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Nepal Das Geheimnis des "Doktor Siddhartha": Wie auf kahlen Hügeln neuer Wald wächst

Rund um das Dorf Danda Basaha sollen innerhalb von fünf Jahren 350.000 Bäumen aufgeforstet werden
Rund um das Dorf Danda Basaha sollen innerhalb von fünf Jahren 350.000 Bäumen aufgeforstet werden
© Arko Datto
Hunderttausende Bäume auf entwaldete Steilhänge pflanzen? Leichter gesagt als getan. Im Mittelgebirge von Nepal zeigt ein Projekt von "GEO schützt den Regenwald" e. V., wie das gelingen kann. Das Geheimnis kennt der Ökologe Siddhartha Bajracharya

Sein Rat ist ein Rätsel: "Wenn du einen Wald pflanzen möchtest, sprich nicht vom Wald! " Das sagt Siddhartha Bajracharya, ein Mann, der im Mittelgebirge von Nepal 350 000 Bäume pflanzen will.

Es ist meine erste Begegnung mit "Doktor Siddhartha ", wie viele den promovierten Ökologen nennen. Seine schlanke Gestalt und sein kahl rasierter Kopf geben sein Alter nicht preis. Seit 25 Jahren setzt er in Nepal Projekte mit "GEO schützt den Regenwald " e. V. um (siehe Kasten Seite 121). 2020 habe ich die Geschäftsführung des Vereins übernommen, jetzt sind wir zum ersten Mal gemeinsam unterwegs. In vier Bergdörfern wollen wir abgeholzte Hänge aufforsten. Und da soll ich nicht von Bäumen reden? Dieses Rätsel nehme ich mit auf die Reise.

Lektion 1: Sprich nicht vom Wald

Vierzig Kilometer nordwestlich von Kathmandu quält sich unser Geländewagen über eine kurvenreiche Piste, brachial in die steilen Hänge getrieben und von Erdrutschen flankiert. Manchmal zeigen sich in der Ferne schneebedeckte Himalaja-Gipfel, hier in den "Middle Mountains " aber reichen die Berge nur bis auf 3000 Meter Höhe. Terrassen ziehen sich von den Tälern bis zu den Kuppen, dazwischen liegen erodierte Hänge und Waldreste.

Das Dorf Danda Basaha steht auf einem Kamm, umgeben von abgeholzten Hängen, Reisterrassen sowie von neuen Pisten, welche zu Erdrutschen geführt haben. Innerhalb von fünf Jahren soll hier mit 350.000 Bäumen aufgeforstet werden
Das Dorf Danda Basaha steht auf einem Kamm, umgeben von abgeholzten Hängen, Reisterrassen sowie von neuen Pisten, welche zu Erdrutschen geführt haben. Innerhalb von fünf Jahren soll hier mit 350.000 Bäumen aufgeforstet werden
© Arko Datto

Von 1990 bis 2005 hat Nepal ein Viertel seiner Waldfläche verloren. Das Land ist zudem weltweit am viertstärksten vom Klimawandel betroffen: Gletscher schmelzen, Wetterextreme häufen sich (siehe Kasten Seite 124). 2015 verheerte auch noch ein Erdbeben große Gebiete im Mittelgebirge, kostete mehr als 10.000 Menschen das Leben.

"LichtBlick für die Middle Mountains " heißt daher unser Projekt, das Siddhartha Bajracharya und ich besuchen wollen. Es ist auf fünf Jahre angelegt. Der Hamburger Ökostromanbieter LichtBlick finanziert es. Kernziel ist die Aufforstung von 350 Hektar. Das entspricht knapp der Fläche des Englischen Gartens in München, des größten städtischen Parks in Deutschland, und ist doch verschwindend wenig im globalen Maßstab: 350 Millionen Hektar Wald sollen allein im Rahmen der "Bonn Challenge " der deutschen Bundesregierung und der Weltnaturschutzorganisation IUCN bis 2030 renaturiert werden. Aber wie wird aus solchen Zahlen ein Wald?

