Am Liebsten würde ich meinen Rucksack diesen verdammten Hang runter werfen. Ich überlege, wie weit er wohl rollen würde. Und denke, mein Wanderguide Andy hat wahrscheinlich nur Seife und Zahnbürste dabei – dieser Fuchs. Ich dagegen musste ja unbedingt mein halbes Badezimmer mitnehmen. Viel zu viel Cremes, Sprays, Tiegelchen und reichlich Medikamente für alle möglichen Fälle – alles was frau so braucht, wenn sie in die schottische Wildnis aufbricht. Nötig ist das natürlich nicht. Dieser Anfängerfehler rächt sich schwer.
Dazu regnet es leicht aber beständig vor sich hin. Die schottischen Highlands zeigen sich von ihrer besten Seite: Es ist nebelig, kalt und meine Brille beschlägt. Ich sehe so gut wie nichts. Der gut 594 Meter hohe Mam Barisdale Pass, der zwischen den Bergen Luinne Bheinn und Ladhar Bheinn entlangführt, hat es in sich. Er ist rutschig, steil, steinig und dann wieder matschig. Und wem habe ich das alles zu verdanken? Meinem Freund Kai, der wollte unbedingt "The Old Forge" in Inverie besuchen, der ist laut Guinness Buch der Rekorde "der abgeschiedenste Pub auf dem britischen Festland". Er ist für seine preisgekrönten Ales, die regionalen Wildgerichte und die guten Meeresfrüchte bekannt, so heißt es zumindest auf der Webpage – schon drei Gründe da mit zu ziehen, dachte ich.
Und nun gibt es kein Zurück mehr. Der Weg führt mitten durch Schottlands letzte Wildnis, so wird die meilenweite und unzugängliche Halbinsel Knoydart gern genannt. Sie ist die am dünnsten besiedelte Region Großbritanniens und umgeben von Loch Nevis und Loch Hourn. Das ist Gälisch und bedeutet so viel wie "Himmel" und "Hölle". Wer hier nicht mit dem Kompass umgehen kann, bleibt daher am besten gleich zuhause. Auch Handy-Empfang hat die Halbinsel nicht. Diese autarke Dorf Inverie liegt ganz versteckt im Westen Schottlands. Gegenüber der Insel Sky, in einer geschützten Bucht. Es zählt gerade mal 120 Einwohner. Die meisten Touristen und Besucher wählen den bequemen Weg, um nach Inverie zu gelangen; innerhalb einer guten Stunde haben sie vom Küstenörtchen Mallaig übergesetzt. Doch mal ehrlich - Bötchen fahren kann schließlich jeder, deshalb laufen wir. Auch dabei ist Andy Hague. Er stammt gebürtig aus Edinburgh, ist leidenschaftlicher Kletterer, Wanderer und professioneller Guide.
Auf nach Inverie
Er erklärt uns den Trail: "Der erste Tag der Tour führt von Kinloch Hourn bis nach Barisdale, das sind gut elf Kilometer. Die erste Etappe hat drei Anstiege und einen Höhenunterschied an die 579 Meter. Am zweiten Tag führt der Weg über den Mam Barisdale Pass bis nach Inverie – zum heißbegehrten Ziel: 'The Old Forge’ ('Die alte Schmiede'). Am zweiten Tag sind es noch 16 Kilometer." Das klingt doch alles harmlos – genau es KLINGT harmlos!
Bereits während der anderthalbstündigen Taxifahrt zum Startpunkt Kinloch Hourn geht es mitten durch ein schottisches Wunderland. Ein Mix aus hohen Bergen, grünen Wäldern, Wasserfällen und Heidelandschaften. Dazwischen stehen immer wieder Schafe, Rehe und Schottische Hochlandrinder. Während unser guttrainierter Wanderguide Andy voller Vorfreude die Höhepunkte der Fahrt erklärt, wird mir immer mulmiger: "Guck, das ist der Ben Nevis, mit seinen 1344 Metern ist er der höchste Berg Schottlands und Großbritanniens." Seine oberste Spitze ist nur selten zu sehen und meist in Wolken verhüllt – so auch jetzt. Dieser majestätisch anmutende Berg hat eine weiße Schneespitze und diente auch schon in den ersten beiden Harry-Potter-Filmen, bei "Braveheart", "Rob Roy" und "Highlander III" als Kulisse. "Und wanderst Du zuhause regelmäßig?", fragt Andy. "Nein", antworte ich und schlucke. Kai schüttelt nur stumm den Kopf. Andy dagegen wandert jeden Tag. Wanderguide ist sein Traumjob.
