24-Stunden-Rennen Inferno in Le Mans: Der schlimmste Unfall in der Geschichte des Motorsports

  • von Rebecca Wegmann
Le départ des 24 aux Heures du Mans, le 11 juin 1955.
Auf die Plätze, fertig, los: Beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans starteten die Fahrer traditionell mit einem Sprint zu ihren Wagen
© Keystone-France / Getty Images
Beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans kommt es 1955 zur größten Katastrophe der Rennsportgeschichte. Bei einem Zusammenstoß mehrerer Rennautos sterben 84 Menschen

Mercedes, Jaguar, Aston Martin, Ferrari oder auch Porsche, die führenden Rennwagenhersteller Europas kommen im Juni 1955 in das westfranzösische Le Mans. Die Stadt mit 130.000 Einwohnern befindet sich im Ausnahmezustand. Wieder einmal, denn in diesem Jahr findet schon die 23. Ausgabe des berühmten Langstreckenrennens statt. Es ist der Höhepunkt der Rennsaison. 


24 Stunden dauert das Rennen. In dieser Zeit müssen die Fahrer die 13,5 Kilometer lange Strecke so oft abfahren wie möglich. Je zwei Fahrer pro Team wechseln sich ab. Wer am Ende die meisten Kilometer auf der Uhr hat, gewinnt. Doch während des Rennens am 11. Juni 1955 ereignet sich das größte Unglück der Rennsportgeschichte. 83 Zuschauer und ein Fahrer kommen ums Leben. 

Ganz nah dran

Mehr als 200.000 Menschen sind an diesem Tag zur Rennstrecke in Le Mans gekommen, um das Kräftemessen der europäischen Automarken mitzuerleben. Unter den Zuschauern ist damals auch Jean-Paul Guittet. "Man fühlte sich sehr verbunden, weil es keine Zäune und auch keine Absperrungen gab. Wir waren ganz nah an den Autos dran", erzählt der Rennsport-Fan in der ZDF-History-Reportage "Rennen in den Tod". Die Strecke ist an vielen Stellen lediglich mit Holzbarren oder Strohballen abgesichert. Die Fahrbahn ist eine normale Straße, auf der sonst Pkw und Lastwagen unterwegs sind. 

Drückende, schwüle Hitze und große schwarze Wolken: Die Atmosphäre kurz vor dem Rennen ist nicht nur wegen eines aufziehenden Gewitters angespannt. 

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Wie jedes Jahr beginnt das Rennen um Punkt 16 Uhr. Den Wettkampf eröffnet damals ein Sprint der Fahrer zu ihrem Wagen. Schon kurz nach dem Start geht der Brite Mike Hawthorn in einem Jaguar D-Type, Startnummer 6, in Führung. Dicht gefolgt von Juan Manuel Fangio mit der Nummer 19. Der Argentinier fährt einen Mercedes-Benz 300 SLR. Er ist der Starpilot des Herstellers. Nach zwei Stunden haben sich Hawthorn und Fangio vom Rest des Feldes abgesetzt, keiner will den anderen vorbeiziehen lassen. Die beiden Fahrer liefern sich einen erbitterten Positionskampf. Der Rundendurchschnitt der Führenden liegt bei 200 Kilometern pro Stunde – eine irrsinnige Geschwindigkeit. 

Eine fatale Kettenreaktion

Am Ende der 35. Runde sitzt der Argentinier dem Briten Hawthorn im Nacken. Sie sind kurz davor, den Franzosen Pierre Levegh (Mercedes-Benz, Startnummer 20) und den Briten Lance Macklins (Austin-Healey mit der 26) zu überrunden. Gegen 18:25 Uhr überholt Hawthorn die beiden auf den Zielgeraden. Er ist schon an ihnen vorbei, als er kurz vor Macklin einschert – Hawthorn möchte die Boxengasse anfahren, denn ihm fehlt Benzin. 

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Hawthorns Jaguar ist dem Austin von Macklin beim Bremsen technisch überlegen. Er bremst schneller, als Macklin es im Austin kann. Um auszuweichen, wechselt Macklin auf die linke Spur. Von hinten fährt daraufhin Pierre Levegh in seinem Mercedes mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde auf Macklins Wagen auf. Dessen Heck wird zur Sprungschanze für Levegh, der Mercedes schießt in die Höhe und prallt gegen eine Betonmauer. Das Fahrzeug fängt sofort Feuer.

Spectators flee the searing flames of a smashed Mercedes racing car after an accident at Le Mans, France, endurance race which killed more than 80 persons, June 11, 1955. Behind these fleeing spectators is the scene where many were killed when hit by flying pieces of the racer which exploded after crashing into a retaining wall. In the background are the pit stalls for the racers.
Zuschauer fliehen vor den Flammen eines brennenden Mercedes-Rennwagens nach einem Unfall beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans am 11. Juni 1955
© Jimmy Prickett / picture alliance

Augenzeugen berichten später, Explosionen gehört zu haben. Teile des Mercedes fliegen in die Zuschauerreihen. Der Fahrer Pierre Levegh und 83 Zuschauer sterben, darunter auch Kinder. 

Macklin und Fangio überleben die Katastrophe. Hawthorn kommt 80 Meter hinter der Boxengasse zum Stehen und erfährt erst dort von dem schrecklichen Unfall. Mercedes nimmt die verbliebenen Autos aus dem Rennen. Der Hersteller des Unglückswagens wird sich für Jahrzehnte aus dem Rennsport zurückziehen. 

Trotz des Infernos am Rand der Strecke geht das Rennen jedoch weiter. Am 12. Juni 1957 klettert Hawthorn für die letzte Runde noch einmal in seinen Jaguar. Und gewinnt das Rennen. Später verurteilen ihn die Fans für seine Freude über diesen Sieg.

Weil die Strecke schlecht abgesichert war, kamen so viele Menschen ums Leben. Nach der Katastrophe verbessern die Veranstalter ihre Sicherheitsvorkehrungen. Heute sehen viele Experten Hawthorns Überholmanöver als Ursache für den schrecklichsten Unfall in der Geschichte des Motorsports. 

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