er seine Firma gründete, war Kolmsee Manager beim Stromkonzern E.ON und im Vorstand eines Biogas- Unternehmens. Er kennt die entlegenen Winkel Südamerikas und Asiens, in denen allenfalls stinkende Dieselgeneratoren für Elektrizität sorgen. Wenigstens im peruanischen Dorf Marisol aber, mitten im Regenwald am Ufer des Huayabamba, sind die Dieselmotoren verstummt. Hier schwimmt seit 2011 eine Smart-Hydro-Turbine der ersten Serie. Eigentlich hatte Kolmsee zwei Jahre zuvor in Peru Biomassekraftwerke verkaufen wollen. Ein Farmer aber brachte die Sprache auf Wasserkraft. „Die Kunden vor Ort diktierten uns die Anforderungen sozusagen in den Notizblock“, erzählt der Deutsche. Das Kraftwerk dürfe nicht teurer sein als ein Kleinwagen, müsse zerleg- und tragbar sein, einfach zu montieren und zu bedienen.

Kolmsee kehrte nach Europa zurück, recherchierte, fand keine geeignete Anlage - und beschloss, selbst eine entwickeln zu lassen. Bauteile kamen aus Bayern, Indien und China. Dann ein Rückschlag: Der Wildheit südamerikanischer Gewässer hielt das Urmodell zunächst nicht stand. Der Anker gab nach, das Gehäuse verzog sich, Wasser drang ein. Doch die Reparatur war simpel. Heute verbaut das Technikteam Dichtungen, die sonst nur das Militär nutzt, ein Metallring verstärkt den Plastikrahmen, ein eigens entworfenes Ankersystem soll die Turbine selbst bei Hochwasser halten. Wenn alles reibungslos funktioniert, wird sich die Anschaffung in Südamerika nach drei Jahren rechnen, kalkuliert Kolmsee. Unter optimalen Bedingungen koste die Kilowattstunde etwa acht Cent. Beim Dieselgenerator seien es zwischen 22 und 41 Cent. Gerade Schwellenländer, deren Wirtschaft stark wächst, dürsten nach Energie. In Brasilien, das 2011 zur sechstgrößten Wirtschaftsmacht aufstieg, entsteht zurzeit das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt mit einer Leistung von elf Gigawatt.
Für das extrem umstrittene Elf-Milliarden-Dollar-Projekt Belo Monte mit einem 500 Quadratkilometer großen Stausee sollen 40.000 Hektar Regenwald überschwemmt und bis zu 40.000 Menschen umgesiedelt werden. Elf Gigawatt kontra fünf Kilowatt Leistung - Mikrokraftwerke erscheinen im Vergleich wie eine Kerze neben einem Atomkraftwerk. Doch es gibt unendlich viele Flüsse auf der Welt, und die Technik ist schnell einsetzbar. Als Kolmsee im Frühjahr 2011 den Prototyp seiner Turbine mit Blasmusikkapelle bei München im Isarkanal einweihte, reiste der Energieminister der peruanischen Provinz San Martín an. In Peru will die Regierung bis 2020 7,2 Millionen Menschen auf dem Land mit Strom versorgen. Hier macht die dezentrale Kleinstwasserkraft besonders viel Sinn. Nachts, wenn wenig Elektrizität gebraucht wird, kann Überschussstrom in Fischerdörfern zum Beispiel Eis erzeugen, das den Fang kühlt.
Nicht nur für arme Länder ist das Prinzip interessant. Albert Ruprecht vom Institut für Strömungsmechanik und Hydraulische Strömungsmaschinen der Universität Stuttgart hat zusammen mit der Firma RER Hydro eine Kraftwerksvariante entwickelt, die im kanadischen Sankt-Lorenz-Strom eingebaut wurde. Die Turbine ist mit 110 Kilowatt Leistung wesentlich stärker als das Smart-Hydro-Modell und am Grund fixiert. Die Montage erfolgte von einer Barke und einer Hubinsel aus mit zwei Kränen.
Strom für 300 Haushalte
Seit 2010 produziert die Turbine pannenfrei 900.000 Kilowattstunden im Jahr, genug für bis zu 300 Haushalte. In Deutschland stammen bisher 3,4 Prozent des Stroms aus Wasserkraft. „Neue herkömmliche Wasserkraftwerke mit Staudämmen zu errichten, ist hierzulande oft nicht mehr durchsetzbar“, sagt Ruprecht. Nach einer Studie des Bundesumweltministeriums, an der er beteiligt war, ließe sich der Anteil des erzeugten Hydrostroms umweltfreundlich auf rund fünf Prozent aufstocken.
Für die Smart-Hydro-Variante eignen sich der Fließgeschwindigkeit wegen vor allem die Donau und der Oberrhein. In Bingen plant das Unternehmen Metropolstrom-NW noch im Jahr 2012 einen Energiepark mit 30 Kleinstkraftwerken aus Kolmsees Produktion. Bis 2013 sollen es sogar 300 Turbinen werden, hofft Geschäftsführer Arno Lauhöfer. Den Strom will er ins Netz einspeisen oder flussnahen Campingplätzen oder Ausflugslokalen zur Verfügung stellen. Die in Peru geborene Idee könnte damit auch einen kleinen Beitrag zur deutschen Energiewende liefern.
Nützliche Links: Mehr über die Minikraftwerke gibt es unter www.smart-hydro.de/home.html, die Studie unter www.bmu.de/erneuerbare_energien/downloads/doc/47027.php