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Schmackhaftes von vorgestern

Nur wenige Obstbauern kämpfen heute noch für die Vielfalt fast vergessener Früchte. Apfelbauer Alfred Helmig ist einer von ihnen

Wer in Alfred Helmigs kleinen Hofladen eintritt, dem strömt der fruchtig-süße Geruch reifer Äpfel entgegen. Dabei liegen jetzt, am Ende des Winters, nur noch wenige der begehrten Früchte in den grünen Obstkisten. Im vergangenen Herbst konnte Helmig vier Tonnen Äpfel ernten - alles alte Sorten, die man im Supermarkt vergeblich sucht.

Golden Delicious, Braeburn oder Pink Lady - so heißen die Apfelsorten, die heute in jedem Supermarkt die Auslagen füllen. Und viel länger wird die Liste der angebotenen Sorten meist nicht. Dabei sind weit mehr Apfelsorten bekannt. Allein in Europa sollen es über 3000 verschiedene sein. Allerdings geraten viele der altbekannten Sorten, die oft schon im Mittelalter entdeckt wurden, zunehmend in Vergessenheit. Sie wurden von normierten Züchtungen ersetzt, die nur zu einem Zweck kultiviert werden: Um möglichst viel Gewinn zu erzielen.

Der Berlepsch wurde 1880 gezüchtet und nach dem damaligen Düsseldorfer Regierungspräsidenten benannt
Der Berlepsch wurde 1880 gezüchtet und nach dem damaligen Düsseldorfer Regierungspräsidenten benannt
© Alfred Helmig

So kommen die neuen Sorten meist groß, rund und glänzend daher. Gezüchtet, um schön auszusehen. Denn das ist es, was die meisten Kunden zum Kauf verleitet. Viele alte Obstsorten können da nicht mithalten. Und in der Tat kommen auch die Äpfel von Alfred Helmig nicht in runder Vollendung und stets gleich groß daher. Der Landwirt, der in den 90er Jahren den Hof seines Vaters in Greven bei Münster übernahm, hat sich dem Diktat des Marktes entzogen und dem Anbau alter Obstsorten verschrieben.

Geschmack verpflichtet: "Prinz Albrecht von Preußen"

Obstbauer Alfred Helmig mit seinem mobilen Verkaufsstand
Obstbauer Alfred Helmig mit seinem mobilen Verkaufsstand
© Alfred Helmig

Denn nicht nur Äpfel, auch andere Obstsorten haben eine lange Tradition in Deutschland. Auf dem Hof von Alfred Helmig wachsen daher neben den rund 200 Apfelbäumen auch einige Kirschen, Birnen und Zwetschgen. Einen Pink Lady sucht man hier allerdings vergeblich. Stattdessen hängen im Herbst wieder Äpfel an den Bäumen mit so klangvollen Namen wie "Prinz Albrecht von Preußen" oder "Dülmener Rose".

Aus den verschiedenen Apfelsorten macht der Landwirt Apfelmost und Apfelsaft - oder verkauft sie im Herbst frisch auf den Märkten der Umgebung. Dabei unterscheiden sich seine Äpfel gänzlich von den Supermarktfrüchten; sie sind klein oder groß, mit Beulen oder auch nicht. Doch würde man nicht die äußere Erscheinung, sonder die inneren Werte der beliebten Früchte bewerten, würden die neuen Züchtungen neben den Äpfeln des Münsterländer Hofes wohl recht alt aussehen.

Moderne Sorten können Allergien auslösen

Im Gegensatz zu den alten Sorten haben die neuen Züchtungen bedeutende Nachteile, die vor allem empfindliche Menschen schnell zu spüren bekommen. "Die neuzeitlichen Sorten haben mehr Allergene, die eine Apfelallergie bei den Konsumenten hervorrufen können", erklärt Alfred Helmig. Der Genuss von Äpfeln, Kirschen oder auch Nektarinen wird also spätestens dann zu einer Qual, wenn der Rachen juckt oder die Atemwege zuschwellen.

Die "Optimierung" der neuen Sorten geht sogar so weit, dass nicht mal aufgeschnittene Äpfel ihr Aussehen verlieren: "Ein normaler Apfel wird braun, wenn man ihn aufschneidet, weil der Apfel an der Luft oxydiert, " erklärt der Landwirt. Bei einigen neuzeitlichen Sorten habe man diese Eigenschaft aber schon weggezüchtet. Die Substanz, die unter anderem dafür verantwortlich ist, dass ein Apfel nach dem Anschneiden braun wird, heißt Polyphenol. Laut BUND sorgen Polyphenole aber auch dafür, dass Äpfel keine Allergien auslösen.

Dass in den großen Discountern und Supermärkten nur die immer gleichen Sorten angeboten werden, ist für viele Experten aber nicht nur ärgerlich, weil traditionelle Obstsorten in Vergessenheit geraten und trotz ihrer guten Eigenschaften nicht wertgeschätzt werden. Für die Mitglieder des Pomologen-Vereins ist es regelrecht fatal, dass es fast nur noch "vereinheitlichte" Früchte zu kaufen gibt. Auch für Hans-Joachim Bannier vom Pomologen-Verein ist der Anbau alter Obstsorten nicht nur Nostalgie: "Die Erhaltung der Biodiversität bei Kulturpflanzen ist gerade für einen ökologisch orientierten Obstanbau dringend erforderlich."

