"Brrr brrr!", mein Handy vibriert - ein neuer Facebookpost. Wieder einmal eines von diesen bunten, Healthy-delicious-whatever-Food-Bildern, untertitelt mit Pro-vegan-Slogans. Schon seit einiger Zeit werde ich auf diversen Social-Media- Kanälen, vorzugsweise von (selbsternannten) Fitnessgurus, darauf aufmerksam gemacht, wie toll veganes Essen sei. Diese Art der Ernährung scheint ja nur Vorteile zu haben: Regeneration des Körpers, gesund und trotzdem lecker, sich wie neu geboren fühlen und so weiter. Das macht mich neugierig: Ist da was dran? Ich habe sowieso schon seit zwei Monaten versucht, meinen Lebensstil in Bezug auf Fitness und gesunde Ernährung zu ändern. Jetzt möchte ich noch einen Schritt weiter gehen - und es testen. Ist das Essen für mich als junger Mensch mit niedrigem Einkommen überhaupt finanzierbar? Was bringt das? Und schmecken vegane Lebensmittel überhaupt?
Time to say Goodbye
Zuerst gilt es, die Rahmenbedingungen zu klären. Was ist eigentlich vegane Ernährung? Es gibt, wie beim Vegetarismus auch, Vertreter der reinen Lehre und eher pragmatische Ansätze. Ich habe mich für den rigorosen Weg entschieden: komplett auf tierische Produkte verzichten. Das heißt nicht nur: keine Eier, kein Fleisch und keine Milch. Ich werde auch auf Produkte verzichten, für die ganz kleine Tiere ausgebeutet werden, etwa Bienen: Arrivederci, Honig. Ebenfalls ein No-Go: Gelatine aus Tierknochen (adieu Gummibärchen!). Die "normalen" Lebensmittel habe ich in den Tagen vor meinem Experiment aufgebraucht, damit nichts verkommt und im Kühlschrank genug Platz für Neues ist. Also nichts wie los in den Supermarkt meines Vertrauens. Hat er da auch etwas zu bieten? Und was sagt mein schmaler Geldbeutel dazu?
Der Einkauf der veganen Lebensmittel hat doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich dachte. Der Teufel steckt nämlich oft im Detail. Beziehungsweise in Lebensmitteln, die nur "Spuren von …" enthalten (können). Auch diese werden jetzt großzügig aussortiert. Gefühlte zehn Stunden später begebe ich mich dann mit vollgepackten (Papier!-)Tüten nach Hause. Insgesamt war der Einkauf, wie erwartet, in einigen Punkten wesentlich teurer, als ein "normaler". Da ich mich schon hauptsächlich von Gemüse und Tofu, also vegan, ernähre, waren die Milchersatzprodukte für mich die größte Herausforderung. Ich esse gerne guten Käse, und vor allem Joghurt und Quark dürfen in meinem Kühlschrank nicht fehlen. Also sind diese Ersatzprodukte sowohl geschmacklich, als auch preistechnisch Neuland. Gerade vegane Milch, Joghurt und Aufstriche gehen ins Geld.
"Heute würde ich kotzen!"
Nach dem Einkauf blieb allerdings keine Zeit mehr, um selbst den Kochlöffel zu schwingen – ich bin abends verabredet. Gezwungenermaßen muss meine Freundin mitziehen, und wir gehen in ein veganes Restaurant. Zehn Gehminuten vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt, gibt es das "Fairy Food". Ein schnuckeliges Lokal im Holz-Design, kombiniert mit iPads als Speisekarte. Es ist wirklich lecker! Nach dem Seitan-Gulasch mit Polenta-Klößen gibt es noch einen Gratis-Nachtisch: Das Tortenstück ist zuvor umgestürzt und deswegen unverkäuflich. Meine Freundin schwärmt jetzt noch davon: "Ich will am liebsten nur noch vegane Torten essen!"
Wir sind eine ganze Zeit lang die einzigen Kunden, sodass wir mit der netten Bedienung schnell ins Gespräch kommen. Sie ist total begeistert, dass ich eine vegane Woche mache. Sie selbst war früher leidenschaftliche Fleischesserin und hielt nichts von "Go-vegan-Parolen". Da aber immer mehr ihrer Freunde auf Facebook Schock-Videos aus der Massentierhaltung gepostet haben, hat sie sich mehr mit dem Thema beschäftigt. Seitdem hat sich ihre Einstellung komplett geändert: "Früher war Hähnchen-Curry mein Lieblingsgericht, heute würde ich kotzen!" Mir kommt schnell die Frage in den Sinn, wieso sie nicht "nur" Vegetarierin ist. Denn da umgeht man ja schon das Thema Massentierhaltung.