Auf einem Grat kommt das Dorf Danda Basaha in Sicht, Zentrum des Projektgebiets. Rund 300 Menschen leben dort und bauen Reis, Mais, Hirse und Gemüse an. Die Häuser sind aus Feldsteinen gemauert, mit Schiefer gedeckt oder mit Wellblech, dem Material des Wiederaufbaus nach dem Erdbeben. Steil fallen die Hänge ab, an vielen Stellen bedeckt sie nur karges Gras. Früher stand dort Wald.

Das Dorf Danda Basaha feiert die Einweihung des neuen Wassertanks, dessen Betonplatte unter den Wimpeln zu erkennen ist. Ab jetzt bekommen die Menschen dort zuverlässig sauberes Wasser
Das Dorf Danda Basaha feiert die Einweihung des neuen Wassertanks, dessen Betonplatte unter den Wimpeln zu erkennen ist. Ab jetzt bekommen die Menschen dort zuverlässig sauberes Wasser
© Arko Datto

In den 1950er-Jahren wurden Nepals Wälder verstaatlicht – und dann geplündert: Dorfbewohner brannten Flächen nieder, um behaupten zu können, ihnen gehörten dort Weiden oder Felder; überforderte Forstverwaltungen vergaben großzügig Lizenzen zum Abholzen und konnten illegalen Einschlag nicht kontrollieren. 1979 warnte die Weltbank, die Wälder der Middle Mountains könnten binnen zehn Jahren verschwunden sein.

Trommeln und Bläser schallen durchs Tal. "Wohl eine Hochzeit ", vermutet Siddhartha Bajracharya. Er erinnert sich an seinen ersten Besuch in Danda Basaha, kurz vor Projektbeginn: "Die Menschen waren sehr misstrauisch. Politiker hatten ihnen schon so viel versprochen und sie jedes Mal enttäuscht. " Es war gewiss auch nicht förderlich, dass ihn sein Familienname Bajracharya als Angehörigen der privilegierten Kaste der Brahmanen ausweist. Hier in der Gegend heißen fast alle Gurung, es ist eine Ethnie, aus der traditionell viele Gurkha-Soldaten rekrutiert werden. Bajracharya weiß: "Wir als Fremde können uns nicht einfach auf den Dorfplatz stellen und den Menschen verkünden, dass wir ihren Wald aufforsten wollen. "

Lektion 2: Finde den Schlüssel

Kurz vor Danda Basaha versperren uns Jugendliche mit Trommeln und Blechinstrumenten den Weg, das Dorforchester. Dahinter warten die Müttergruppe, die Waldnutzergruppe, das Komitee für Trinkwasser, sämtliche Schulkinder und fünf Angestellte des NCDC (National Conservation and Development Centre), unserer von Bajracharya geleiteten Partnerorganisation. Bunte Gebetsfahnen flattern, Frauen in traditionellen grün-roten Gewändern, geschmückt mit goldenen Nasen- und Ohrringen, tupfen uns rote Segenszeichen auf die Stirn, Schülerinnen und Schüler in blauen Uniformen bilden ein Spalier bis zum Dorfeingang.

Jede Frau, jedes Kind hängt mir eine Blumenkette aus Rhododendronblüten um. Als sie mir bis zur Nase reichen, sind die Arme dran. Noch niemals wurde ich so herzlich empfangen. Und mit so großen Worten: "NCDC und GEO sind Gesandte der Götter ", verkündet Ganesh Bahadur Gurung, der Gemeindevorsteher. "Sie bringen uns die lebenswichtige Unterstützung, die wir vom Staat nicht bekommen. " Das Orchester setzt wieder ein, die Müttergruppe führt im Schulhof einen traditionellen Tanz auf. Kinder, der Schuldirektor und Siddhartha Bajracharya tanzen mit.

"Vom Fremden zum gefeierten Gast – wie hast du das geschafft? ", frage ich ihn, als wir später unsere Unterkünfte beziehen. Ich werde die nächsten sechs Tage auf dem Betonboden eines Rohbaus kampieren; Bajracharya wird in einem kargen Zimmer in der Lehmhütte des Forsttechnikers von NCDC wohnen.