"Genetische Verengung" statt Vielfalt

Das größte Problem an den vereinheitlichten Sorten ist, dass der Genpool des Obstes immer ärmer wird. Die Pomologen, die sich um die Bestimmung und Beschreibung von Obstarten und Obstsorten kümmern, haben sich daher auch dem Erhalt traditioneller Sorten und damit der Artenvielfalt verschrieben. Problematisch ist für Bannier außerdem, dass die Apfelsorten des modernen Erwerbsobstbaus fast durchgängig auf sechs relativ krankheitsanfälligen "Stammsorten", wie beispielsweise Golden Delicious oder Cox Orange, zurückgehen. Als "genetische Verengung" bezeichnet der Apfelexperte die derzeitige Situation im erwerbsmäßigen Obstanbau, der Landwirte wie Alfred Helmig entgegenwirken wollen.

Ein weiteres Argument für die alten Apfelsorten: Sie seien besser bekömmlich und enthalten mehr Mineralstoffe und Vitamine, sagt Alfred Helmig. Zu den verträglichsten Sorten gehört beispielsweise der Rheinische Winterrambo, ein im Volksmund auch als Diätapfel bezeichneter Apfel. Von Natur aus enthält dieser Apfel sehr wenig Fruchtzucker und ist daher vor allem unter älteren Menschen, die Probleme mit dem Blutzucker haben, sehr beliebt. Aber auch säuerliche Sorten wie der Berlepsch gehören zu den begehrten Sorten aus Großmutters Zeiten.

Jede Sorte hat ihr eigenes Aroma

Ein Biss in einen der Äpfel, die noch in dem kleinen Hofladen des Apfelbauern lagern, macht außerdem klar, warum es richtige Liebhaber der alten Sorten gibt: "Je näher der Apfel mit dem Wildapfel verwandt ist, desto besser ist das Aroma", schwärmt Alfred Helmig. Das Aroma sei dabei sortenspezifisch. So gebe es auch Äpfel, die nicht ganz so aromatisch seien, doch die würden dann einfach für die Apfelsaftproduktion genutzt. Der Geschmack bei den meisten anderen Sorten sei dagegen ungeschlagen.

Das Obst der Familie Helmig ist im Münsterland inzwischen so beliebt, dass von der Ernte des letzten Jahres nur einige wenige Äpfel übrig sind. Kunden, die jetzt noch nach eingelagerten Äpfeln fragen, müssen von den Helmigs mit dem Versprechen, dass es im Herbst wieder neues Obst geben werde, vertröstet werden. Dann soll auch wieder das große Apfelfest auf dem Obsthof stattfinden, auf dem im letzten Jahr fast die ganze Ernte des Familienbetriebs verkauft wurde.

Für ein optimales Aroma unterscheidet Alfred Helmig genau zwischen der Pflück- und der Genussreife der Äpfel: "Denn nur wenn die Äpfel nach der Ernte noch eine Weile ruhen, entwickelt sich das volle Aroma."

Alte Sorten in Bio-Qualität

Stolz ist der Landwirt auch darauf, dass er zu den wenigen vom Anbauverband Bioland zertifizierten Betrieben gehört, die alte Obstsorten anbauen. "Vor dem Winter kann man die Obstbäume mit einem Weißanstrich gegen Frostrisse schützen." Ansonsten werden die Bäume im Frühjahr organisch gedüngt und von Zeit zu Zeit werden Obstbaumschnitte durchgeführt. Den Rest erledigen die Schafe, die im Sommer auf den Obstwiesen stehen. Die halten die Grasnarbe unter den Bäumen kurz und die Wühlmäuse fern. Zudem tragen die Früchte der Apfelbäume noch die Robustheit des Wildapfels in sich, so dass sie nicht mit Insektiziden gespritzt werden müssen. Ideal also für den biologischen Anbau.

Nach einem Rundgang über seine Obstwiesen und einem Besuch bei den Schafen stellt der Landwirt einen Karton mit Apfelsaft auf den massiven Holztisch der Wohnstube. In der Kartonage, in der sich ein Plastikschlauch mit einem kleinen Zapfhahn befindet, hält sich der Saft besonders lange. Wenn der trübe Saft dann duftend ins Glas rauscht, begreift man, warum sich Menschen wie Alfred Helmig mit so viel Leidenschaft dem Obst widmen.

Bioland-Hof der Familie Helmig, Greven-Schmedehausen

Kontakt unter: alfredhelmig-bio@web.de

Weitere Informationen unter: www.pomologen-verein.de oder unter bei den örtlichen Naturschutzorganisationen, wie dem NABU oder dem BUND, z.B. www.nabu.de/themen/streuobst oder www.bund-lemgo.de/oekologischer_obstbau.html

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