Was wurde entdeckt?
Forschende aus Bristol in England sind einem neuen Blutgruppensystem auf die Spur gekommen, das sie MAL getauft haben. Ganz neu ist die Entdeckung nicht: Das untersuchte Antigen auf der Oberfläche roter Blutkörperchen ist seit 1972 bekannt. Es trägt den Namen AnWj und ist bei nahezu allen Menschen zu finden. 1991 stießen Forschende erstmals auf eine Familie, deren Mitglieder es nicht besaßen. Offenbar gab es eine erbliche Ursache für das Fehlen des Antigens. Die Analysen des englischen Teams bewiesen nun, dass hier ein eigenständiges Blutgruppensystem vorliegt. Und sie zeigten, dass ein Gen namens MAL diese Blutgruppe bestimmt. Hat ein Mensch zwei unvollständige Kopien geerbt, stellt er keine AnWj-Antigene her.
Das war mir zu kompliziert, ich brauche mehr Hintergrundwissen. Woraus besteht Blut überhaupt?
Die Zusammensetzung von Blut variiert nach Alter und Geschlecht. Durchschnittlich besteht es zu rund 55 Prozent aus einer wässrigen Lösung, Blutplasma genannt, sowie zu 45 Prozent aus Zellen. Die mit Abstand häufigste Zellgruppe sind die roten Blutkörperchen, die Erythrozyten. Sie nehmen Sauerstoff auf und verteilen ihn in Körper. Erythrozyten enthalten das Eiweiß Hämoglobin, das dem Blut seine rote Farbe verleiht. Die Funktionsweise der Erythrozyten unterscheidet sich von Mensch zu Mensch nicht. Doch auf ihrer Oberfläche gibt es winzige Unterschiede. Dort sitzen Antigene: charakteristische Zucker oder Eiweiße, die vorgeben, welche Blutgruppen wir besitzen.
Hat denn jeder Mensch mehrere Blutgruppen?
Ja. Bekannt sind derzeit insgesamt 46 verschiedene Blutgruppensysteme, die jeweils von einem Abschnitt im Erbgut gesteuert werden. Die wichtigste Gruppe umfasst zwei Antigene namens A und B. Manche Menschen besitzen eines davon, manche zwei, manche keines. Das Blutgruppensystem trägt deshalb den Namen AB0. Bedeutsam ist auch der Rhesusfaktor: Manche Menschen besitzen das namensgebende Eiweiß auf der Oberfläche ihrer Blutzellen – sie sind Rhesus-positiv. Menschen, die das Eiweiß nicht besitzen, sind Rhesus-negativ.
Warum sind Antigene so wichtig?
Durch Antigene lassen sich verschiedene Zellen von außen unterscheiden. Das macht sich unser Immunsystem zunutze, um gefährliche Eindringlinge zu identifizieren. Dringt beispielsweise ein neuer Krankheitserreger in den Körper ein, lernt die Abwehr zunächst, ihn anhand charakteristischer Merkmale – der Antigene – zu erkennen. Dazu bildet sie passende Antikörper. Diese heften sich an das Antigen und signalisieren dem Körper so: Hier ist ein Feind. Fällt das nächste Mal ein Erreger mit den gleichen Antigenen ein, kann das Immunsystem ihn schneller erkennen und bekämpfen. Zu manchen Antigenen bildet das Immunsystem sogar von Geburt an Antikörper.
Was tun die Antigene auf unseren Blutzellen?
Normalerweise: nichts. Das Immunsystem erkennt die Zucker und Proteine als körpereigen und bildet deshalb keine Antikörper aus. Wichtig werden sie meist erst, wenn wir eine Bluttransfusion erhalten. Dann müssen die Antigene von Spender und Empfängerin zusammenpassen.
Was passiert, wenn man eine falsche Blutgruppe erhält?
