Monika Hauptmann* steht am Grab ihrer Eltern und überlegt, ob sie eines Tages neben diesen Menschen bestattet werden möchte. Platz wäre da, das Grab ist für die Familie gedacht. "Aber ich glaube", sagt Hauptmann, den Blick fest auf den Grabstein von Mutter und Vater gerichtet, "ich will lieber weiter weg liegen."
Sie kommt selten zu dem Friedhof im Osten Hannovers, obwohl sie in der Nähe wohnt. Die Hecke, die das Grab rahmt, hat ein Gärtner auf Knöchelhöhe getrimmt, die Schale in der Mitte ist mit Hortensien bepflanzt; zwei Vögel aus Ton sitzen davor. So hätte es den Eltern wohl gefallen.
Hauptmann zieht an ihrer elektrischen Zigarette. Wenn sie hier ist, sagt sie, dann fühle sie Wut und Mitleid zugleich. Wut, weil ihre Eltern sie mit Drohungen, Strafen, Prügel erzogen und ihr so ein Leben voller Angst beschert haben: "Angst, nicht richtig zu sein, nicht geliebt zu werden." Und Mitleid, weil sie ihre Eltern auch als Opfer sieht, als "tragische Glieder einer grauenvollen Kette".
Immer wieder frage sie sich: Hatten Vater und Mutter, geprägt im Kaiserreich und im Nationalsozialismus, denn überhaupt eine echte Wahl? Und: Hatte sie selbst eine?
Denn die schwarze Pädagogik ihrer Kindheit, das weiß Hauptmann heute, hat sie an ihre eigene Tochter weitergegeben – es ist "die größte Bürde" ihres Lebens. "Viel zu spät habe ich gemerkt, was ich da anrichte. Ohne mein Verhalten zu reflektieren, habe ich meiner Tochter Tag für Tag klargemacht, wer der Kuchen ist und wer der Krümel."