"Wir dürfen nicht nur die Perspektive des Naturschutzes einnehmen ", erklärt er mir, "wir müssen auch verstehen, was den Menschen wichtig ist. "

Das heißt: zuhören, hinsehen. Welche Sorgen haben die Menschen? Wie wollen sie in 20 Jahren leben?

Die Dorfbewohnerin Kamala Gurung pflanzt Setzlinge. Der Boden ist karg, die Hänge sind bis zu 45 Grad steil. Geld bekommen die Helfenden nicht. Der Ökologe Siddhartha Bajracharya (rechte Seite) weiß, wie wichtig diese Selbstbeteiligung ist, damit die Bäume auch nach Projektende gedeihen
Die Dorfbewohnerin Kamala Gurung pflanzt Setzlinge. Der Boden ist karg, die Hänge sind bis zu 45 Grad steil. Geld bekommen die Helfenden nicht. Der Ökologe Siddhartha Bajracharya (rechte Seite) weiß, wie wichtig diese Selbstbeteiligung ist, damit die Bäume auch nach Projektende gedeihen
© Arko Datto

So erfuhr Bajracharya vom größten Problem des Dorfes: Immer häufiger verschlammte die höher gelegene Dorfquelle durch Starkregen, oder sie war aufgrund extremer Trockenperioden nur noch ein Rinnsal. Stets kam im Dorfbrunnen zu wenig Wasser an. Und das war schmutzig. Vor allem die Kinder wurden krank.

Seit Kurzem ist die Quelle durch ein Becken geschützt und speist über eine gut einen Kilometer lange Leitung einen 20 000-Liter-Tank am Dorfeingang: ein frisch gegossener Betonquader, halb eingelassen in den Hang. Darin setzt sich Schmutz ab, und über Nacht sammelt sich selbst in der Trockenzeit noch genug Wasser, um das Dorf zu versorgen.

"Der Tank war der Schlüssel zum Dorf ", sagt Bajracharya.

Lektion 3: Mache einen Deal

Am nächsten Tag wird der Tank feierlich eingeweiht. Der Gemeindevorsteher durchschneidet ein goldenes Band und enthüllt eine Steintafel. Die Inschrift würdigt LichtBlick, unseren Verein, NCDC und die Dorfgemeinschaft. Die neue Wasserversorgung ist ein Gemeinschaftswerk: Unser Projekt hat einen Experten für Wasserbau, das Baumaterial und einen Teil der Arbeitslöhne bezahlt, aber 25 Prozent der Arbeit hat die Gemeinde geleistet. Ein eigens gegründetes "Komitee für Trinkwasserbau " hat den Bau mit geplant und beaufsichtigt, jetzt benennt es sich um in "Komitee für Wassermanagement ". Die Wartung des Tanks, eine gerechte Wasserverteilung, das liegt nun in der Hand der Dörfler. Die nächste Gemeinschaftsaufgabe ist schon in Arbeit: ein Wasseranschluss für jeden Haushalt.

"Wenn die Menschen einen Teil der Kosten selbst tragen, egal, ob finanziell oder in Arbeitszeit, fühlen sie sich verantwortlich für das Gelingen ", erklärt Siddhartha Bajracharya. Mitsprache und Selbstbeteiligung sind sein Grundprinzip. Einen solchen Ansatz verfolgt "GEO schützt den Regenwald " auch in anderen Projekten. Neu ist für mich jedoch, wie Bajracharya ihn mit dem Wald verknüpft.

"Ich habe mein Versprechen gehalten ", verkündet er, als sich die Dorfgemeinde nach der Einweihung in einem Klassenzimmer der Schule versammelt. Männer und Frauen drängen sich auf Bänken oder lehnen an den Wänden, Kinder stecken ihre Köpfe durch die Gitterstäbe der Fenster. "Danda Basaha hat einen Wassertank bekommen. Jetzt sind Sie an der Reihe. Unterstützen Sie uns, die kahlen Hänge wieder aufzuforsten und den Wald zu erhalten. "

Das also ist Bajracharyas Deal: Egal, was unser Projekt zur Lebensverbesserung in Danda Basaha beiträgt – er verknüpft es mit der Forderung, Bäume zu pflanzen, unentgeltlich. Nach dem Motto: Wir unterstützten euch, ihr helft beim Naturschutz.