Irgendwann ist die schmale Straße einfach zu Ende. Wir nehmen die Rucksäcke aus dem Kofferraum. Der Taxifahrer steigt ein, hupt, dreht um und verschwindet. Die ersten Schritte führen mitten durch Farn, durch Heide über kleine holprige Steine. Unter uns liegt der Loch Hourn, auf dessen dunklem stillem Wasser ein großes Segelboot fährt. Es ist einsam, kein Mensch zu sehen. Es geht hinauf und wieder bergab. Es wird rutschig, dann wieder steinig und mitunter ganz schön matschig. Andy ist der flinke Hase und ich das plumpe Trampeltier, denke ich.
Mrs Redface kämpft mich sich
Ich schnaufe, schwitzte und kämpfe mit jeder kleinen Anhöhe. Irgendwann ist Lunchtime – Picknick auf einem Berg mit fantastischer Aussicht aufs Loch Hourn. Wir packen aus den Rucksäcken ein paar Sandwichs, Müsliriegel und Zitronenlimo aus der Dose. Unseren Müll nehmen wieder selbstverständlich wieder mit. Sobald ich stehe und den Rucksack abwerfe, friere ich. Dann doch lieber weitergehen. Nur der Wind pfeift in meinen Ohren, sonst höre ich nichts.
Andy linst immer wieder durchs Fernrohr und hält Ausschau nach Hirschen und dem "Golden Eagle", dem Steinadler. Doch der zweitgrößte Raubvogel Großbritanniens ist nicht zu sehen. Kein Hirsch, kein Adler – nur Heide und Farn. Ich würde wahrscheinlich nicht mal merken, wenn ein Hirsch direkt neben mir stehen würde, denn ich bin mit meinen Füßen beschäftigt. Wo wir sind? Keine Ahnung. Ist auch egal. Andys orangefarbenen Rucksack habe ich dafür immer im Blick, der weist mir meinen Weg.
"Wenn wir so weiter laufen sind wir gegen 18 Uhr in Barisdale", sagt Andy. Ich will keine weiteren Pausen mehr, denn wenn ich mich noch mal hinsetze, stehe ich nicht wieder auf. Neben vielen und überflüssigen Cremetöpfen merke ich nun auch noch den Schlafsack, die Isomatte, die Verpflegung für zwei Tage und den Wasserbeutel. Der Trampelpfad wird immer schlammiger. Auf die traumhafte Landschaft um mich herum achte ich nicht mehr. Ich atme schwer, mir ist heiß, mein Kopf knallrot. "Mrs Redface/Frau Rotgesicht" kämpft mit sich.
Dann bleibe ich im Matsch stecken – und falle um und liege wie ein Kartoffelkäfer auf dem Rücken. Hochkommen ohne Hilfe unmöglich. Kai und Andy reichen mir ihre Hände und ziehen mich wieder hoch. Kaum fünf Minuten später mache ich einen zu großen Schritt und falle vorn rüber. Danach weicht Andy nicht meiner von meiner Seite: "Einen Schritt nach dem anderen machen", mahnt der erfahrene Wanderer. "Trete hierher und dann dort hin", dabei zeigt er auf die Steine – und weist mir wie ein Verkehrspolizist meinen Weg durch diesen schottischen Dschungel. Schritt für Schritt lerne ich zu akzeptieren, dass hier draußen vor allem eines zählt: Im eigenen Tempo sicher angekommen.
Ein Holzbett und eine Hütte mit fließend kaltem Wasser
Irgendwann nehme ich auch wieder die Umgebung war: saftig grün bewucherte Berge um mich herum, davor eine große Bucht – der Sound of Sleat. Am Horizont liegt die südliche Halbinsel Sleat auf der Insel Skye. Diese Region wird nicht umsonst der "Garten Skyes" genannt. Eine sanft gewellte Hügellandschaft umgeben von Wasser. "Und, wollt Ihr morgen auf der zweiten Etappe noch den 1020 Meter hohen Berg Ladhar Bheinn mitnehmen? Die Aussicht von dort ist auch wunderschön", sagt Andy. Ich will nicht.
Ein Steinhaus kommt in Sichtweite - es ist das erste Etappenziel: the bothy! Und während ich dachte wir sind völlig allein hier in der Wildnis – weiß ich nun, wir sind es nicht. Vor der Wanderhütte stehen schon vier Zelte. Ich hoffe, auf ein paar kernige Schotten in Kilts, stattdessen rühren drei drahtige Männer um die 50 Jahre in Multifunktionskleidung in kleinen Töpfen auf drei Gasbrennern.
