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"Allergiker werden wieder sehr leiden" Allergien werden immer schlimmer: Expertin rät, was gegen Heuschnupfen hilft

Junge Frau niest in ein Taschentuch
Schadstoffe, Pollen, Lärm: Allergiker*innen leiden in der Stadt wohl mehr als auf dem Land
© contrastwerkstatt / Adobe Stock
Wärmere Temperaturen und blühende Pflanzen: Was bei vielen für Frühlingsgefühle sorgt, ist für andere der Beginn einer Leidenszeit. Warum die Zukunft für Allergiker*innen nicht rosig aussieht, weshalb man Heuschnupfen nicht aushalten sollte und was präventiv und akut hilft, beantwortet die Umweltmedizinerin Prof. Traidl-Hoffmann im Interview

Inhaltsverzeichnis

Worauf sich Allergiker und Allergikerinnen in Zukunft einstellen müssen

GEO: Trockenheit und ein sogenanntes Mastjahr sorgten 2022 vielerorts für einen besonders starken Pollenflug – und besonders quälenden Heuschnupfen. Müssen sich Allergiker*innen auch dieses Jahr auf schwere Monate einstellen?

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann: Ja, davon gehe ich aus. Das ist aber ein Trend, den wir nicht nur im letzten Jahr gesehen haben. Wir beobachten über die letzten drei Jahrzehnte eine massive Zunahme des Pollenfluges. Und der wird sich auch wieder weit ins Jahr strecken. Bald kommt die Birke, ganz zum Schluss die Kräuter. Allergiker werden auch in diesem Jahr wieder sehr leiden.

Und woran liegt das, welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Was sagt die Forschung?

Die Forschung sagt hier ganz klar, dass es nicht nur den einen Einflussfaktor gibt. Da ist einmal die globale und lokale Erwärmung, die dazu führt, dass die Saison sich einfach verlängert. Ein weiterer Punkt ist, dass Trockenstress dazu führt, dass die Bäume und die Pollen vermehrt jene Eiweiße freisetzen, die bei uns die Allergie auslösen – aber für die Pollen selbst zum "Abwehrsystem" gehören. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass nicht nur klimawandelbedingte Faktoren, sondern auch die Umweltverschmutzung dazu beiträgt, dass die Pollen aggressiver werden. Sehr wahrscheinlich kommt es dabei nicht nur zu einer höheren Aggressivität der Pollen, sondern eben auch zu einer Mehrproduktion. Es gibt mehr Pollen pro Tag. Und das ist sehr wahrscheinlich auch ein Stress- und Überlebensmechanismus insbesondere der Birken, die sehr trocken-sensitiv sind.

Prof. Traidl-Hoffmann im Porträt
© Anatoli Oskin / Universität Augsburg

Über die Expertin Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann

Frau Prof. Traidl-Hoffmann ist Direktorin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg sowie Direktorin des Instituts für Umweltmedizin am Helmholtz Zentrum München. Das Forschungszentrum hat mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit den Allergieinformationsdienst aufgebaut, den die Medizinerin als wissenschaftliche Expertin berät. Außerdem ist sie Mitglied der Kommission "Environmental Public Health" des RKI und im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).

Schadstoffe, Pollen, Lärm: Warum Allergiker in der Stadt mehr leiden als auf dem Land

Gibt es da einen spürbaren Unterschied vom Leben in der Stadt zum Leben auf dem Land?

Zunächst einmal haben wir gesehen, dass die Stadtpollen zum Teil aggressiver sind. Aber in der Stadt kommen vor allem zusätzlich multiple Stress-Faktoren hinzu, das heißt hier sind vermehrt noch andere Schadstoffe in der Luft. Und eine Stadt ist auch eine Hitzeinsel. Da haben Allergiker einfach die volle Ladung von Schadstoffen, Pollen, aber auch Lärmstress. Und deswegen ist es in der Stadt so, dass Menschen mit Allergien noch mehr leiden. Es ist also immer die Kombination aus vielen Umweltfaktoren, die am Ende für die erhöhte Krankheitslast verantwortlich ist.

Kann man sich also darauf einstellen, dass sich Allergien in den nächsten Jahren noch weiter verschlimmern werden und immer mehr Menschen mit Heuschnupfen bzw. Pollenallergien dazu kommen?

