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David Lama ist gerade einmal Anfang zwanzig, als er sich in den Kopf setzt, die "Kompressorroute" des Cerro Torre im Freikletterstil zu besteigen. Auch wenn der gebürtige Österreicher als Wunderkind der Kletterszene gehandelt wird, gilt sein Unterfangen in Patagonien als nahezu unmöglich. Wenige haben sich bisher an dem 3.128 Meter hohen Granitfelsen an der argentinisch-chilenischen Grenze versucht, sie alle benutzen Hilfsmittel. Unvergessen ist der Versuch von Cesare Maestri, der sich mithilfe eines Kompressors und 300 Bohrhaken versucht den Weg zum Gipfel "hinaufzubohren" - ein Unding unter Alpinisten. Maestri scheiterte und bis heute hängt der Kompressor als Mahnmal an der Steilwand des Cerro Torre.
Schon deswegen wollte David Lama es ohne Hilfsmittel versuchen, lediglich mit seinem Seilpartner Peter Ortner. Doch der erste Versuch wurde zum Disaster. Die ständig wechselnde Wetterlage macht David zu schaffen, zudem verlangt der Berg ihm mehr ab, als er gedacht hatte. Doch es kommt noch schlimmer: Für die Dreharbeiten des Films zu seiner Erstbesteigung werden abermals Bohrhaken in der Wand installiert, ähnlich wie bereits bei Maestri geht ein Aufschrei durch die weltweite Alpinszene. Warum David Lama dennoch nicht aufgab und wie er es schlussendlich doch noch auf den Gipfel des Cerro Torre geschafft hat, erzählt er im Interview. Der Film "Cerro Torre - Nicht den Hauch einer Chance" läuft ab dem 13. März 2014 in Deutschland an.
GEO.de: Wann hast Du dir in den Kopf gesetzt, den Cerro Torre "frei zu klettern"? Und warum?
David Lama: Es war im Coachomo Valley in Chile, ich war mit Freunden dort, um an den vielen Granitwänden zu klettern. Irgendwann fiel mir ein Magazin mit einem Bild der Headwall, also der Gipfelwand des Cerro Torre, in die Hände und ich hatte sofort das Verlangen, frei durch diese Wand zu klettern. Ich war zu dieser Zeit schon ein paar Jahre erfolgreich im Erwachsenen-Weltcup unterwegs. Die Reize des Wettkampfes hatten über die Jahre eine gewisse Sättigung erlebt. Was am Anfang als 15-Jähriger noch alles sehr aufregend und voller Ungewissheit war, wurde immer mehr Routine. Zu dieser Zeit übten Berge und hohe Wände eine immer größer werdende Anziehungskraft auf mich aus. Im Cerro Torre sah ich ein Spiel mit dem Unmöglichen. Es war ein Ziel, das mich sofort reizte, obwohl es anfänglich noch um ein paar Nummern größer war, als ich es mir selbst eingestehen wollte.
Wie sehr hat das Mysterium um die Erstbesteigung dich bei deinem Vorhaben beeinflusst?
David Lama: Mich hat die mythenumwobene und angezweifelte Erstbesteigung im Jahr 1959 weniger beeinflusst, als Maestris zweiter Versuch im Jahr 1970, als er sich mit einem Kompressor den Berg hinaufbohrte. Ein solches Vorgehen ist in der Welt des Alpinismus einzigartig und bildet den krassesten möglichen Gegensatz zu einer freien Begehung, bei der man sich ja nur der natürlichen Strukturen des Felsens bedient. Wo Maestri sich in einem Gewaltakt durch strukturlose Granitplatten bohrte, musste ich eine frei kletterbare Linie finden. Kernstück seiner Begehung war der Kompressor, ich musste mich auf mein eigenes Können verlassen. An keinem anderen Berg der Welt treffen diese Geschichten derart aufeinander, das hat mich natürlich gereizt.
Nach den ersten beiden gescheiterten Versuchen haben du und dein Team viel Kritik einstecken müssen. Warum?
David Lama: Die Kritik war weniger auf mein Freikletterprojekt bezogen, sondern auf die begleitende Produktion des Filmes. Es wurden im ersten Jahr für das Filmteam Haken gesetzt, die nicht hätten gesetzt werden sollen. Es wurden Fixseile in der Wand belassen, die besser nie zum Einsatz gekommen wären. Heute weiß ich, dass ich damals viel härter hätte durchgreifen müssen, denn damit sind wir dem Vorgehen von Maestri nähergekommen, als geplant und gewollt. Die Schelte, die wir und vor allem ich damals bezogen haben, hat meine Sicht der Dinge nachhaltig beeinflusst. Rückblickend bin ich stolz auf den ganzen Lernprozess, den neben mir auch das Filmteam durchlebt hat. Wenn ich mir nun den Film anschaue, in dem die Kontroverse auch eine wichtige Rolle spielt, bin ich froh, dass wir auf diesen harten, aber wichtigen Teil der Geschichte nicht verzichtet haben.
