Amerikanische Wissenschaftler warnen vor dem verstärkten Gebrauch sogenannter quartärer Ammoniumverbindungen in Desinfektionsmitteln und anderen Produkten. Einige dieser Substanzen können Wassertiere schädigen und auch beim Menschen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Vor allem könne der alltägliche Gebrauch dieser Mittel die bekämpften Mikroorganismen durch Ausweichmutationen resistenter machen, schreibt eine Gruppe um Carol Kwiatkowski vom Green Science Policy Institute in Berkeley (Kalifornien, USA). Die Studie ist im Fachmagazin "Environmental Science & Technology" erschienen.
Quartäre Ammoniumverbindungen (QAV) sind eine Stoffklasse mit hunderten Substanzen. Ihnen gemeinsam ist ein Stickstoffatom, an das vier organische Substanzen gebunden sind. Viele der Verbindungen haben antimikrobielle Wirkungen und werden deshalb in Desinfektionsmitteln, antibakteriellen Allzweckreinigern und Hygienetüchern eingesetzt. Kwiatkowski und Kollegen zufolge ist der Gebrauch dieser Stoffklasse seit der Pandemie in den USA stark angestiegen. Neben der Corona-Pandemie ist ein Grund dafür, dass QAV, darunter Benzalkoniumchlorid (BAC), seit einigen Jahren oft andere desinfizierende Wirkstoffe in Flüssigseifen und Duschgelen ersetzt haben.
Desinfektion nur bei Bedarf und mit sichereren Produkten
Die Studienautoren stammen aus der Wissenschaft, aus Behörden und aus gemeinnützigen Organisationen. Sie werteten über 200 wissenschaftliche Untersuchungen aus, in denen die Wirkung verschiedener QAV untersucht wurden und fassten die Ergebnisse in ihrer Studie zusammen. "Unsere Überprüfung der Forschung legt nahe, dass die Desinfektion mit diesen Chemikalien in vielen Fällen nicht hilfreich oder sogar schädlich ist", wird Courtney Carignan, Co-Autorin von der Michigan State University in East Lansing (Michigan, USA) in einer Mitteilung des Green Science Policy Institute zitiert. Die Forscher empfehlen eine regelmäßige Reinigung mit Wasser und Seife und eine Desinfektion nur bei Bedarf und dann mit sichereren Produkten.
Die betrachteten Studien erbrachten Belege dafür, dass QAV die Abwasserbehandlung überstehen und so in die Umwelt gelangen. Dort können sie Wasserlebewesen schädigen, vom Wasserfloh bis hin zu Fischen. Auch der Mensch kann von gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen sein, etwa durch Kontakt mit der Haut oder durch Einatmen versprühter Desinfektionsmittel. Bei Menschen, die in Herstellungsbetrieben, Krankenhäusern oder als Reinigungskräfte häufig QAV ausgesetzt sind, können sich Überempfindlichkeiten und chronische Entzündungen entwickeln. Eine intakte Haut ist jedoch vor dem Eindringen von QAV durch die Nutzung einer desinfizierenden Seife geschützt.
Forschende fordern Regulierung von QAV
Kritischer sind Studienergebnisse, in denen eine Abnahme der Fruchtbarkeit bei Mäusen festgestellt wurde, nachdem sie QAV ausgesetzt waren. Bekannt war der Effekt anscheinend schon 1975, worauf eine Patentschrift zur Verwendung von QAV als Mittel zur Verringerung der Fruchtbarkeit von Hunden und Ratten hinweist, deren Wirksamkeit durch Studien belegt sei.
Zudem kann der häufige Gebrauch von Desinfektionsmitteln, ähnlich wie bei Antibiotika - zur Entwicklung von Resistenzen bei den bekämpften Mikroorganismen führen. "Antimikrobielle Resistenz trug bereits vor der Pandemie zu Millionen von Todesfällen pro Jahr bei; übereifrige Desinfektion, insbesondere bei Produkten mit QAV, droht es noch schlimmer zu machen", betont Erica Hartmann von der Northwestern University in Evanston (Illinois, USA), eine weitere Co-Autorin.
Die Studienautoren fordern deshalb, dass die Wirkungen von QAV auf den Menschen und auf die Umwelt intensiver untersucht werden, auch von Kombinationen von QAV. Von der (amerikanischen) Politik verlangen die Wissenschaftler unter anderem, dass QAV in Listen von Schadstoffen von zunehmendem Interesse für die Berichterstattung, Überwachung, Bewertung usw. aufgenommen werden. Auch sollten QAV konsequent über verschiedene Verwendungen und Behörden hinweg reguliert werden, wobei auch berücksichtigt werden sollte, dass Mensch und Tier QAV aus mehreren Quellen ausgesetzt sein können.
Trend aus den USA anscheinend noch nicht in Deutschland
Der Trend aus den USA ist anscheinend noch nicht in Deutschland angekommen. Jedenfalls ist Bernd Glassl vom Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel von einem verstärkten Trend zum Einsatz von quaternären Ammoniumverbindungen als Desinfektionsmittel-Wirkstoffe in Deutschland nichts bekannt. "Im Jahr 2020 gab es in Deutschland eine sehr hohe Nachfrage nach Desinfektionsmitteln, hauptsächlich auf Basis von Ethanol und/oder Isopropylalkohol (2-Propanol)", sagt der Leiter des Bereichs Haushaltspflege. Mit dem fortschreitenden Wissen über die Übertragung von Covid-19 sei diese Nachfrage allerdings bereits im Jahr 2021 deutlich zurückgegangen.
Auch Christoph Stang vom Umweltbundesamt (UBA) berichtet von der Beobachtung, dass während der Corona-Pandemie in Deutschland vor allem alkoholische Desinfektionsmittel vermehrt verwendet wurden. Anders als Pflanzenschutzmittel sind allerdings Biozide bis Ende 2021 nicht mengenmäßig erfasst worden, "obwohl wir uns lange Jahre dafür eingesetzt haben", sagt Stang. Genaue Angaben zur Verwendung von QAV-Bioziden sind deshalb nicht verfügbar. QAV stehen aber unter Beobachtung: Ein UBA-Forschungsvorhaben, bei dem die Auswirkungen der Nutzung von QAV auf die Umwelt untersucht werden, läuft bereits.