Also das ist natürlich eine Prognose, die nicht nur auf meinem Mist gewachsen ist, sondern eine klare wissenschaftlich basierte Prognose, die auf einer breiten Datenbasis und Berechnungen beruht und auch von der Europäischen Akademie für Allergie und Klinische Immunologie (EAACI) ausgegeben ist: Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2050 tatsächlich die Hälfte der europäischen Bevölkerung an Allergien leiden wird.

"Was als Heuschnupfen verharmlost wird, ist eine schwere Rhinitis"

Und vermehrt auch an schweren Allergien? Es gibt ja den sogenannte "Etagenwechsel", wonach die Allergie mit einem Schnupfen anfängt und in einem allergischen Asthma gipfelt. Steigert sich in Zukunft auch die Häufigkeit schwerer allergischer Symptome?

Ja, wobei ich mich so ein bisschen gegen die Aussage verwehre, mit einem "Schnupfen" finge es an. Was als Heuschnupfen verharmlost wird, ist eine schwere Rhinitis, also eine schwere Entzündung der Nasenschleimhäute, die wirklich auch zu einer massiven Einschränkung der Lebensqualität führen kann. Insofern müssen wir, und da wird jeder Allergiker nicken, von einer stark beeinträchtigenden Erkrankung sprechen: Die Augen tränen und jucken und man leidet unter einem so starken Schnupfen, dass man sich nicht konzentrieren und dadurch nicht richtig arbeiten kann. Aber Sie haben natürlich recht, wenn es dann noch mit dem Asthma weitergeht, dann kann man auch keinen Sport mehr treiben. Und ja, wenn immer mehr Extremwetterereignisse dazukommen, dann werden auch die allergischen Symptome vermehrt noch stärker werden.

Nehmen denn auch die sogenannten Kreuzallergien zu?

Kreuzallergien nehmen natürlich auch mit den ansteigenden Zahlen von Allergien insgesamt zu. Das hat aber nicht direkt etwas mit dem Klimawandel zu tun, sondern einfach mit Proteinstrukturen und strukturellen Verwandtschaften: Der Apfel ist beispielsweise mit der Birke verwandt, deswegen gibt es strukturell ähnliche Proteine.

Hyposensibilisierung: "Die Erfolgsquote ist in den letzten Jahren massiv hochgegangen"

Kann man denn als betroffene Person der Schwere der Allergiesymptome irgendwie vorbeugen? Noch bevor die Allergene in der Luft sind?

Also im Prinzip hätte man schon im November damit anfangen müssen, eine Hyposensibilisierung zu machen. Wir können heute Allergien heilen. Und zwar durch eine "Erziehung" des Immunsystems, eine spezifische Immuntherapie. Also sollte ich, wenn ich jetzt das noch nicht getan habe, zu meinem Arzt oder meiner Ärztin gehen und schauen, dass ich so eine spezifische Immuntherapie zumindest im kommenden Herbst beginne.

Wie hoch sind denn die Erfolgsaussichten heutzutage bei einer Hyposensibilisierung? Ich meine mich daran zu erinnern, dass die Immuntherapie nicht immer anschlägt.

Die Erfolgsquote ist in den letzten Jahren massiv hochgegangen. Vor 10 Jahren lag sie vielleicht bei 50% / 60%, heute sind wir bei 80% / 90% Erfolgschancen. Gerade bei den neuen Präparaten sind wir, damit meine ich die Medizin, sehr gut geworden. Und ich kann das wirklich nur empfehlen. Es gibt mittlerweile unterschiedliche Therapiemöglichkeiten. Das heißt sowohl per Spritze als auch in Tablettenform. Ich mache die Wahl dabei völlig von der einzelnen Person abhängig; also davon, wie sie aufgestellt ist und wie die individuelle Lebenssituation ist.

Verlängert eine solche Therapie dann nicht auch die endlich überstanden geglaubte Leidenszeit für die Monate der Hyposensibilisierung?

Nein. Also ich habe momentan mehrere Patienten, die mit Tabletten therapiert werden und die völlig harmlos darauf reagieren. Wenn es sich um wirklich schwere Allergiker handelt, lässt sich diese Hyposensibilisierung aber auch beispielsweise mit sehr modernen spezifischen IgE-Blockern oder Interleukin-4-Blocker begleiten – das läuft wahnsinnig gut.

Praktische Tipps: Wie man sich für die Allergiezeit vorbereiten kann und was akut hilft

Und was sind Tipps, wenn ich noch keine Immuntherapie gemacht habe, um mich für die Allergiezeit zu rüsten und bestmöglich die Schwere meiner Symptome mindernd zu beeinflussen?