Das Lager für die Nacht bietet rustikale Etagenbetten mit Holzplatten-Einlagen, fließend kaltem Wasser und Wasserklosett. Die Küche hat einen kargen Steinboden, alte durchgesessene Stühle, einen großen Tisch, ein Spülbecken und eine hölzerne Spardose mit einem Zettel: auf dem um drei Pfund pro Person für eine Übernachtung gebeten wird. Ich werfe Geld ein und anschließend meinen Rucksack aufs Holzbett – endlich!
Andy grinst und schmeißt den Gaskocher an. Es gibt heißen Tee, Kekse und danach "Risotto à la Andy". Reis mit Gemüse und einem Schuss Weißwein, den Andy aus seinem Rucksack hervorzaubert. Ich schaffe es noch mit Mühe und Not Pilze und Zwiebeln klein zu schneiden. Wir rühren und sitzen mit James, Gordon und Peter an einem Tisch. Sie sind mit dem Paddelboot gekommen. James fragt, woher wir kommen, will keinen Wein, reicht dafür aber seinen Whiskey aus dem Flachmann. Meine Nacht wird hart und kalt.
Am nächsten Morgen sind sie schon da – die Highland Mücken. Tausende schottischer midges. Diese Culicoides impunctatus tritt immer in großen Schwärmen auf, so auch heute. Gefährlich sind sie zum Glück nicht. Ich beobachte durchs Fenster die anderen Camper. Sie sind schon beim Einpacken und haben schwarze Moskito-Mützen auf ihren Köpfen. Sie sehen aus wie aus einem Science Fiction Film mit Horrorbienen. Andy verteilt zur Morgentoilette Anti-Mücken-Spray. Wir frühstücken: Müsli oder Porridge und trinken Tee.
Heulen ist auch keine Lösung
"Als erstes kommt der schwere Anstieg über den Mam Barisdale Pass. Dann geht es nur ebenerdig weiter vorbei am Loch Dubh-Lochain und heute Abend in den Pub!" sagt Andy gut gelaunt. Wir brechen auf. Meine Beine schmerzen, Andys nicht. Kai hat nach dem Haferschleim zu viel Energie. Ich bin wie immer die Letzte. Je höher wir kommen, desto nebliger wird es. Dazu ist es total windstill – und die Mücken sind überall. Nebel und Regen zermürben mich. Immer weitergehen, nur ankommen. Doch wer den Berg rauf geht, muss auch wieder runter. Der Weg hinunter zum Loch ist matschig. Bäche fließen kreuz und quer den Abhang hinunter. Ich kämpfe mit mir, mit dem Rucksack und den Tränen – doch Heulen ist auch keine Lösung. Stattdessen einfach immer nur weitergehen! Andy weist den Weg, über Bäche, kaputte rutschige Brücken, durch sumpfige Stellen. Er führt uns sicher und langsam hinunter. Irgendwann bin auch ICH unten angekommen – und das sogar ohne auszurutschen!
"Nun geht es nur noch geradeaus auf einem breiten Weg. Und denk immer daran, heute Abend kannst Du Deinen Rucksack für immer in die Ecke werfen", sagt Andy. Der Mann weiß, wie man erschöpfte Frauen motiviert. Wenig später kommt die Sonne raus und die Wasseroberfläche des Lochs Dubh-Lochain funkelt dazu als wäre es nie anders gewesen. Vom Nebel und vom Regen keine Spur mehr zu sehen. Ich denke an heißes Badewasser und frage mich, ob das bothy in Inverie wohl eine Dusche hat? Es hat und dazu noch ein Wohnzimmer mit Ofen, mehrere Schlafsäle, eine vollausgestattete Gemeinschaftsküche und einen Trockenraum für Schuhe, Jacken und Hosen. Als ich ihn betrete, würde ich mich am liebsten zu den alten Socken hängen.
Ich wähle dann aber doch lieber die heiße Dusche. Eine Kirche, ein Café, eine Grundschule, eine Post plus eine alte ausgediente Telefonzelle und der Pub – das ist das Zentrum von Inverie. Weiße Steinhäuser mit schwarzen Dächern stehen dicht aneinander. Seit 1999 ist das Dorf autark. Damals eine Sensation, denn die Bewohner kauften ihr Dorf und das Umland, und beendeten damit die Zeiten der jahrhundertelangen Fremdbestimmung. Heute gibt es die Knoydart Foundation, die alle Belange des Ortes regelt. Inverie hat auch ein eigenes Wasserkraftwerk. In dem kleinen Infocenter zwischen Post und Pub steht zwischen Broschüren ein Defibrillator im Regal. Er ist immer einsatzbereit. Die Tür zum Infocenter steht immer offen.