Der Ökologe Siddhartha Bajracharya weiß, wie wichtig die Selbstbeteiligung  der Dorfbewohnenden ist, damit die Bäume auch nach Projektende gedeihen
Der Ökologe Siddhartha Bajracharya weiß, wie wichtig die Selbstbeteiligung  der Dorfbewohnenden ist, damit die Bäume auch nach Projektende gedeihen
© Arko Datto

Als Dr. Siddharta 2004 über "Gemeindebeteiligung " promoviert hat, war dieser Ansatz in Nepal noch relativ neu. Bajracharya hatte zuvor mehrere Jahre lang das größte Schutzgebiet Nepals geleitet, das seit 1986 bestehende Annapurna Conservation Area Project (ACAP). Dort sollte nach den ursprünglichen Plänen gemäß Vorbildern im Tiefland ein Nationalpark eingerichtet werden. 120 000 Menschen hätten dazu umgesiedelt werden müssen. Stattdessen entstand die Idee, im Naturschutz mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zusammenzuarbeiten. Nach einer dreijährigen Pilotphase verbreitete sich der Ansatz "wie ein Wildfeuer "; auf der Expo in Hannover im Jahr 2000 präsentierte ihn Bajracharya als internationales Vorbild.

Zu jener Zeit löste auch der Begriff "Entwicklungszusammenarbeit " die "Entwicklungshilfe " ab. Das alte Wort hatte die Menschen auf Leistungsempfänger reduziert, das neue macht sie zu Partnern. Im Naturschutz ist das umso wichtiger. Ein Wald lässt sich schließlich nicht so einfach "hochziehen " wie ein Wassertank, eine Schule, eine Brücke. Er braucht viele Jahre, um zu gedeihen, weit über die Laufzeit eines Projekts hinaus. Die Dorfgemeinde muss daher von Anfang an so eingebunden werden, dass sie ihren Wald aus eigener Kraft erhält.

Lektion 4: Zahle nicht fürs Pflanzen

Steil fällt der Hang ab, im trockenen Gras steht alle zwei Meter ein Setzling. Dünne Stängel mit wenigen Blättern, nur die Kiefern stechen kräftiger hervor. Im ersten Projektjahr setzten die Dörfler 2000 Pflanzen, im zweiten 26 000. Zusammen ist das nicht einmal ein Zehntel von dem, was wir uns für fünf Jahre vorgenommen haben: dreihundertfünfzigtausend Bäume.

Hier, "im Feld ", erscheint mir diese Zahl unendlich viel größer als in Hamburg auf dem Papier. Und drei Dörfer haben noch überhaupt nicht mit Aufforstungen begonnen.

Aber Bajracharya zeigt sich zufrieden. Die Überlebensrate der Setzlinge liegt bei gut 90 Prozent, und die Baumschule, mühsam in einen Hang mit 45 Grad Gefälle gegraben, ist fertig.

Dicht an dicht reihen sich mehr als ein Dutzend Beete, grüne Netze schützen sie vor der Mittagssonne. NCDC-Mitarbeiter Tenzing Sherpa führt mich herum. Der 24-jährige Forsttechniker lebt seit Projektbeginn in Danda Basaha, unterstützt von einer Forstwirtin aus dem zwei Stunden entfernten Dhading Besi, Zentrum des gleichnamigen Distrikts.

Mehr als 30 000 Setzlinge, 14 verschiedene Arten, wachsen hier heran. In einem Gewächshaus gedeihen die langsamer wachsenden Arten.

Ein halbes Dutzend Frauen kauern plaudernd am Boden und befüllen Pflanztüten mit einer Mischung aus Humus, Kompost und Sand, Material, das die Gemeinde zur Verfügung stellt.

