Peripartale Depressionen Wenn Vaterschaft die Psyche aus dem Gleichgewicht bringt

Alles andere als einfach: Peripartale Depression stört nicht selten auch das verbreitete Rollenbild als starker Vater 
Alles andere als einfach: Peripartale Depression stört nicht selten auch das verbreitete Rollenbild als starker Vater 
© Alamy Stock Photos / Leonid Iastremskyi / mauritius images
Ein Kind zu bekommen ist eine Belastungsprobe für die seelische Gesundheit. Das gilt auch für Männer. Ihr Leiden belastet die ganze Familie – und wird doch oft übersehen

"Ich hatte Angst bei dem Gedanken, Zeit mit meinem Sohn verbringen zu müssen, ihn zu halten und bei ihm zu sein. Jedes Mal, wenn er in meinen Armen weinte, hatte ich das Gefühl, er sage mir, dass er mich hasst, dass er mich ablehnt." So beschreibt Viren Swami, Professor der Psychologie, seine ersten Monate als Vater. Während seine Frau sofort eine Bindung zum gemeinsamen Kind aufbaute, fühlte sich Swami nutzlos. Mehr noch: Er fühlte sich unwürdig, Teil seiner Familie zu sein. Er zog sich zurück, weinte viel, verbrachte ganze Tage im Bett oder warf sich bis zur völligen Erschöpfung in die Arbeit. "Ich kam einfach nicht klar, und doch dachte ich nie daran, jemanden um Hilfe zu bitten." 

Ein Kind zu bekommen ist eine Belastungsprobe für die Psyche. Der gesamte Alltag wird auf den Kopf gestellt. Plötzlich dreht sich alles um das kleine, hilflose Wesen. Gerade die Ankunft des ersten Kindes weckt häufig Ängste. Das Neugeborene raubt seinen Eltern den Schlaf, die Nerven, die ungestörte Zweisamkeit und die Freiheit, das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten. Erwartungen und Realität kollidieren. Nicht selten entpuppt sich die "magische Zeit" als wenig zauberhaft. Das versprochene Glück wechselt sich mit Frust, Erschöpfung und Gefühlen der Überforderung ab.

Der Körper der Mutter leistet in der Schwangerschaft, während und nach der Geburt Schwerstarbeit. Ihre Hormonlevel schwanken dramatisch. Die Entbehrungen und Bedürfnisse der Väter treten in dieser Zeit häufig in den Hintergrund: Von ihnen wird erwartet, dass sie stark sind, um ihr Kind und ihre Partnerin bestmöglich zu unterstützen. Dabei ist die neue Situation für beide Elternteile ein seelischer Kraftakt. 

Dass Frauen in dieser Lebensphase ein erhöhtes Risiko haben, psychisch zu erkranken, ist inzwischen weithin bekannt. Weniger Aufmerksamkeit erfährt die Tatsache, dass rund zehn Prozent aller Väter vor oder nach der Geburt eine depressive Episode durchleben oder eine Angststörung entwickeln. Besonders groß ist die Gefahr beim ersten Kind. Die Zahlen sind eine grobe Schätzung: In der Literatur finden sich Angaben zwischen vier und 25 Prozent. Und der Hinweis, dass es vermutlich eine signifikante Dunkelziffer gibt. 

Innere Leere, Aggressionen und Arbeitswut 

Peripartale Depressionen (PPD) äußern sich bei werdenden und frischgebackenen Vätern nicht immer in Form von Traurigkeit. Die Liste möglicher Symptome ist lang: Erschöpfung, Aggressionen und Wutausbrüche, innere Leere, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, körperliche Beschwerden, sexuelle Unlust und Appetitlosigkeit sind darunter. Oft schleicht sich die Verzweiflung langsam ein und wird gerade deshalb ignoriert. Manche Betroffene flüchten in die Arbeit oder in ihre Hobbys. Andere greifen zu Alkohol, Drogen oder verschreibungspflichtigen Medikamenten. 

Wichtigster Risikofaktor für eine Erkrankung ist die psychische Gesundheit der Mutter. Leidet sie an postpartalen Depressionen, steigt das Risiko der Vätern auf 24 bis 50 Prozent. Sie erkranken oft zeitversetzt: Während sich seelische Leiden bei Frauen oft in den ersten Monaten nach der Geburt manifestieren, sind Männer im dritten bis sechsten Lebensmonat am stärksten gefährdet. Während der Schwangerschaft sind die ersten drei Monate besonders heikel, wie eine Metaanalyse zeigt.

