In den vergangenen Wochen litt der Mittelmeerraum unter extremer Hitze – was nicht nur vielen Menschen und den Ökosystemen an Land zu schaffen machte, sondern auch dem Leben unter Wasser. Ende Juli wurde mit 28,7 Grad Celsius die bislang höchste mittlere Oberflächentemperatur im Mittelmeer gemessen. Zwar ist die die durchschnittliche Temperatur seither auf rund 27 Grad gefallen. Und doch liegt sie in einigen Bereichen des Mittelmeers noch immer zwei bis drei Grad höher als üblich um diese Jahreszeit. Höchsttemperaturen werden normalerweise im August erreicht.
Waren vor 25 Jahren marine Hitzewellen noch die Ausnahme, werden sie jetzt zur Normalität, wie Joaquim Garrabou vom Institute for Marine Sciences (ICM) feststellt. Und während sich die Hitzewelle im letzten Jahr auf den westlichen Teil des Mittelmeers beschränkte, erstreckt sie sich nun auf das gesamte Gebiet.
Bis zu zehn Prozent aller bekannten marinen Arten kommen im Mittelmeer vor
"Das ist wirklich besorgniserregend," sagt Garrabou. "Denn wir wissen, dass diese Temperaturbedingungen schwerwiegende ökologische Auswirkungen haben." Ist das Wasser für mehrere Wochen oder Monate ungewöhnlich warm, kann es zu einem Massensterben kommen, wie etwa im Sommer 2003 oder 2022. Verglichen mit anderen Meeren mag das Mittelmeer zwar recht klein sein. Und doch beherbergt es eine erstaunlich große Biodiversität. Sieben bis zehn Prozent aller bekannten marinen Arten kommen hier vor, viele davon sind endemisch, leben also nur im Mittelmeer.
Ein Massensterben ist dadurch geprägt, dass mehrere Artengruppen in einem großen geografischen Ausmaß betroffen sind. Schon bei der Hitzewelle 2022 litten Tausende Kilometer Küstenlinie. Zwar sei es derzeit noch zu früh im Sommer, um ein solches Massensterben zu beobachten, betont Garrabou. Doch die Folgen der hohen Temperaturen schlagen meist Ende August, September, Oktober und sogar im November durch. "Die Arten können der Hitze eine Zeit lang widerstehen, aber dann beginnen sie zu leiden," so Garrabou.
Zweifelsohne ist die Hauptursache für die zunehmenden Hitzewellen der globale Klimawandel. Doch im Mittelmeerraum gebe es zusätzliche regionale Faktoren, welche die Hitze begünstigen, wie die Ozeanografin Katrin Schroeder vom Institute of Marine Science (ISMAR), National Research Council in Italien feststellt. "Dazu gehören eine geringe Bewölkung, niedrige Windgeschwindigkeiten und geringere Meeresströmungen, die alle die Speicherung und Verstärkung der Hitze in der Region begünstigen."
Durch die Hitze wird der für die Atmung so wichtige Sauerstoff knapp
Die hohen Temperaturen wirken sich gravierend auf die Wasserchemie aus und damit auf die Meereslebewesen. "Durch die hohe Verdunstung steigt der Salzgehalt des Wassers. Zusätzlich können sich in wärmer werdendem Wasser immer weniger Gase wie Sauerstoff und Kohlendioxid lösen", sagt Christian Wild, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie von der Universität Bremen. "Das kann dazu führen, dass der Sauerstoff, der sehr wichtig für die Atmung der Meerestiere ist, knapp wird."
Der Wissenschaftler betont, dass viele Stein-, Weich-, und Hornkorallen, Muscheln, Seesterne, Seeigel, und Schwämme Schaden nehmen sowie bei den Pflanzen vor allem Seegräser. Unter den betroffenen Spezies sind viele "Ökosystemingenieure" – also solche Arten (Korallen etwa oder Seegräser), die – ähnlich wie Bäume im Wald – Lebensräume für viele andere Arten bilden.
Anfällig für Hitze ist etwa das Seegras Posidonia oceanica – auch Neptungras genannt: Die große und langsam wachsende Pflanze kommt nur im Mittelmeer vor und bildet eine überaus wichtige natürliche Kohlenstoffsenke: Pro Quadratmeter speichert Neptungras teils mehr Kohlenstoff als Waldökosysteme. Christian Wild sagt auch: "Bei sehr hohen Wassertemperaturen, die mit ruhigem Wetter und hohen Nährstoffkonzentrationen verknüpft sind, kann es zu Massensterben von Fischen und wirbellosen Tieren kommen."
Durch die Erwärmung breiten sich mehr und mehr invasive Arten im Mittelmeer aus
Eine weitere Folge der Hitze: Die Erwärmung begünstigt die Ausbreitung invasiver Arten, die den einheimischen Ökosystemen mehr und mehr schaden. Manche Algen, denen die sich wandelnden Bedingungen zugutekommen, machen angestammten Mittelmeerspezies Konkurrenz. "Einige invasive Arten, die ursprünglich aus den Tropen und Subtropen kommen, wie die Grünalge ‚Caulerpa taxifolia‘ oder der Rotfeuerfisch (,Pterois miles‘) breiten sich im westlichen beziehungsweise östlichen Mittelmeer aus," sagt Christian Wild. Dabei würden sie endemische Arten wie das Neptunsgras oder auch Mittelmeer-Schleimfische verdrängen.
Die ökologischen Schäden unter Wasser haben natürlich auch Einfluss auf Menschen. So fangen die Fischer teils nicht mehr jene Arten, die früher in die Netze gegangen sind, sondern invasive Spezies. Die wiederum können sie nicht gut verkaufen, weil sie nicht zu den gewohnten Speisefischen gehören. Und auch der Tourismus leidet: Algenblüten führen zur Schließung von Stränden. Und Taucher finden nicht mehr jene wunderschönen Unterwasserlandschaften vor, die früher einmal das Mittelmeer prägten.
Das Ziel: bis zum Jahr 2030 30 Prozent der Ozeane zu schützen
Trotz der dramatischen Entwicklungen geben die Wissenschaftler die Hoffnung nicht auf. Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, so etwa Joaquim Garrabou: "Wir haben internationale Abkommen – den Europäischen Green Deal, das Pariser Abkommen und das UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt – die in die richtige Richtung weisen." Die Herausforderung bestehe nun darin, diese in die Praxis umzusetzen. Besonders wichtig sei das Ziel, bis 2030 30 Prozent der Ozeane zu schützen.
"Im Mittelmeer sind nur etwa acht Prozent der Fläche geschützt," sagt Garrabou. "Und wir haben nur sieben Jahre Zeit, um 30 Prozent zu erreichen." Und zu einem guten Schutzgebiet gehöre auch ein gutes Management. Freilich kann kein Schutzgebiet der Welt die Wassertemperatur senken. Und doch, das unterstreicht der Forscher, würden sich streng geschützte Gebiete schneller und besser von menschlichen Störungen erholen. Wenn wir also Meeresschutzgebiete vergrößern und ihr Management effektiver gestalten, so Garrabou, hätten wir die Chance, einen Teil der Auswirkungen des Klimawandels auf die kostbare Umwelt unter Wasser abzumildern.