Weiter unten am Hang markieren neue Zäune bereits das nächste Aufforstungsgebiet: 558 Betonpfeiler und mehr als 1600 Meter Stacheldraht flankieren die Hauptroute für das Vieh. Wichtigster Partner bei all diesen Maßnahmen ist die lokale "Waldnutzergruppe ".

Warum Nepal von der Klimakrise besonders bedroht ist

Nepal trägt nur 0,027 Prozent zu den globalen Treibhausgasemissionen bei: Die Wälder sind eine wichtige CO2-Senke; fast seinen gesamten Strom gewinnt das Land aus Wasserkraft. Doch es steht an vierter Stelle der am stärksten durch den Klimawandel bedrohten Nationen. Durch Starkregen und Dürren sind die landwirtschaftlichen Erträge um zehn bis 30 Prozent gesunken, so das Agrarministerium. In der Himalajaregion hat sich die Gletscherschmelze im vergangenen Jahrzehnt um 65 Prozent beschleunigt. Das Internationale Zentrum für integrierte Entwicklung in Bergregionen (ICIMOD) warnt, dass selbst bei Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels bis Ende des Jahrhunderts ein Drittel der Gletscher der Hindukusch-Himalaja-Region verloren gehen. Mit möglicherweise katastrophalen Folgen: überfließenden Gletscherseen, Überschwemmungen, Erdrutschen. Auch die Wasserversorgung von mehr als 1,9 Milliarden Menschen ist in Gefahr, denn sie sind abhängig vom größten "Wasserturm" der Welt.

Um den Waldschwund zu bremsen, hat der Staat ab den 1980er-Jahren Gemeindewälder ausgewiesen. Waldnutzergruppen verwalten sie. Mehr als 22 000 gibt es inzwischen. Die Gruppe in Danda Basaha verantwortet 44 Hektar Fläche. Aufgeforstet hat sie noch nie. Niemand wusste, wie man Samen zum Keimen bringt und Setzlinge aufzieht. Inzwischen hat Tenzing Sherpa einen Einheimischen als Vorarbeiter ausgebildet. Außerdem zählt ein lokaler "Verbindungsmann " zum NCDC-Team. Dazu kommen viele Hilfskräfte.

Innerhalb weniger Monate sollen mehr als 80 000 Setzlinge gepflanzt werden, einen Teil liefern zwei weitere vom NCDC geführte Baumschulen in Dhading Besi an.

Das Pflanzen ist harte Arbeit: Man muss die Setzlinge in Kiepen von der Baumschule in das steile Gelände tragen, sie vorsichtig aus ihren Pflanzsäcken lösen, in steinigem Grund die Löcher ausheben, sie anschließend wieder befüllen. Und das auch, wenn der Regen prasselt.

Bereits bei der letzten Pflanzung war es schwierig, genug Arbeitskräfte zu finden, räumt Bajracharya ein. "In der Regenzeit müssen die Leute auch auf ihren Reisfeldern arbeiten. "

Ich rechne nach: Etwa 20 Prozent der Männer fehlen, weil sie in den Golfstaaten und in Malaysia arbeiten. Es können maximal 100 Leute aufforsten. Das macht 800 Pflanzen pro Kopf.

"Könnten wir die Menschen nicht doch dafür bezahlen, dass sie den Wald aufforsten? Zumindest ein bisschen? ", frage ich. Das wäre vielleicht ein Anreiz, für den Zaunbau und das Befüllen der Pflanztüten zahlen wir schließlich auch.

"Nein ", antwortet Bajracharya entschieden. "Die Leute müssen die Aufforstung für sich machen, nicht für Geld. Andernfalls kümmert sich niemand mehr darum, wenn wir eines Tages nicht mehr hier sind. "

Er prophezeit: "Ein Jahr noch, dann werden wir richtig gut mit allen Dörfern zusammenarbeiten. "

Ich denke: Dann ist aber bereits mehr als die Hälfte unserer Projektzeit rum.

Damit wir in der kommenden Pflanzsaison nicht auf Zehntausenden von Setzlingen sitzen bleiben, hat Bajracharya einen Plan B: Soldaten und Polizisten aus Dhading sollen zu einem freiwilligen Sondereinsatz anrücken.

