Was für ein Glückstreffer: Im Jahr 2008 stöberte der Hobby-Archäologe Kun-Yu Tsai in der taiwanesischen Stadt Tainan nach Antiquitäten, als er in einem Geschäft einen bräunlich gefärbten Kieferknochen mit geschwärzten, kräftigen Zähnen entdeckte. Fischer hatten ihn aus dem nahegelegenen Penghu-Kanal geborgen. Kun-Yu Tsai erkannte: Von einem modernen Menschen konnte dieser Kiefer nicht stammen. Also kaufte er den Knochen und spendete ihn später an das taiwanesische Nationalmuseum für Naturwissenschaft.
Jetzt, knapp zwei Dekaden später, konnten Forschende bestimmen, von welcher Art der Kieferknochen stammt: von einem Denisova-Menschen, jener rätselhaften Frühmenschenart, die eng mit dem Neandertaler verwandt ist und ungefähr vor 400.000 bis 30.000 Jahren lebte.
2008 wurden erstmals Überreste eines Denisova-Menschen entdeckt
Bis heute liegen nur äußerst wenige Fossilien von Denisova-Menschen vor: Erst 2008 wurden in der Denisova-Höhle in Sibirien erste Überreste – ein paar Zähne sowie Fragmente eines Fingers – entdeckt. Zwei Jahre später ergaben Analysen, dass es sich tatsächlich um eine von Neandertalern und Homo sapiens verschiedene Art handelte. 2019 entdeckten Forschende im tibetanischen Hochland schließlich weitere Denisova-Fossilien.

Dass diese Vertreter der Gattung Homo keineswegs ausschließlich Kälte-Spezialistinnen und -Spezialisten waren, die in Gebirgszügen lebten, steht bereits länger fest: Das Erbgut heutiger indigener Völker aus Neuguinea, Australien und Ozeanien enthält drei bis sechs Prozent der DNS des Denisova-Menschen. Das heißt auch: Er muss mit dem modernen Menschen Nachkommen gezeugt haben, genau wie mit dem Neandertaler.
Der Fund in Taiwan mit dem wissenschaftlichen Namen "Penghu 1" belegt nun erstmals anhand eines Fossils, dass Denisova-Menschen auch unter völlig anderen Bedingungen als in Sibirien und Tibet gelebt haben. "Die Anwesenheit von Denisova-Menschen in verschiedenen geografischen und klimatischen Zonen – von einem kontinentalen Klima mit langen, kalten Wintern über ein alpines subarktisches Klima in großer Höhe bis hin zum wärmeren, feuchteren Klima in niedrigeren Breitengraden – zeigt ihre Anpassungsfähigkeit", schreiben Forschende um den Anthropologen Takumi Tsutaya in ihrer Studie, die im Fachmagazin "Science" erschien.
Bislang wurden ausschließlich Überreste männlicher Denisova-Menschen gefunden
Das Alter von "Penghu 1" konnten sie nicht eindeutig bestimmen: Fest steht, dass der Denisova-Mensch während einer von zwei Eiszeiten gelebt hat, in denen der Penghu-Kanal, aus dem das Fossil geborgen wurde, über dem Meeresspiegel lag: entweder vor 10.000 bis 70.000 Jahren oder vor 130.000 bis 190.000 Jahren.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zwar keine DNA aus der Probe gewinnen, aber es gelang ihnen, Proteine zu extrahieren und zu sequenzieren. Dadurch konnten sie auch nachweisen, dass das Fundstück von einem Denisova-Menschen stammt. Auch das Geschlecht steht fest: Demnach handelt es sich um den Unterkiefer eines Mannes.

Das Fossil lässt auch weitere Rückschlüsse auf äußerliche Merkmale des Denisova-Menschen zu: So hatte der Mann einen starken Kiefer und sehr große, kräftige Backenzähne. "Jetzt ist klar, dass zwei gegensätzliche Homininengruppen – kleinzahnige Neandertaler mit hohen, aber grazilen Unterkiefern und großzahnige Denisova-Menschen mit niedrigen, aber robusten Unterkiefern – während des Spätpleistozäns koexistierten", heißt es in der Studie. Insofern zeige der Fund auch die Vielfalt innerhalb der Gattung Homo.
Um ein genaueres Bild des Denisova-Menschen zu entwerfen, sind Forschende nun auf Fossilien von weiblichen Individuen angewiesen: Bislang stammen alle Fundstücke ausschließlich von Männern.