Dann gelten natürlich die generellen Regeln des gesunden Lebens, das heißt also schauen, dass ich körperlich fit bin, nicht rauche, wenig bis keinen Alkohol trinke und dass ich mich gesund ernähre – lokal und saisonal. Der lokale Apfel hat zum Beispiel weniger Allergene als zum Beispiel ein Apfel, der über Wochen von irgendwo hertransportiert wird. Denn auch so ein Apfel hat Stress und reguliert dann die bereits erwähnten Eiweiße hoch – das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Deswegen kann eine lokale, diverse und pflanzenbasierte Ernährung helfen. Fleisch kann einmal pro Woche durchaus mit dabei sein, wenn man möchte, aber eine pflanzenbasierte Ernährung hat auch diese wunderbare doppelte Gewinnsituation für den Planeten und für den Menschen.

Angenommen die Allergie setzt ein. Was wären akute, praktische Tipps, um den omnipräsenten Allergenen im Alltag kurzfristig besser zu entkommen?

Wenn die Pollensaison startet, kann ich mich informieren, wie der Pollenflug morgen ist. Es gibt dafür entsprechende Websites. Dann kann ich auch meinen Tag ein bisschen danach planen, wann die Pollen fliegen. Birkenpollen fliegen zum Beispiel eher nachts sehr stark. Das heißt dann: Fenster zuhalten und erst joggen gehen, wenn der Pollenflug relativ niedrig ist. Wenn ich tagsüber unterwegs bin, während die Pollen fliegen, sollte ich mir auf alle Fälle abends die Haare waschen, weil ich die Pollen sonst aus den Haaren ins Bett trage. Und dann natürlich wirklich auch die Schleimhäute mit antientzündlichen Medikamenten wie Nasenspray oder Augentropfen behandeln, damit ich gut durch den Tag komme. Also am besten jetzt noch zum Arzt gehen, um die Allergie symptomatisch anzugehen und – das ist ganz wichtig – bitte nicht, nicht ganz großgeschrieben, irgendwelche Depotspritzen mit Cortison nehmen. Das wird zum Teil wirklich immer noch gemacht, ist aber wahnsinnig schädlich. Vertretbar sind hingegen entsprechende antientzündliche Nasensprays, Augentropfen und Antihistaminika. Am besten deckt man sich mit denen jetzt schon ein, damit man die zur Hand hat, wenn es losgeht.

Eindecken heißt aber nicht präventiv einen Monat im Voraus einnehmen, um ein Depot an Antihistaminika aufzubauen?

Nein, das bringt nichts. Aber wenn ich weiß, ich habe starke allergische Symptome und morgen fliegen, laut Vorhersage, die Pollen: Dann kann ich einen Tag vorher proaktiv das Cortison- Nasenspray oder die Antihistaminika nehmen. Aber nicht Monate früher. Das ist nicht sinnvoll, denn die Medikamente wirken sehr unmittelbar und man kann kein Depot an Antihistaminika aufbauen.

Interaktive Karte zum Pollenflug: Was liegt heute in der Luft?

Wo ist der Pollenflug in Deutschland wann besonders stark und welche Pollen fliegen aktuell? Die interaktive Grafik auf Wetter.de informiert über den aktuellen Pollenflug und das Vorkommen der verschiedenen Pollenarten für heute und den morgigen Tag. Die Daten lassen sich in der Karte auch genauer in den verschiedenen Regionen auf Bundesländerebene ansehen.

Nahrungsergänzung: Was bringen Vitamin-C, Zink und Co. bei Allergien?

Hier und da wird erwähnt, dass auch die Einnahme von Präparaten proaktiv helfen könne. So wird der Einnahme von Zink als entzündungshemmendes Spurenelement oder von Vitamin-C als Histaminsenker ein positiver Effekt zugeschrieben. Lässt sich mit entsprechenden Supplementen wirklich allergischen Symptomen vorbeugen? Und was sollte man dabei beachten?