Lektion 5: Schaffe Alternativen

Wir trinken Tee vor der Lehmhütte des Forsttechnikers Tenzing Sherpa. In Sichtweite klettert eine Frau in einen Baum, es ist der letzte weit und breit, der noch Zweige und Blätter trägt. Mit einem Sichelmesser schneidet sie die jungen Triebe ab: Futter für Ziegen und Rinder. Der Baum wird nach dem Rückschnitt wieder ausschlagen. Eine solche "Schneitelwirtschaft " war früher auch in Europa verbreitet. "Das Futter ist knapp ", sagt Tenzing Sherpa. Und es wird knapper. Bisher konnten Ziegen auf den Hängen grasen, die wir nun aufforsten. Weiter unten im Tal gibt es noch ein Stück Wald, frei von jedem Unterholz. Täglich schneiden dort Frauen Gras und Schösslinge als Futter. Totholz sammeln sie als Brennmaterial zum Kochen.

Damit neuer Wald gedeiht und alter erhalten bleibt, müssen wir Alternativen schaffen.

Mehr als 4500 Futterbäume haben wir bereits an die Bauernfamilien verteilt, die sie entlang ihrer Felder pflanzen. In vier Jahren können sie erstmals geschneitelt werden. Um den Holzverbrauch zu senken, subventionieren wir "verbesserte Kochherde " (ICS). Wie die funktionieren, sehe ich bei der Lehrerin Elina Gurung.

Wenn sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern, sinkt auch der Druck auf den Wald. Honig soll eine neue Einkommensquelle werden. Bei einem Workshop lernen 27 Frauen und Männer die Grundlagen. Solche Angebote erhöhen die Bereitschaft, Bäume zu pflanzen
Wenn sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern, sinkt auch der Druck auf den Wald. Honig soll eine neue Einkommensquelle werden. Bei einem Workshop lernen 27 Frauen und Männer die Grundlagen. Solche Angebote erhöhen die Bereitschaft, Bäume zu pflanzen
© Arko Datto

Mit ihrem Mann Udaya und zwei kleinen Töchtern bewohnt sie ein Schlafzimmer und eine Küche, daneben liegen Räume für Udayas Mutter, eine Tante und die Familie eines Bruders. Sie alle teilen sich ein Plumpsklo, eine Armlänge von der Küche entfernt. Zwei Rinder und ein paar Ziegen stehen im Stall, Hühner flattern in ihren Käfigen.

In der fensterlosen Küche schürt Elina Gurung das Feuer und setzt in einem Dampfkocher Reis für das Frühstück auf. Der aus Lehm gemauerte Herd hat zwei Kochstellen und einen Rauchabzug. Er speichert die Hitze so gut, dass er ein Drittel Holz weniger verbraucht. Aber er schützt nicht nur Wald und Klima. Er schützt auch die Atemwege. Die Decke zeugt von jener Zeit, als Elina Gurung noch über dem offenen Feuer gekocht hat. Sie ist pechschwarz vor Ruß.

Lektion 6: Fördere die Gesundheit

Im Garten von Elina Gurung steht ein neues Toilettenhaus mit zwei Kabinen, daneben befinden sich eine gemauerte Sickergrube und ein frisch gegossener Deckel. Das Projekt hat einen Teil des Baumaterials zur Verfügung gestellt, die Arbeit muss die Familie selbst leisten. Die neuen Toiletten sollen bald das Plumpsklo ersetzen. Sie haben ein Keramikbecken zum Hinhocken, gespült wird mit einem Krug Wasser. Die Sickergrube kann regelmäßig geleert werden und liefert Dünger. 100 solcher Toiletten entstehen im Projektgebiet.

Bessere Hygiene, die Unterstützung einer freiwilligen Krankenschwester: Auch das sind Maßnahmen, die in Siddhartha Bajracharyas Naturschutzprojekten nie fehlen. Denn neben sauberem Trinkwasser zählen sie zu den elementaren Anliegen der Menschen. Und mit einer besseren Gesundheitsversorgung geht, ähnlich wie mit zunehmender Bildung, eine sinkende Geburtenrate einher.