Weitere Risikofaktoren sind frühere psychische Erkrankungen, Probleme in der Partnerschaft, finanzieller Druck, Zukunftssorgen und mangelnde Unterstützung. Auch die Ängste und die Hilflosigkeit, die Väter gerade während einer schwierigen Geburt erleben, können zu psychischen Problemen führen. Schützend wirkt ein sicheres soziales Umfeld – und auch Elternzeit, in der sich die Männer voll auf ihr Kind und ihre neue Rolle konzentrieren können. Väter profitieren außerdem davon, von Anfang an eng in die Betreuung des Babys eingebunden zu sein. 

Welche Rolle hormonelle Veränderungen spielen, ist hingegen nicht abschließend geklärt. Meist sinkt durch die Vaterschaft der Testosteronspiegel, während der Oxytocinspiegel steigt – der Körper wirft das Bindungsprogramm an. Sogar das Hirn der Väter verändert sich, wie Darby Saxbe, Psychologie-Professorin an der University of South California, in einem aktuellen Podcast der "American Psychological Society" schildert. Die Veränderungen im "Dad Brain" seien weniger drastisch als bei Müttern, aber nachweisbar. Sie betreffen insbesondere den Kortex, der für höhere kognitive Funktionen zuständig ist. Saxbe bezeichnet die Vaterschaft als "Entwicklungsfenster" für das Gehirn: eine Phase der Möglichkeiten, aber auch der Verletzlichkeit. 

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Fallen Väter in dieser Zeit in ein seelisches Loch, bleibt die nötige Hilfe oft aus. "Väter mit PPD erleben viele der gleichen Hürden beim Zugang zu psychologischer Unterstützung wie Männer mit Depressionen in einem anderen Lebensabschnitt", schreibt ein Forschungsteam um Matthew Knight von der Universität Oxford. Einerseits fehlt es an Aufklärung. Fragebögen wie die Edinburgh Postnatal Depression Scale sind darauf ausgelegt, typische Symptome postpartaler Depressionen bei Frauen aufzuspüren. Auch in Vorbereitungskursen und Check-ups rund um die Geburt fallen die Gefühle der Männer häufig durchs Raster. 

Wer sich schämt, sucht selten Hilfe

Andererseits wollen viele Betroffene stereotype Ansprüche an Männlichkeit erfüllen, indem sie als starke Versorger und Beschützer auftreten – Erwartungen, die ihnen auch ihr Umfeld häufig spiegelt. Viren Swami schreibt, er habe in seiner depressiven Phase viel Scham verspürt. "Scham über meine Schwäche, meine Nutzlosigkeit als Vater, meine Unfähigkeit, 'meinen Mann zu stehen' und mich den Herausforderungen der Betreuung meines Sohnes zu stellen. Nach der Geburt meines Sohnes deprimiert zu sein fühlte sich egoistisch an, und ich schämte mich für die Last, die ich meiner Frau aufbürdete, wenn ich mich schwertat, normal zu funktionieren, und mich zurückzog."

Dabei helfen Väter ihrer Familie vor allem, indem sie selbst Hilfe in Anspruch nehmen – von ihrem unmittelbaren Umfeld, von Medizinern und Psychologinnen. Erste Unterstützung finden Betroffene auch bei Vereinen wie Schatten und Licht, der Deutschen Depressionshilfe oder Postpartale Depression Schweiz. Auch wenn sie meinen, sie dürften sich ihrer Familie zuliebe keine Schwäche anmerken lassen: Ihr Leid belastet nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Partnerschaft und ihre Beziehung zum Baby. Eine gerade erschienene Metaanalyse in der Fachzeitschrift "JAMA Pediatrics" wertet aus, welchen Einfluss übermäßiger Stress, Ängste und Depressionen frischgebackener Väter auf die untersuchten Kinder hatten. Das Fazit aus 84 Studien: Insbesondere die sozial-emotionale und die kognitive Entwicklung wurden beeinträchtigt. In geringem Maße litten auch die körperliche und sprachliche Entwicklung der Kinder.

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"Vor der Geburt kann sich erhöhter Stress negativ auf die Fähigkeit des Vaters auswirken, seine Partnerin zu unterstützen, was sowohl die psychische Gesundheit der Mutter als auch die Entwicklung des Fötus beeinflussen kann", schreibt das Autorenteam. "Nach der Geburt können psychische Belastungen die väterliche Sensibilität und Reaktionsfähigkeit in Interaktionen mit dem Säugling verringern und die Bindungssicherheit stören." Sie plädieren dafür, dass unser Gesundheitssystem Vätern mehr Unterstützung bietet. 

Viren Swami fand schließlich Hilfe: Auf Drängen seiner Frau wandte er sich an seinen Hausarzt und begann eine Therapie. "Trotz der Ängste, der Furcht und des Selbsthasses begann eine Liebe zu meinem Sohn zu wachsen, die tiefer war als alles, was ich je kannte", schreibt er. "In meinen dunkelsten Tagen war er es, der mir die Kraft gab, weiterzukämpfen."