Ein paar Männer mit Zigaretten und Pint in der Hand sowie ein Pudel stehen vor einer Tür; das ist "The Old Forge". Es ist Freitagabend 20 Uhr – und beste Dorfidylle am Ende der Welt. Im Innern steht ein Barmann hinter einer kleinen Theke. Er nickt kurz zur Begrüßung. Gut ein Dutzend Tische stehen im Gastraum. Doch der Gastro-Pub mit Kaffeevollautomat ist gut besucht.
Ich hatte mir "The Old Forge" irgendwie uriger vorgesellt. Die Bedienung ist schwer beschäftigt und fragt nur: "Ihre Bestellung, bitte?" Meine Wahl: Wildburger mit Pommes, ein lokales Ale, das "Glenfinnan Gold" und danach Zitronencreme. Das Ale ist süffig und gut. Am Nachbartisch wird die große Meeresplatte serviert, sieht lecker aus. Dann kommt meine schottische Wildburger-Bulette – die ist natürlich auch ein Kracher. Kai bestellt danach noch einen 14 Jahre alten Whiskey aus der Oban Distillery – schottische Völlerei á la Inverie. Und mal ehrlich, allein dafür hat sich dieser Weg doch schon gelohnt!
Diese Reise wurde unterstützt von Visit Scotland. Dies hat keinen Einfluss auf den Inhalt der Berichterstattung.
GUT ZU WISSEN
Anreise
EasyJet fliegt regelmäßig von Hamburg, Berlin Schönefeld und München nach Edinburgh. Germanwings bietet eine regelmäßig Flugerbindung von Düsseldorf nach Glasgow an. Danach geht es mit dem Zug weiter nach Fort William. Am besten am nächsten Morgen mit einem Taxi nach Kinloch Horn. Zwei-Tages-Fußmarsch nach Inverie. Danach mit dem Wassertaxi oder der Fähre wieder zurück nach Mallaig. Von dort über Fort William wieder zurück nach Glasgow oder Edinburgh.
Fährverbindung zwischen Mallaig und Inverie: westernislescruises.co.uk
Wassertaxi von Inverie nach Mallaig z.B.: www.knoydartseabridge.co.uk oder www.seaknoydart.co.uk
Der Trail von Kinloch Hourn nach Inverie
Wenn Sie die Tour individuell nachwandern wollen, melden Sie sich vorher beim Ranger in Inverie an. Nehmen Sie nicht zu viel Gepäck mit, aber denken Sie an wichtige Dinge wie Kompass, GPS, Wasser, Verpflegung, Antik-Mückenspray, wetterfeste Kleidung und gute Wanderschuhe sowie Trekkingstöcke. Der Pfad nach Inverie erfordert eine gute Kondition und Trittsicherheit. Anfänger sollten diesen Trail nicht alleine gehen.
Knoydart im Web: www.knoydart-foundation.com
Die Mückenvorhersage: www.midgeforecast.co.uk
Wilderness Scotland
Reiseanbieter für aktive Schottland-Fans. Geführte Wanderungen auch für Anfänger und Fortgeschrittene. Plus Kanu- oder auch Mountain-Bike-Touren, Segel oder Photo-Safaris: www.wildernessscotland.com
Visit Scotland
Für Vorab-Infos, Kartenmaterial und Tipps für die Schottlandreise:www.visitscotland.com
Übernachten
Hotel Best Western in Fort William
Ein Haus, in dem Wanderer sehr willkommen sind. Gemütliche Zimmer mit allem, was man braucht sowie hilfsbereites und nettes Personal. DZ ab ca. 53 Pfund,
Die Wanderhütte
Einfache Unterkunft. Isomatten und Schlafsack unbedingt mitbringen. Im Sommer ist die Hütte oft gut besucht. Übernachtung drei Pfund pro Person,
Knoydart Foundation Bunkhouse
Perfekte Wanderherberge mit Schlafsälen mit Etagenbetten. Selbstversorgung. Nicht vergessen, vor dem Besuch ein Bett reservieren. Erwachsene 17 Pfund pro Übernachtung,