Das Projekt hat eine Gesundheitsarbeiterin ausgebildet. Sie betreut die Menschen im Dorf. Die nächste Krankenstation liegt eine Stunde Fußweg entfernt
Das Projekt hat eine Gesundheitsarbeiterin ausgebildet. Sie betreut die Menschen im Dorf. Die nächste Krankenstation liegt eine Stunde Fußweg entfernt
© Arko Datto

Seit wir vor 25 Jahren unsere Arbeit in Nepal begonnen haben, hat sich im Land die durchschnittliche Geburtenzahl pro Frau auf 2,1 beinahe halbiert. Bewaldete Flächen nehmen wieder zu. Diese Entwicklung scheint die "Forest Transition Theory " zu belegen: Danach schrumpfen die Wälder in Zeiten von Bevölkerungswachstum und Armut, weil die Menschen viel Feuerholz und Agrarland benötigen. Mit steigender Entwicklung aber sinkt irgendwann auch der Druck auf den Wald.

Lektion 7: Stärke die Frauen!

Am nächsten Tag sehe ich Elina Gurung wieder. Die von ihr geleitete "Müttergruppe " trifft sich in der Schule. 15 Frauen hocken auf dem Teppichboden eines Klassenzimmers, manche haben ihre Kinder dabei. Die Frauen erzählen von ihrem dreitägigen Ausflug in das sechs bis acht Stunden entfernte Dorf Bhujung: Dort haben Siddharta Bajracharya und der Regenwaldverein vor 25 Jahren ein erstes Projekt ins Leben gerufen. Bis heute dient ihm das Dorf als Modell.

Die Frauen schwärmen: In Bhujung verdienen die Frauen 13 000 Rupien mit einem Tanzauftritt! Das Dorf ist sauber! Alle arbeiten vereint! Wird ein Baum gefällt, wird sofort ein neuer nachgepflanzt!

"Wir haben gemerkt, wie wichtig die eigene Kultur ist ", sagt Elina Gurung. Jetzt singen und tanzen auch die Frauen von Danda Basaha bei Feiern, und sie kassieren dafür Spenden. Erste Einnahmen haben sie in große Töpfe investiert, die sie bei Veranstaltungen wiederum gegen Gebühr verleihen.

"Wir brauchen mehr Unternehmertum! ", fordert Gurung. Traditionell verwalten die Männer das Geld und bestimmen über die Ausgaben.

Frauen schneiden im letzten Rest des Gemeindewaldes Gras und Sprösslinge als Viehfutter. Unterholz gibt es daher kaum
Frauen schneiden im letzten Rest des Gemeindewaldes Gras und Sprösslinge als Viehfutter. Unterholz gibt es daher kaum
© Arko Datto

Mithilfe des NCDC-Buchhalters haben die Frauen bereits Mikrokredite eingeführt. 45 Mitglieder hat ihre Gruppe, jede Frau zahlt monatlich 100 Rupien ein. Worin sie gern investieren würden, möchte Bajracharya wissen. Geflügelzucht, Viehhaltung, Nähmaschinen, Honigproduktion listen sie auf. Und wenn sie sich für einen Workshop entscheiden müssten? Alle reden durcheinander, diskutieren. Dann stimmen sie ab. Priorität hat die Geflügelzucht. Siddhartha Bajracharya nickt und fragt: "Wenn wir das ermöglichen, wie könnt ihr uns bei der Aufforstung unterstützen? "

Lektion 8: Geduld, Geduld, Geduld

Während Siddhartha Bajracharya und ich durch das Dorf laufen, schmieden wir Pläne. Ich denke über Biogaslanlagen nach, Bajracharya ist unzufrieden mit den Gemüsegärten. Die Beete sind nicht eingefasst, Wasser und Nährstoffe gehen verloren. Alle pflanzen die gleichen Sorten an – Senf, Zwiebeln, Kartoffeln –, dabei wäre das Distriktzentrum Dhading Besi ein guter Absatzmarkt für andere Produkte.

