GEO: In Ihrem Buch "Bitch" geht es um die Macht der Weibchen und ihren Einfluss auf die Evolution. Warum ein frauenfeindlicher Begriff als Titel?
Lucy Cooke: Viele der Weibchen in meinem Buch sind aggressiv oder dominant, weshalb man sie als Bitches (zu Deutsch etwa "Zicke") bezeichnen könnte. In den meisten Fällen sind aber sie einfach gute Mütter. Sie tun, was nötig ist, damit sie und ihre Nachkommen überleben. Ich wollte den Begriff zurückzuerobern – und solche Verhaltensweisen für Frauen akzeptabel machen. Wenn sich Männer dafür nicht schämen müssen, warum sollten Frauen es tun?
Sie beschreiben Weibchen, die viele Männchen zum Sex auffordern, Konkurrentinnen kaltstellen oder ihre Partner nach der Paarung fressen. Solch vermeintlich unweiblichen Verhaltensweisen wurden von der Evolutionsforschung lange ignoriert oder umgedeutet, sagen Sie. Wie kommen Sie darauf?
Als ich Evolutionsbiologie studierte, lautete das Paradigma: Weibchen sind zurückhaltend und keusch, Männchen suchen sich möglichst viele Partnerinnen. Dann filmte ich in Afrika Löwinnen – und erfuhr, dass sie sehr promisk sind und sich oft mit verschiedenen Männchen paaren. Ich war völlig verblüfft! Als ich später tiefer in das Thema einstieg, war ich schockiert, auf wie vielfältige Art und Weise weibliche Tiere marginalisiert und missverstanden worden sind. Unser Blick auf das tierische Paarungsverhalten ist kulturell verzerrt.

Lucy Cooke
Die Britin studierte an der University of Oxford Zoologie mit Schwerpunkt auf Evolution und Tierverhalten. Sie arbeitet als Autorin ("Die erstaunliche Wahrheit über Tiere"), Wissenschaftsjournalistin, Moderatorin und Produzentin von Dokumentarfilmen, unter anderem für die britische BBC, und gibt jährlich einen Kalender mit Faultier-Fotografien heraus. Ihr Buch "Bitch. Ein revolutionärer Blick auf Sex, Evolution und die Macht des Weiblichen im Tierreich" ist gerade auf Deutsch erschienen (Piper, 432 Seiten, 22 Euro).
Gibt es für männliche Promiskuität nicht eine gute Erklärung? Die Männchen produzieren Unmengen von Sperma und können verschwenderisch damit umgehen. Die Weibchen haben einen begrenzten Vorrat an Eizellen und stecken oft viel Energie in Schwangerschaft und Brutpflege. Deswegen konzentrieren sie sich auf den vielversprechendsten Partner.
So habe ich es auch gelernt: Sperma ist preiswert, Eizellen sind teuer. Also sind Männchen promisk und Weibchen wählerisch. Dieses Paradigma galt beinahe als Naturgesetz. Bis die Wissenschaftlerin Sarah Blaffer Hrdy Ende der 1960er-Jahre Languren-Weibchen in Indien beobachtete: Sie verhielten sich überhaupt nicht keusch und wählerisch, sondern initiierten Sex mit Männchen außerhalb ihrer Gruppe.