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Burnout Leseprobe: Vom Phänomen des Ausbrennens

Was verbirgt sich hinter dem Burnout-Syndrom: eine Modediagnose oder eine ernsthafte Erkrankung?

Das Leiden ist paradox. Offiziell existiert es nicht als Erkrankung, und doch quält es Abertausende Menschen. Im Extremfall führt es zu einem frühen Tod. Und doch können Mediziner es nicht präzise diagnostizieren. Experten diskutieren darüber auf Kongressen, Laien in den Medien, Wissenschaftler erforschen es an Hunderten von Betroffenen, die Menge der Publikationen ist nicht mehr zu überblicken – und doch ist dieses Leiden erst vor ein paar Jahrzehnten wie aus dem Nichts aufgetaucht: das Burnout-Syndrom.

Das bildhafte Wort bezeichnet ein Phänomen des menschlichen Erlebens, bei dem gleichsam ein inneres Feuer erlischt. Es ist, als verglimme jede Kraft, um die Arbeit und den Alltag zu bewältigen. Zurück bleibt ein zermürbendes Gefühl der Erschöpfung, das sich bleiern auf das Gemüt senkt und den Körper schwächt, mitunter bis zum völligen Zusammenbruch.

Vor etwa 40 Jahren beobachteten US-Forscher dieses Phänomen erstmals bei Menschen, die in ihrem Beruf anderen helfen, etwa bei Lehrern, Krankenpflegern, Psychotherapeuten. Später wurden auch in Europa, Asien und Lateinamerika Klagen über das Gefühl des Ausgebranntseins laut. Mittlerweile wird das Leiden überall auf der Erde vermeldet. In Israel und Südkorea, in Neuseeland und Dänemark, in Malawi und der Mongolei.

Und es beschränkt sich nicht mehr auf Sozialberufe. Es ist, als mache das Leiden kaum Unterschiede: Es zeigt sich bei Jungen und Alten, bei Frauen und Männern, bei Studenten und Managern, Laboranten und Callcenter-Agenten, Apothekern, Bestattern und Profisportlern. Nicht nur Menschen mit 70-Stunden-Wochen und Schichtdiensten haben damit zu kämpfen, sondern auch solche, die einen durchschnittlichen Arbeitsalltag haben. Bis zu sieben Prozent der Erwerbstätigen in den westlichen Industriestaaten gelten nach ernst zu nehmenden Schätzungen als Betroffene des Burnout-Syndroms – das wären allein in Deutschland rund drei Millionen Menschen.

Hierzulande fallen jährlich mehr als 100.000 Beschäftigte wegen des Leidens im Job aus, meist für viele Wochen oder gar Monate. Nicht jeder kehrt überhaupt zur Arbeit zurück. Manche werden dauerhaft als erwerbsunfähig eingestuft, müssen verfrüht in den Ruhestand treten. Dramatisch wirkt dabei, wie rasch das Leiden um sich greift und immer mehr Menschen erfasst.

Den Angaben der gesetzlichen Krankenkassen zufolge ist die Zahl der Menschen, die in Deutschland wegen eines Burnout-Syndroms von Ärzten krankgeschrieben wurden, von 2004 bis 2011 um 700 Prozent gestiegen. Noch schneller nahm im gleichen Zeitraum die Menge der Krankheitstage zu – um fast 1400 Prozent.

Verglichen mit anderen Ursachen ist die Zahl zwar recht gering: Die Ausfallzeiten etwa durch Erkrankungen der Atemwege oder durch Rückenschmerzen belaufen sich auf mehr als das Zehnfache. Und kaum jemand zweifelt daran, dass die sprunghafte Zunahme der dokumentierten Fälle in den letzten Jahren weniger durch die Ausbreitung des Leidens selbst als vielmehr durch die Sensibilisierung von Ärzten und Patienten zustande kommt. Angesichts der enormen Aufmerksamkeit, die das Syndrom in den Medien erfährt, ist Burnout inzwischen gar als „Modediagnose“ verschrien.

