GEOkompakt: Herr Professor Trentmann, kann man sich Glück kaufen?
Prof. Dr. Frank Trentmann: Nein, so einfach ist es natürlich leider nicht. Allerdings kann man mit dem Kauf von Konsumgegenständen oder auch Freizeitaktivitäten die Chancen durchaus erhöhen, sein Glück zu verfolgen. Denn letztlich sind viele Wege zur Lebensfreude unmittelbar an Konsum geknüpft.
Zum Beispiel an Autos oder exotische Reisen?
Es kommt sehr auf den Einzelfall an. Wenn wir uns unter Glück nicht zuletzt die Möglichkeit vorstellen, das eigene Selbst zu verwirklichen, dann sind dazu bestimmte Tätigkeiten erforderlich. Und um die ausführen zu können, ist häufig Konsum nötig – in welcher Form auch immer. Nehmen wir an, ein Teil Ihrer Selbstverwirklichung besteht darin, ein Computerspiel zu entwickeln. Dann benötigen Sie vermutlich einen ziemlich teuren Rechner mit entsprechender Software und leistungsstarken Prozessoren. Und jemand anderes, der sein Selbst dadurch zum Ausdruck bringt, dass er gern malt, mag vielleicht mit dem Erwerb von preisgünstigen Wasserfarben auskommen.
Immer aber ist Konsum eine Ressource, die eigene Identität zu festigen und gleichzeitig zu erneuern – was in der heutigen Zeit extrem wichtig geworden ist.
Weshalb?
Jahrhundertelang haben bestimmte Philosophen, Priester und Ideologen Konsum als etwas gegeißelt, das uns von unserer „wahren“ geistigen Entfaltung und sozialen Pflicht ablenkt. Die Menschen sollten lernen, sich zu disziplinieren, an Gott zu glauben, sich nicht von Gegenständen ablenken oder verführen zu lassen. Erst im Zeitalter der Aufklärung setzte sich eine fundamental neue Sicht durch. Fortan hieß es: Konsum ist ein wichtiger Teil der menschlichen Existenz, der Zivilisation und dessen, was man bald Fortschritt nannte.
Denn in einer zivilisierten, pluralistischen Gesellschaft formt sich der Mensch als Individuum – und benötigt dazu Kaufkraft. Dies bedingt ständige Erneuerung, von Produkten, Wünschen und Lebensweisen. Der moderne Konsummensch erwirbt Kleidungsstücke, die ihm besonders wichtig sind. Er gestaltet seine Wohn- räume neu, sodass sie seine Persönlichkeit unterstreichen. Trägt Souvenirs aus Ländern zusammen, um zu zeigen: All diese Facetten gehören zu meinem Ich. Daher fällt es vielen auch so schwer, sich von Gegenständen zu trennen; denn oft sind sie Teil ihrer Identität geworden.
Inwiefern ist diese Identität frei gewählt? Vermögen wir selbstbestimmt zu agieren, wenn wir konsumieren?
Das können wir natürlich nur begrenzt. Die Idee, wir seien souveräne Konsumenten – wie es viele Ökonomen annehmen –, ist Humbug. Denn letztlich entstammen unsere Vorstellungen davon, was zu einem guten, glücklichen Leben gehört, ja nicht einem Vakuum. Sie fußen in erster Linie auf gesellschaftlichen Gewohnheiten – darauf, was wir für unser Wohlbefinden als notwendig und „normal“ erachten. Dass wir heute in Wohnungen mit Zentralheizung, Herd, warmem Wasser und TV-Gerät leben, ist nicht in der menschlichen DNS verankert – es hat sich schlicht als Norm durchgesetzt. Die Grenze dessen, was für unser Zufriedensein nötig erscheint, hat sich im Laufe der Zeit immer weiter nach oben verschoben. Das gilt auch für viele gesellschaftliche Formen des Konsums.
Zum Beispiel?
Für viele Menschen ist es schön, abends in ein Restaurant zu gehen, sich dort mit Freunden zu treffen und gemeinsam zu konsumieren. Was uns heute als selbstverständlich erscheint, war es lange Zeit nicht. Kaum jemand hätte es selbst noch in den 1960er Jahren als wichtig für seine Lebenszufriedenheit angesehen, in ein Restaurant zu gehen.
Man kann viel Schlechtes über den Konsum sagen. Aber in unserer Gesellschaft ist er nun einmal auch ein wichtiges Instrument der Teilhabe und der Kommunikation. Wie wir einander begegnen, wie wir miteinander umgehen, welche Werte des guten Lebens vermittelt werden: All dies sind Fragen, die nicht zuletzt der Konsum beantwortet.
Sie sagen, Glück könne man nicht kaufen. Dennoch berichten viele Menschen, dass sich ihre Stimmung hebt, wenn sie ein Produkt erwerben.
Das Erlebnis des Kaufens löst bei Verbrauchern ganz unterschiedliche Empfindungen aus. Manche erleben tatsächlich jene Euphorie, die Sie beschreiben. Aber es kann sich auch das Gegenteil einstellen, bis hin zu einer Art Depressionsgefühl. Denn für viele Menschen macht die Vorfreude, die Sehnsucht nach einem Objekt, das eigentliche Glücksgefühl aus. Häufig verbinden sich damit Fantasien, die später gar nicht erfüllt werden können. Und häufig wird dieser Trugschluss schon im Moment des Kaufs offensichtlich. Statt des erhofften Glücksgefühls kommt dann Enttäuschung auf. Zumal die Sehnsucht nicht mehr existiert. Das Ding ist ja nun da.
Obendrein gibt es extrem viele Käufer, die den Konsum eigentlich ablehnen, paradoxerweise aber letzten Endes doch immer mehr anschaffen und sich selbst und andere dafür kritisieren. Sie fühlen sich, als müssten sie einen übergroßen Rucksack herumschleppen, können aber gleichzeitig nicht loslassen.
Neugierig geworden? Das ganze Interview lesen Sie in GEOkompakt Nr. 58 " Was uns glücklich macht". Darin erfahren Sie, ob Frust-Shopping funktioniert und warum ein Zuviel an Auswahl unzufrieden machen kann.