Bajracharya plant einen Gartenbauworkshop und die Unterstützung für den Bau von Gewächshäusern. Und ein Modellgarten neben Tenzings Hütte wäre schön. Dann bremst er sich selbst: "Wir dürfen nicht zu viele Erwartungen wecken. Wenn wir alles selbst machen, kann man viel erreichen innerhalb eines Jahres. Aber dann nehmen wir die Menschen nicht mit und schaffen Abhängigkeiten. " Manchmal falle es ihm schwer, geduldig zu sein, räumt er ein. Dann sitze er in Kathmandu und ärgere sich, dass es so langsam vorangeht.

25 Jahre Waldschutz in Nepal

Seit 1998 engagiert sich "GEO schützt den Regenwald" e. V. in Nepal, finanziert von privaten Spendern, Unternehmen und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Es wurden unter anderem zwei Wasserkraftwerke, knapp 1500 Biogasanlagen und 2400 holzsparende Kochöfen gebaut sowie mehr als 600.000 Wald- und rund 20 000 Obstbäume gepflanzt. Seit Mai 2023 setzen wir uns auch für bedrohte Gemeindewälder im Tiefland ein. LichtBlick ist unser treuester Unterstützer: Der Ökostrompionier hatte erst wenige Tausend Kundinnen und Kunden, da spendete er bereits für ein Wasserkraftwerk in Nepal. Dann ermöglichte er den Kauf von mehr als 8000 Hektar Nebelwald in Ecuador, die den Gemeinden als Schutzgebiete überschrieben wurden. Seit 2020 finanziert LichtBlick in Nepal das "Middle Mountains"-Projekt (siehe Text).

Das Gefühl kenne ich: Man könnte, man müsste doch so vieles tun! Und die Projektlaufzeiten geben einen engen Zeitrahmen vor, meist drei bis vier Jahre.

Aber wenn wir nicht auf die Mitarbeit der Gemeinden setzen, was bliebe, wenn unser Projekt im Frühjahr 2025 endet?

In der Regel erfährt das niemand mehr. Auch wenn alle von Nachhaltigkeit sprechen: Ist ein Projekt erst einmal abgeschlossen, wird selten noch einmal geprüft, ob sich die Lebensbedingungen tatsächlich langfristig verbessert haben und der neue Wald noch steht. Die Beteiligung des Dorfes spart natürlich auch Geld.

Unser fünfjähriges Projekt hat ein Budget von 500 000 Euro, exklusive der Verwaltungskosten in Hamburg. Legt man den Betrag auf die 350 000 Setzlinge um, kostet ein Baum 1,43 Euro. Sehr wenig für ein Aufforstungsprojekt. Und dabei beinhaltet es so viel mehr als nur Bäume: Es erfüllt 11 der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung.

Bevor wir nach Kathmandu zurückfahren, besuchen wir ein früheres Projektgebiet, das vor zwölf Jahren aufgeforstet wurde. Fotos von damals zeigen steile karge Hänge, jetzt bahnen wir uns mühsam einen Weg durch ein Dickicht verschiedener Baumarten. Der Boden ist weich von Laub und Humus, Vögel singen, der Leiter der Waldnutzergruppe zeigt mir Losungen von Wild. Auch Spuren von Pangolinen hat er schon gefunden. Die Schuppentiere sind stark gefährdet. Und selbst die Spitze der Nahrungskette ist wieder besetzt: Ein Leopard geht im Gebiet auf die Jagd. Innerhalb weniger Jahre ist hier ein komplexes Ökosystem entstanden. Siddharta Bajracharya sagt: "Echter Wald. "

Nachtrag

Nach dem Ende der Regenzeit berichtet mir Siddharta Bajracharya bei einem unserer regelmäßigen Videocalls, dass in Danda Basaha und zwei benachbarten Dörfern insgesamt 134.860 Bäume gepflanzt wurden.

Und wie lief es mit den Soldaten und Polizisten?

"Ich habe sie abbestellt ", sagt Bajracharya.

Die Dorfleute haben sämtliche Bäume eigenhändig in die Erde gebracht.

Erschienen in GEO Nr.10 (2023)

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