Gleichwohl sprechen manche Experten von einer regelrechten Burnout-Epidemie. Denn die offiziellen Krankenstatistiken erfassen vermutlich nur einen Bruchteil der Betroffenen. Damit ist das „Ausbrennen“ auch gesellschaftlich ein bedeutsames Problem. Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen hat errechnet, dass durch psychische Belastungen am Arbeitsplatz jährlich Kosten von 6,3 Milliarden Euro entstehen.

Dabei stellen zeitweise oder dauerhafte Arbeitsunfähigkeit meist nur den Endpunkt der Leidensgeschichten dar. Bereits zuvor verschlechtert sich bei Ausbrennenden die Leistungsfähigkeit: Sie sind weniger konzentriert und produktiv, treffen häufiger falsche Entscheidungen – mitunter mit dramatischen Folgen. Studien zeigen: Ärzte mit Burnout-Symptomen neigen eher zu Behandlungsfehlern, Krankenschwestern verursachen mehr Infektionen, Altenpfleger vernachlässigen häufiger die ihnen anvertrauten Senioren.

Denn wenn die völlige Erschöpfung naht, erscheint jede noch so kleine Pflicht wie eine schier unüberwindbare Herausforderung. Selbst einfache Aufgaben werden zu Kraftanstrengungen. Was zuvor sinnvoll erschien, verliert seine Bedeutung; was Freude brachte, verwandelt sich in eine überfordernde Last.

Die Empfindungen werden blass, stumpf, gerade so, als lege sich ein undurchdringlicher Nebel über sie. Matt und kraftlos schleppen sich die Betroffenen voran, schlafen schlecht und finden keinen Augenblick mehr innere Ruhe.

Doch manchmal werden sie ihrer Situation erst gewahr, wenn auch der Körper ihnen Signale sendet: Forscher haben beobachtet, dass sich bei ausgebrannten Menschen Immun- und Herz-Kreislauf-System verändern und anfälliger werden. Die Folgen: mehr Infekte wie Magen-Darm-Entzündungen oder Erkältungen, oft Schwindel, Kopf- und Gliederschmerzen oder ein dauerhaftes Pfeifen im Ohr (Tinnitus), mitunter gar ein Herzinfarkt.

Die vielen Facetten machen das Burnout-Syndrom zur medizinischen Herausforderung. Deshalb nennen es Ärzte und Psychologen auch nicht eine Krankheit, sondern ein Syndrom: einen Zustand, der sich durch das Auftreten bestimmter Symptome zeigt, wobei die zugrundeliegende Störung jedoch im Dunkeln bleibt.

Auch nach Jahrzehnten der Forschung fällt es Wissenschaftlern noch schwer, das Phänomen Burnout exakt zu beschreiben. Erst allmählich gelingt es ihnen zu erklären, weshalb Beschäftigte immer häufiger dauerhafte Erschöpfung beklagen. Warum manche alle Energie verlieren – und andere in ähnlichen Situationen weiterhin bei Kräften sind. Und wie sich das Leiden von bereits seit Langem bekannten psychischen Erkrankungen (etwa der Depression) unterscheiden lässt.

Den ganzen Text lesen Sie in GEOkompakt Nr. 40 "Wege aus dem Stress".

Burnout: WER IN DIE SPIRALE der Erschöpfung gerät, erlebt, wie sich sein Wesen radikal wandelt: Begeisterung schlägt um in Verdruss, Kreativität und Motivation weichen zunehmend emotionaler Armut und Initiativlosigkeit. Betroffene klagen über Kopfschmerzen, Verspannungen, Magen-Darm-Infekte, Schlaflosigkeit. Und schließlich kann sich das Leiden zu einer klinischen Depression entwickeln
WER IN DIE SPIRALE der Erschöpfung gerät, erlebt, wie sich sein Wesen radikal wandelt: Begeisterung schlägt um in Verdruss, Kreativität und Motivation weichen zunehmend emotionaler Armut und Initiativlosigkeit. Betroffene klagen über Kopfschmerzen, Verspannungen, Magen-Darm-Infekte, Schlaflosigkeit. Und schließlich kann sich das Leiden zu einer klinischen Depression entwickeln
© Lars Henkel

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GEO KOMPAKT Nr. 40 - 09/2014 - Wege aus dem Stress

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