Ich unterstütze das Konzept der integrativen Medizin. Das heißt, wenn es Phytotherapeutika gibt, die auch antientzündliche Wirkungen haben, und da gibt es einige, dann ist es durchaus sinnvoll. Aber das ist nicht das Einzige, was man machen sollte. Man kann als schwere Allergikerin nicht mit Vitamin-C durch die Pollensaison kommen, das ist naiv. Vitamin-C kann unterstützend sinnvoll sein. Und Zink wirkt bei vielem und kann bei Bedarf auch sicherlich unterstützen. Es geht um den integrativen Gedanken. Also eine Kombination aus dieser evidenzbasierten Medizin und begleitender Medikation. Deswegen meine Empfehlung:

  • Ärztliche Konsultation
  • Hyposensibilisierung planen und durchführen
  • Symptomatisch therapieren – mit anti-entzündlichem Nasenspray und Augentropfen
  • Gesunde Ernährung
  • Unterstützend Vitamine

Über die Menge der begleitenden Medikation sollte dann die behandelnde Ärztin entscheiden?

Es ist sowieso wichtig, dass man als allergischer Mensch zum Arzt / zur Ärztin geht und die ganze Symptomatik abklären lässt. Eine Allergie ist nichts, was man einfach mal so selbst behandelt. Wir haben in Augsburg eine Umfrage gemacht und dabei festgestellt, dass Allergiker*innen, aber vor allem männliche Allergiker dazu tendieren, ihre Erkrankungen zu bagatellisieren. Das heißt, sie gehen nicht einmal zum Arzt und denken "Ach, das bekomme ich schon irgendwie hin". Der erste Schritt sollte aber immer sein, dass ich zum Arzt oder zur Ärztin gehe und das alles abklären lasse. Und dazu kann auch eine Abklärung vom Zink-Haushalt oder auch dem Vitamin-D-Haushalt gehören – um dann gezielt zu supplementieren. Aber es sollte das Gesamtpaket abgeklärt werden. Die Schlüsselloch-Medizin bringt nichts.

Heuschnupfen aushalten oder medikamentös behandeln?

Auch da scheiden sich ja die Geister: Einige nehmen ihre Medikamente schon im Voraus, andere meinen, sie könnten den vermeintlich harmlosen Schnupfen einfach aussitzen. Sollte ich also, sobald ich eine allergische Reaktion verspüre, medikamentös dagegen angehen?

Auf alle Fälle. Eine Rhinitis, also eine Nasenschleimhaut-Entzündung aufgrund einer Allergie muss unbedingt therapiert werden, weil eine entzündete Nase auch ganz schnell in die Lunge rutschen kann – im wahrsten Sinne des Wortes. Das heißt also, dass ich die Nase vernünftig therapieren muss, um ein Asthma zu verhindern. Auch Daten großer Studien zeigen ganz klar, dass die Behandlung einer Rhinitis – zum Beispiel durch eine spezifische Immuntherapie–, präventiv der Entwicklung eines Asthmas vorbeugen kann. Es geht auch um Resilienz – und das ist mehr als eine reine Anpassung. Resilienz bedeutet, dass man im Prinzip schon für Schock-Ereignisse vorgesorgt hat. Und für Allergiker ist eine massive Pollenwelle ein solches Schock-Ereignis. Deshalb ist diese spezifische Immuntherapie, also eine Hyposensibilisierung, wahnsinnig wichtig und hilft auch dabei, eine Klima-Resilienz zu entwickeln.

Vorbeugen: Lässt sich das Risiko für Allergien beeinflussen?

Sie haben ja schon eine Zukunftsprognose abgegeben, die für betroffene Personen nicht sonderlich rosig aussieht. Können wir denn Allergien vorbeugen, noch bevor sie entstehen?

Genau, es ist auch wichtig unseren Nachwuchs dazu zu bringen, dass er gar nicht erst allergisch wird, und da zählt eben auch die Ernährung: Am besten nach 3-4 Monaten Stillen bereits mit dem Zufüttern beginnen und hier sehr, sehr divers ernähren. Wie bei Erwachsenen, kommt es auch hier wieder auf eine pflanzenbasierte und sehr vielfältige Ernährung an. Auch unbelasteter Fisch ist sehr gesund, gerade im ersten und zweiten Lebensjahr. Wenn Kinder sehr divers ernährt werden, haben sie eine geringere Wahrscheinlichkeit, eine Allergie zu entwickeln. Und auch Kontakt mit Tieren kann hilfreich sein. Hunde im Haushalt gelten beispielsweise als allergieprotektiv, weil sie sehr viel Biodiversität mit ins Haus bringen. Aber Sie können sich jetzt keinen Hund kaufen, um eine bereits bestehende Allergie zu behandeln. Das wäre naiv.

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