Unser Immunsystem bildet nicht nur Antikörper gegen Viren und Bakterien aus, sondern gegen alle Antigene, die nicht standardmäßig im Körper vorhanden sind. Im Falle des AB0-Blutgruppensystems führt dies zu den vier grundlegenden Blutgruppen:
- Menschen mit Blutgruppe A haben auf ihren Erythrozyten das A-Antigen. Ihr Immunsystem bildet Antikörper gegen das B-Antigen (Verbreitung: 43 Prozent)
- Menschen mit Blutgruppe B haben das B-Antigen und Antikörper gegen das A-Antigen (11 Prozent)
- Menschen mit Blutgruppe AB haben sowohl das A- als auch das B-Antigen und keine dieser Antikörper (5 Prozent)
- Menschen mit Blutgruppe 0 weisen keine dieser Antigene auf und haben Antikörper sowohl gegen das A- als auch das B-Antigen (41 Prozent)
Erhält beispielsweise ein Mensch mit Blutgruppe A eine Transfusion der Blutgruppe B, heften sich seine Antikörper an das B-Antigen auf den gespendeten Blutzellen. Das Immunsystem geht zum Angriff über, denn der Körper nimmt die fremden Zellen als potenzielle Feinde wahr. Es droht ein Verklumpen des Bluts, was tödlich enden kann.
Aus der Übersicht der vier Gruppen lässt sich ableiten, wer welches Blut erhalten darf. Eine Person mit AB darf alle Blutgruppen erhalten, weil sie weder A- noch B-Antikörper besitzt. Menschen mit Blutgruppe 0 dürfen nur Blut der Gruppe 0 erhalten, da sie auf die beiden Antigene reagieren würden. Andererseits ist ihr Blut sehr gefragt: Da es weder A- noch B-Antigene enthält, lässt es sich bei allen Menschen einsetzen.
Genauso verhält es sich mit dem Rhesusfaktor. Erhalten Rhesus-negative Menschen Rhesus-positives-Blut, erkennt ihr Immunsystem die fremdartigen Antigene und greift an. Umgekehrt dürfen Rhesus-positive Menschen Rhesus-negatives Blut erhalten.
Die Unterscheidung des Rhesusfaktors erfolgt unabhängig vom AB0-System. Jede der vier AB0-Gruppen lässt sich jeweils noch in Rhesus-positiv und Rhesus-negativ unterteilen, demnach werden landläufig meist acht Blutgruppen unterschieden, beispielsweise "A Rhesus-positiv".
Welche Rolle spielen die übrigen Blutgruppensysteme?
Oft nur eine untergeordnete. Würde man versuchen, die eigene Blutgruppe ganz genau zu bestimmen, müsste man die Existenz einer dreistelligen Zahl unterschiedlicher Antigene auf den eigenen roten Blutkörperchen bestimmen. Bei den meisten Menschen wäre das Ergebnis aber größtenteils identisch, abgesehen von AB0 und Rhesus. Deswegen wird vor allem auf diese Blutgruppensysteme untersucht, wenn Menschen eine Transfusion erhalten.
Zurück zur aktuellen Entdeckung: Was bedeutet sie für mich?
Die allermeisten Menschen besitzen das AnWj-Antigen, nur wenige sind AnWj-negativ. Ursache ist meist eine schwere Erkrankung, Krebs etwa oder eine Störung der Blutbildung. Nur bei sehr wenigen Personen sind von Geburt an keine AnWj-Antigene auf den roten Blutkörperchen ausgebildet.
Für die meisten Menschen ändert sich also nichts. Wenn sie zufällig AnWj-negatives Blut erhalten, hat das für sie keine Folgen. Anders sieht es für die kleine Minderheit aus, die AnWj-negatives Blut besitzt: Eine Transfusion mit den allermeisten Blutspenden wäre für sie gefährlich. Durch die Entdeckung wird es wahrscheinlicher, einen passenden Bluttest zu entwickeln.