GEO WISSEN: Herr Professor Kleinert, was raten Sie all jenen, die keine rechte Lust am Sport haben, aber gern motivierter wären?
Prof. Jens Kleinert: Menschen in dieser Situation sollten erst einmal versuchen zu verstehen, weshalb sie überhaupt Sport treiben wollen. Ist da nur Druck von außen, oder steckt doch ein anderes Bedürfnis dahinter? Nehmen wir einen Menschen, der sich nur mit Mühe dazu zwingen kann, morgens vor der Arbeit zu joggen. Und nehmen wir an, er tut dies vornehmlich mit dem Ziel, Gewicht abzunehmen. Dann stellt sich die Frage, ob es das richtige Ziel ist, um Sport langfristig mit einem guten Gefühl zu betreiben.
Heißt das, er soll sein Ziel aufgeben?
Nein, es soll sich nur eine zusätzliche Triebfeder in ihm entfalten. Denn jedes Verhalten kann von verschiedenen Beweggründen ausgelöst werden. Es kann zugleich intrinsisch motiviert sein – also: ich mache etwas, weil es mir größte Freude bereitet – und extrinsisch – ich mache es auch, weil ich das Gefühl habe, dass ich es tun soll, weil ich ein bestimmtes Ziel erreichen will. Ich würde im Gespräch mit einem Hobbysportler immer versuchen, vor allem die intrinsischen Anteile in den Mittelpunkt zu rücken.
Wie läuft so ein Gespräch gewöhnlich ab?
Es beginnt mit einer Suche. Im Dialog versuchen wir zu ergründen, ob es nicht doch etwas gibt, was dem Betreffenden während der Bewegung Freude macht. Das ist eine Technik, die prinzipiell auch im Selbstgespräch funktioniert. Anfangs kommen dem Betroffenen vermutlich nur negative Gedanken: Morgens ist es mir immer viel zu kalt für den Sport, ich bin noch müde, es ist unangenehm.
Aber schließlich fällt ihm vielleicht doch etwas Schönes ein: die Stille am Morgen, die frische Luft, das Geräusch der Schritte, ein Gefühl des Stolzes, dass man es doch geschafft hat, sich aufzuraffen. Vielleicht sagt er sich: In dem Augenblick, wo ich laufe, erlebe ich mich als kompetent.
Es geht also nicht darum, mir selbst etwas zu beweisen, sondern es geht um das Erlebnis, mir etwas bewiesen zu haben. Und das ist ein großer Unterschied. Solche Dinge trainieren wir mit Menschen, die wir motivieren wollen. Wir versuchen, Situationen vorstellbar zu machen, bevor sie tatsächlich eintreten.
Das ist übrigens etwas, was ein Mensch kann, ein Tier dagegen vermutlich nicht. Wir vermögen Erlebnisse zu antizipieren und können uns so fühlen, als ob die Situation schon eingetreten wäre. Wenn sich darin dann ein intrinsisches oder wenigstens ein stark verinnerlichtes Gefühl versteckt, haben wir Zugang zur höchsten Motivationsebene.
Das klingt gewissermaßen nach einer simulierten Belohnung.
Genau so ist es. Hirnphysiologisch laufen hier ähnliche Prozesse ab wie bei einer echten Belohnung. Ein Beispiel: Stellt sich ein Mensch, der morgens nicht aus dem Bett aufstehen mag, so plastisch wie möglich vor, wie er durch den Wald läuft und die Stille genießt, führt allein die Imagination zu neuropsychologischen Veränderungen, zu einem Belohnungsprozess. Das Hirn schüttet Botenstoffe aus, die ein Gefühl des Wohlseins hervorrufen, und dann fällt es uns leichter zu starten. Wer diese Vorstellung optimal abrufen kann, der ist morgens auch nicht mehr müde, der steht trotz widriger Umstände auf. Denn nicht zuletzt aktiviert das innere Bild Teile des Stammhirns, die wach machen.

Scheitern nicht viele Leute daran?
Ein positives inneres Bild zu entwickeln – das bedeutet unter Umständen hartes Training. Wichtig dabei ist: Ich darf mich nicht selbst belügen, das Bild muss sich bestätigen. Das funktioniert nicht, wenn ich mir morgens vorstelle, die Stille im Wald zu genießen – ich die Stille dann aber gar nicht als positiv empfinde, wenn ich tatsächlich im Wald bin. Entspricht das Bild, die Vorstellung allerdings der Realität, ist der Grundstein gelegt. Der Rest ist Training.
Genau das üben wir auch mit professionellen Athleten: im richtigen Augenblick die richtige Vorstellung abzurufen. Der wichtigste Schritt ist immer, ein Bild zu finden, das innerste Bedürfnisse stark und unmittelbar anspricht und das zu mir passt.
Ein positives Bild bezüglich „Joggen im Wald“ zu entwickeln dürfte nicht allzu schwerfallen. Aber wie schaut es mit Sport im Fitness-Studio aus? Das scheint weit schwieriger zu sein.
Nein, überhaupt nicht. Auch beim Fitnesstraining fühlt sich für die meisten Menschen nicht alles so fürchterlich an. Nehmen wir jemanden, der sein Workout stets auf dem Crosstrainer startet und sagt, dass er die Übung nicht leiden kann. Dass das Gerät nur Mittel zum Zweck ist – zum Aufwärmen. In einem solchen Fall frage ich ihn, wie sich das anfühlt, dieses Warmwerden. Antwortet er, es sei angenehm, haben wir einen Ansatz. Ein wichtiges Stück eines Motivs.
Und dann?
Ich helfe demjenigen, sich auf seinen Körper zu konzentrieren. Er soll in der Aktivität etwas sehen, das einerseits sinnvoll ist – nämlich sich aufzuwärmen –, das aber plötzlich auch zum Selbstzweck wird. Denn es kann etwas Schönes daran sein, wenn man merkt, wie die Muskeln aktiv werden, wie die Gelenke warm werden. Oder wie sich nach einiger Zeit die Lunge weitet, wie Atemzüge tiefer und ruhiger werden.
Die Methode klingt fast zu simpel, als dass sie Erfolg haben könnte.
Ja, es mag trivial klingen, aber es funktioniert. Zwar dauert es zuweilen ziemlich lange, bis das intrinsische Moment gefunden ist. Und auch dann mag es immer noch viel Zeit und Training erfordern, damit diese Fokussierung auf das Angenehme immer besser gelingt, immer stabiler wird. Aber es ist der beste Weg, sich für den Sport zu motivieren: die Aufmerksamkeit von einer extrinsischen Steuerung auf eine intrinsische zu lenken.
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Wie Sie den ersten Schritt machen und was die richtige Motivation mit sozialer Unterstützung und dem Alter zu tun hat, erfahren Sie in dem zweiten Teil des Interviews in der GEO Wissen Gesundheit Ausgabe "Die Fitness-Formel".
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