Tropengewitter können Gammastrahlung erzeugen - das war bereits bekannt. Aufwendige Flüge mit einem umgebauten Spionageflugzeug zeigen nun, dass dieses Phänomen viel häufiger auftritt und wesentlich vielfältiger ist als bisher angenommen.
Dabei entdeckte das internationale Forschungsteam ein neues Phänomen in Gewitterwolken: flackernde Gammablitze. Bei zehn Flügen oberhalb von tropischen Gewitterwolken im Golf von Mexiko, in der Karibik und in Mittelamerika konnte es 24 solche Ereignisse aufzeichnen. Den flackernden Gammablitzen folgte oft ein sichtbarer Blitz, sodass sie eine Rolle bei der Entstehung von Blitzen spielen könnten. Das schreibt das Team um Nikolai Østgaard und Martino Marisaldi von der Universität Bergen in Norwegen in zwei Artikeln im Fachjournal "Nature".
Gammastrahlung ist noch energiereicher als Röntgenstrahlung und entsteht beispielsweise bei radioaktivem Zerfall. Im Weltall sind Sonneneruptionen, Sternexplosionen und Schwarze Löcher mögliche Quellen von solcher Strahlung.
Sehr kurze Pulse von Gammastrahlung werden Gammablitze genannt. Dass sie in Gewitterwolken entstehen können, wurde in den 1990er Jahren eher zufällig entdeckt - beim Versuch, Gammastrahlung aus dem Weltall zu detektieren. Seitdem hat die Wissenschaft zwei Formen von Gammastrahlung in Gewitterwolken entdeckt: terrestrische Gammablitze und das bis zu 100 Sekunden andauernde Gammaglühen.
Neue Art der Gammastrahlung
Im Juli 2023 flogen Teammitglieder mehrfach über große tropische Gewitter. "In einer Höhe von 20 Kilometern können wir direkt über der Wolkendecke fliegen, so nah wie möglich an der Gammastrahlenquelle", wird Østgaard in einer Mitteilung der Duke University in Durham (US-Bundesstaat North Carolina) zitiert. Bei den zwischen drei- und achtstündigen Flügen nutzte das Team diverse Messgeräte. Zwei verschiedene Geräte registrierten die Gammastrahlung, um systembedingte Fehler möglichst auszuschließen.
Die Analysen bestätigten, dass Gammaglühen ein häufiges Phänomen bei Tropengewittern ist: Bei neun der zehn Flüge wurden mehr als 500 solche Ereignisse mit einer Länge von bis zu zehn Sekunden registriert. Zudem dokumentierte das Team 96 terrestrische Gammablitze und 10 Glühausbrüche - also Intensivierungen des Glühens für weniger als hundert Millisekunden. Und sie fanden - als neue Art der Gammastrahlung - die flackernden Gammablitze.
Während terrestrische Gammablitze (TGB) maximal eine Millisekunde lang sind, dauern flackernde Gammablitze (FGB) 10 bis 100 Millisekunden und wechseln extrem schnell ihre Intensität. Im Gegensatz zu den TGB senden sie weder optische Strahlung noch Radiostrahlung aus. TGB und FGB treten auf, wenn auch ein Gammaglühen registriert wird. Die Dynamik von gammaglühenden Gewitterwolken ähnele in Muster und Verhalten der eines "riesigen, brodelnden Kochtopfs", erklärte Marisaldi.
Keine Gefahr beim Fliegen
Atmosphärenforscher vermuten, dass TGB und Gammaglühen durch starke elektrische Felder im oberen Bereich von Gewitterwolken entstehen. Elektronen könnten dabei Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit erreichen und bei der Kollision mit Luftatomen energiereiche Strahlung abgeben. Für FGB können die Studienautoren noch keine mögliche Quelle angeben.
Für Flugpassagiere seien sämtliche Gammastrahlen aus Gewittern ungefährlich. "Selbst mit dem Wissen, das wir jetzt haben, mache ich mir beim Fliegen keine größeren Sorgen als früher", betont Ko-Autor Steve Cummer von der Duke University.
In einem "Nature"-Kommentar betont Joseph Dwyer von der University of New Hampshire in Durham (USA): "Es ist erstaunlich, dass die Erdatmosphäre mehr als zwei Jahrzehnte nach Beginn des 21. Jahrhunderts genug Überraschungen bereithält, um eine völlig neue Forschungsrichtung anzuregen." Die neuen Messungen seien nicht nur aufregend, sondern legten auch den Grundstein für künftige Projekte: Sie zeigten, wie man Flugzeuge einsetzen könne, um Gammastrahlen-Emissionen von Gewittern effizient zu untersuchen.