Am 24. Juli ist Erdüberlastungstag. Klingt nicht nach einem Grund zum Feiern. Ist es auch nicht. Es ist der Tag, an dem die Menschheit alle Ressourcen aufgebraucht hat, die die Erde im Lauf eines Jahres bereitstellen kann. Darunter fruchtbares Ackerland, Holz, Fische, aber auch die Aufnahmefähigkeit für Müll und Emissionen. So hat es das Global Footprint Network (GFN) errechnet. Anders ausgedrückt: Wir bräuchten 1,8 Erden, um nachhaltig über die Runden zu kommen. Man braucht nicht viel Fachwissen, um zu verstehen: Von nun an leben wir auf Pump. Oder: Irgendjemand, irgendwo, zahlt die Schulden, die wir jetzt anhäufen. Vor allem Menschen, die noch gar nicht geboren sind.
Aber was heißt eigentlich "wir"? Der Überkonsum ist global nicht gleich verteilt; wir Deutschen haben unsere Ressourcen für dieses Jahr nach GFN-Angaben sogar schon am 3. Mai verbraucht. Wenn alle so wirtschafteten wie wir, bräuchte die Menschheit also drei Erden. Das sah übrigens im Jahr 1961 – weiter reichen die UN-Datensätze nicht zurück – schon genauso aus. Wann Deutschland das letzte Mal nachhaltig gewirtschaftet hat, weiß niemand. Vielleicht in den 20er- oder den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Nun sind die Berechnungen des GFN kein Selbstzweck. Sie sollen zeigen, dass und wie sehr die Menschen in den Ländern der Erde über ihre Verhältnisse leben – und damit auf Kosten anderer. Sie sollen moralischen Handlungsdruck aufbauen. Was also tun? Weniger Fleisch essen und Auto fahren? Auf das Fliegen verzichten? Kalt duschen? Klar ist, dass es klug wäre, von allem weniger zu verbrauchen. Aber wie Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn des Ökologischen Fußabdrucks gelingen soll – das ist eine politische Frage.

Dass faktenbasierte Appelle ins Leere laufen, zeigt sich exemplarisch beim Klimawandel, einer Folge unseres Überkonsums von vielen: Lange dachten wir, die Zahlen sprächen für sich. "Nicht mehr als 1,5 Grad" ist doch eine klare Ansage, oder? "Listen to the science!" – es lässt sich leicht berechnen, wie viel CO2 jedes Land der Welt noch bis wann emittieren darf, damit die "Rettung des Klimas" gelingt. Heute müssen wir ernüchtert feststellen: Das 1,5-Grad-Limit ist nicht zu halten. Und die Wissenschaft ist im Konzert der öffentlichen Stimmen nur eine unter vielen. Am lautesten ist gerade eine, die die Wissenschaft anzweifelt, den menschengemachten Klimawandel sogar leugnet. Ob und wie das Klima zu schützen ist, wer verantwortlich ist und welche Kosten übernehmen muss: Das sind nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt Fragen, die gesellschaftlich ausgehandelt werden. Nie war das deutlicher zu sehen als heute, in den Zeiten eines fast globalen Rechtsrucks.
Der Soziologe Harald Welzer sagte einmal im GEO-Interview: "Wir haben einen historisch unvergleichlich hohen zivilisatorischen Standard, mit Errungenschaften wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Bildung, Gesundheits- und Sozialversorgung. All das verdanken wir der kapitalistischen Wachstumswirtschaft." Wachstum, so Welzer, sei aber nicht unendlich. "Die Frage ist: Wie können wir unseren Standard halten mit einem Fünftel oder einem Zehntel des heutigen Material- und Energieverbrauchs?" Das klang gut: Bewahren, was wirklich wichtig ist – und bei allem anderen Abstriche machen. Also beim materiellen Wohlstand. Und am besten freiwillig.
Womit wir nicht gerechnet haben: Ängste vor einem sozialen Abstieg, vor einer "Deindustrialisierung" Deutschlands, vor einem Leben "wie in der Steinzeit" lassen sich leicht aktivieren. Die Attraktivität von Wachstum und materiellem Wohlstand ist demgegenüber ungebrochen – und in weiten Teilen der Gesellschaft (die Medien eingeschlossen) immer noch unhinterfragt. Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, politische Krisen und Kriege befeuern die Sehnsucht nach dem vermeintlich Bewährten zusätzlich. Mit dem Ergebnis, dass immer mehr Menschen bereit sind, hohe zivilisatorische Standards auf dem Altar des materiellen Status quo zu opfern: "Weiter so" statt Demokratie.
Die ökologische Krise ist auch eine Krise der globalen Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Das ist keine gute Nachricht. Wer in den kommenden Jahren für die Demokratie eintritt, sollte wissen, dass es um mehr geht.