Hätte es beim dritten Mal nicht geklappt, wärst du noch einmal nach Patagonien gefahren?
David Lama: Ich war seit meinem Freiklettererfolg schon zwei Mal wieder in Patagonien, also muss ich die Antwort auf den Cerro Torre beziehen. Es hätte den Fall geben können, dass der Granit in irgendeiner Stelle am Torre schlicht und einfach zu wenig Strukturen aufweist, um frei geklettert zu werden. Es galt ja nicht umsonst als unmöglich. Hätte ich das für mich festgestellt, hätte ich mich geschlagen geben müssen. Wenn ich ‚nur‘ an meinen eigenen Fähigkeiten oder den Bedingungen gescheitert wäre, dann wäre ich auch drei weitere Male zum Torre aufgebrochen, da bin ich mir sicher.
Was war für dich persönlich die größte Herausforderung am Cerro Torre?
David Lama: Rein klettertechnisch war es sicher die Schlüsselseillänge, in der die Griffe oft nur kleine Quarzkristalle von ein paar Millimeter Größe sind. Die größte Herausforderung auf persönlicher Ebene war es, die Kontroverse zu verstehen. Ich musste grundlegende kletterethische Fragen, wie zum Beispiel welche Bedeutung der Bohrhaken hat, neu überdenken und mir eingestehen, dass ich anfangs nicht alles aus allen Blickwinkeln begutachtet hatte.
War es für dich wichtig, der Erste zu sein, der diesen Berg frei klettert?
David Lama: Ja, natürlich. Mich reizt die Ungewissheit, das Unmögliche. Sobald jemand ein Projekt gemacht hat, fehlt diese –mir so wichtige - Komponente.
Nimmst Du beim Klettern wahr, was um dich herum passiert?
David Lama: Das hängt sehr davon ab, wie sehr ich gefordert bin. Wenn es schwierig oder heikel wird, bin ich derart fokussiert, dass ich zum Beispiel Anfeuerungsrufe meines Kletterpartners nur unterbewusst wahrnehme.
Warum hast Du dich für Peter Ortner als Partner für diese Tour entschieden?
David Lama: Peter ist ein cooler Typ und über die Jahre zu einem meiner engsten Freunde geworden. An Peter schätze ich seinen Drive und seine Art, Dinge anzupacken. Unsere Eigenschaften ergänzen sich gut, und in der Wand verstehen wir uns blind. Ich habe jemanden gebraucht, der genauso fest an das Projekt glaubt wie ich selbst. Und ich habe ihn in Peter gefunden.
Wie hat dich der Cerro Torre menschlich verändert?
David Lama: Ich bin jetzt kein anderer Mensch, aber in den drei Jahren am Torre bin ich sicherlich gereift. Ich sehe Dinge jetzt anders, als ich sie noch vor ein paar Jahren gesehen habe. Dinge, die mir vorgeworfen wurden, verstehe ich jetzt umfassender, und wie meine Kritiker von damals, würde auch ich diese nun als falsch empfinden. Ich bin in mancherlei Hinsicht sicher auch radikaler geworden – zumindest, was meine persönliche Einstellung zum Klettern betrifft. Mehr noch als früher glaube ich nun daran, dass man seine Ziele und Träume genauso umsetzen muss, wie man sie vor Augen hat. Man darf keine noch so kleinen Abweichungen von seiner ursprünglichen Idee machen, nur um schneller ans Ziel zu kommen, auch wenn das manchmal verlockend erscheint.
Jetzt, da du es geschafft hast: Gibt es neue Wände oder Gipfel, die du dir zum Ziel gesetzt hast?
David Lama: Gerade heute hat mich ein Kameramann eines TV-Teams gefragt, warum ich nicht aufhöre, da es nun geschafft ist. Ganz einfach: Weil ich keine Lust darauf habe! Es gibt noch viele Berge und Wände, die mich reizen. Im Moment ist es die über 3000 Meter hohe Nordost-Wand des Masherbrum, auch K1 genannt, in Pakistan, die den größten Reiz auf mich ausübt. Diese noch nicht durchstiegene Wand verfolgt mich derzeit genauso in meinen Träumen wie der Cerro Torre vor fünf Jahren.

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