Ihre Antwort ist für mich ebenso überraschend wie einleuchtend: "Vegetarisch leben ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Damit umgeht man keine Tierquälerei." Ich bitte sie um ein Beispiel. "Um möglichst viel Milch zu erwirtschaften, werden die Kühe – bio hin oder her – künstlich schwanger gehalten. Ihre Euter sind riesig, oft entzündet. Das ist für sie einfach eine Qual!" Das Argument sitzt. Man kann das nachlesen . Kälber werden häufig schon ein paar Tage nach der Geburt von der Mutterkuh getrennt, damit keine engere Bindung entsteht. Und um die Milch für uns Menschen zu nutzen. Aber Kühe sind sensible Tiere und trauern um ihr Kind. Oder Hühnereier: Man bringt zwar kein Huhn um, wenn man ein Ei isst. Aber allein in Deutschland werden jedes Jahr bis zu 50 Millionen männliche Küken nach dem Schlüpfen geschreddert oder vergast – nur weil sie keine Eier legen. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Was tun wir Tieren eigentlich alles an, um unseren Konsumansprüchen gerecht zu werden?
No Milk today
Herrlich ausgeschlafen, freue ich mich am zweiten Tag auf meinen allmorgendlichen Kaffee. Natürlich mit Milch! Hierbei habe ich mich für eine Soja-Reis-Milch entschieden. Ich bin kein Milchtrinker und verwende sie nur in Müsli oder eben Kaffee. Überraschenderweise schmeckt mir diese Milch pur und eiskalt wirklich sehr gut. Aber im Kaffee taugt sie einfach nichts. Der süßliche, reisähnliche Geschmack passt nicht zur braunen Bohne. Das war rückblickend aber auch das "Schlimmste" an dieser Woche. Kaffee geht zur Not ja auch mal schwarz. Zweifelnd frage ich mich, wie es denn mit den restlichen Milchersatzprodukten aussieht. Ich wage mich an den Sojajoghurt, der sich als ein wahres Träumchen entpuppt. Ich würde ihn jederzeit wieder kaufen - wenn er nicht mit fast zwei Euro für 500 Gramm für mich viel zu teuer wäre. Außerdem stört mich, dass er viel Zucker und Aroma enthält, was ich eigentlich meiden will. Aber wahrscheinlich hat er genau deshalb so gut geschmeckt.
Tag drei: Der Kühlschrank ist fast leer. Nur noch Paprika, Avocado eine Mango und in der Obstschale. Da ich ja nichts wegwerfen will, lasse ich meiner Kreativität freien Lauf. Und es lohnt sich: Der selbst kreierte Mango-Avocado-Paprika-Salat ist ein Party-Renner geworden. Als Dressing verwende ich einfach die vegane Mango-Papaya-Curry-Streichcreme. Alle anderen Gerichte, die in den kommenden drei Tagen verspeist habe, sind geschmacklich zwar nicht gourmet, aber schon lecker. Auch die Zubereitung war weder sonderlich kompliziert noch zeitintensiv. Eine dringende Empfehlung sind die veganen Brotaufstriche. Die gibt es in vielen verschiedenen Sorten von diversen Herstellern. Sie sind richtige Allrounder: schmecken auch als Dip oder als Dressing für Salate, und das Preis-Leistungs-Verhältnis ist absolut angemessen.
Was ich außerdem gemerkt habe: Auch mit einer bunten Gemüseplatte kann man sich ordentlich den Bauch vollschlagen und genießen. Meiner Meinung nach, muss man nicht zwingend jedes Ersatzprodukt im Kühlschrank haben, um sich abwechslungsreich vegan zu ernähren. Reis, Kartoffeln, saisonales Gemüse und Obst, gibt es zu guten Preisen fast überall. Die Tofupreise sind sehr unterschiedlich, aber definitiv vertretbar. Verglichen mit gutem Bio-Fleisch, nimmt es sich kostentechnisch nichts.
Den Mittelweg finden
Zugegebenermaßen habe ich mich ziemlich gesund und fit gefühlt. Ob das allerdings der veganen Ernährung zuzuschreiben ist, bleibt fraglich. Insgesamt bin ich nachdenklicher geworden. Mittlerweile kann ich kein Fleisch mehr im Supermarkt kaufen. Mein schlechtes Gewissen übermannt mich einfach. Ich denke, es ist sinnvoll, seinen Fleischkonsum drastisch zu reduzieren, wenn man gerne totes Tier isst und darauf nicht verzichten will. Sein Steak sollte man dann bei dem Metzger seines Vertrauens kaufen und es würdigen. Die paar Euro mehr sind das definitiv wert - auch geschmacklich. Milchtechnisch bleibe ich weiterhin bei Kuhmilch. Da gibt es für mich einfach keinen guten Ersatz. Dennoch werde ich jetzt nur noch Bio-Milch, mit Spende an den Erzeuger, kaufen und sie mir gut einteilen, sodass nichts schlecht wird und im Abfluss landet. Was sich nicht ändern wird: Käse! Ich liebe Käse. Guten Käse aus guter Milch - dafür gibt es für mich einfach keinen Ersatz. Aber auch hier sollte es zumindest bio sein.
"Brrr brrr!", mein Handy vibriert wieder - ein neuer Facebookpost. Und wieder ein einladendes Bild mit buntem Obst und Gemüse drauf. Darunter steht: "Vegan war gestern! Wer wirklich gesund leben und unserer Umwelt helfen will, der sollte Regional-Saisonaler Frutarier werden. Go for it!"