Diese Seite vereint alle Informationen zu dem Projekt und Updates zu der Asien-Reise von Stefan Sirtl
GEO.de: Wie kam es zu der Idee, mit einem roten Sessel durch Mittelamerika zu reisen?
Stefan Sirtl: Das ist eine etwas längere Geschichte, die vor zwei Jahren angefangen hat. Ich hatte mir gerade eine neue Spiegelreflex-Kamera gekauft und besuchte eine Freundin in Heidelberg. Mir fiel gleich der rote Sessel auf, der in ihrer Wohnung stand. Und da ich meine neue Kamera hatte, kam uns die Idee, mit dem Sessel ein paar Bilder zu machen. Wir haben den Sessel auf ein Skateboard geschnallt und sind raus auf die Straße. Die Idee war, dass ich die Freundin, Julia, fotografiere, und die Leute laufen einfach vorbei und ziehen Schwaden durch das Foto. Das hat aber nicht ganz funktioniert, weil alle Leute stehen geblieben sind und gefragt haben, ob ich auch ein Bild von ihnen auf dem Sessel machen könnte. Daraufhin haben wir kurzfristig unseren Plan geändert und hatten am Ende des Tages rund 200 Bilder von wildfremden Menschen in diesem Sessel. Kurze Zeit später kam uns dann die Idee, mit dem Sessel auf Reisen zu gehen.
Wie geht man mit einem Sessel auf Reisen, war das kompliziert?
Ja, zuerst waren wir etwas überfordert mit dieser Idee, aber im Endeffekt war es ganz einfach. Wir haben eine Konstruktion unter den Sessel gebaut mit einer Achse und kleinen Rollen. So haben wir den Sessel dann einfach durch Mittelamerika gezogen. Wir waren mit Bussen und Booten unterwegs, wie ein normaler Backpacker auch, nur dass wir eben noch einen Sessel dabei hatten.
Ihr habt dann vor Ort Menschen darauf Platz nehmen lassen und sie fotografiert. Kam das immer spontan zustande?
Ja, eigentlich immer. Meist haben wir uns in einer Stadt auf einen Platz gesetzt und gewartet, bis irgendetwas passiert. Das hat immer sehr gut funktioniert, und wir wurden von vielen Menschen angesprochen, von denen wir dann Bilder gemacht haben. Manchmal haben wir natürlich auch Motive gesehen und haben die Menschen dann direkt angesprochen, ob sie Lust haben, an unserem Projekt teilzunehmen. Aber die meisten Bilder sind wirklich durch puren Zufall entstanden.
Hast du ein persönliches Lieblingsbild?
Meine liebste Aufnahme zeigt eine Frau und ein Kind auf einem Flaschenberg. Das Bild ist in Nicaragua entstanden, es beschreibt ganz gut unser Projekt "Sientate". Auch hier hatten wir uns wieder an einem zentralen Standort platziert. Wir wurden von einer Frau angesprochen, Marta, eine Flaschensammlerin. Sie war neugierig, warum zwei Touristen mit einem Sessel in Nicaragua sitzen. Nachdem wir ihr von unserem Projekt erzählt hatten, kam sie mit der Idee, dass wir sie am nächsten Tag auf die Müllhalde begleiten. Sie wollte damit auf die Situation der Frauen in Nicaragua aufmerksam machen. Viele leben auf der Straße, und das Flaschensammeln sichert ihr Überleben.
Das haben wir dann auch wirklich gemacht. Mir war es am Anfang etwas unangenehm, ich wäre nie auf die Idee gekommen, den Sessel mitten auf einem Flaschenberg zu positionieren. Ich empfand das als herabwürdigend den Menschen gegenüber; aber da es ihre Idee war, konnte ich mich schnell an den Gedanken gewöhnen. Insgesamt haben wir dann ein Shooting mit rund 20 Menschen gehabt. Die hatten so einen Spaß daran, sich auf dem Stuhl mitten im stinkenden Flaschenmeer fotografieren zu lassen. Das war wirklich toll.
Wie hat der Sessel diesen Ausflug überstanden?
Eigentlich ganz gut. Er hat natürlich ein bisschen gestunken, aber wir haben auch Sponsoren, die den Sessel immer wieder fit machen, wie die Heidelberger Polsterei, ohne die es das Projekt in der Form nicht geben würde.
Gab es Momente auf der Reise, wo ihr den Sessel am liebsten hättet stehen lassen wollen?
Ich hatte damit eigentlich gerechnet, aber das ist nicht geschehen. Im Gegenteil: Wenn wir den Sessel mal irgendwo stehen lassen mussten, haben wir ihn ganz schnell vermisst. Ich hatte sogar ein bisschen Angst, ihm könnte etwas passieren, gerade auf den Flügen, da haben wir wirklich gebibbert, ob er auch mit uns ankommt. Als wir ihn dann auf dem Rollband gesehen haben, haben wir uns jedes Mal sehr gefreut. Er sah zwar übel aus, aber das haben wir dann schnell wieder repariert.
Also hattet ihr Flickzeug dabei?
Zu wenig, wir mussten einen Schreiner aufsuchen, denn auf dem Flug nach Mittelamerika ist die ganze Rückenlehne abgegangen sowie ein Vorderbein. Aber ich glaube, ich sollte vor der nächsten Reise einen professionellen Sessel-Flickkurs besuchen.
Kannst du noch etwas über das daraus entstandene Fotoprojekt erzählen?
Eigentlich war das es eine Schnapsidee. Wir wollten eben verrückte Aufnahmen für das eigene Fotoalbum machen. Dass die Bilder dann doch so erfolgreich waren, wir gar um Ausstellungen und Vorträge gebeten wurden, damit hatten wir nicht gerechnet. Das hat mich auch dazu bewogen, dass ich das Projekt weiterführen möchte. Ich kann es nur jedem empfehlen, mit einem Sessel zu reisen, es öffnet Türen, und es ist beeindruckend, was man so erleben kann.
Gibt es schon konkrete Pläne, wo es das nächste Mal hingeht?
Die nächste Reise wird im September starten. Da werde ich mit meiner Freundin auf dem Fahrrad durch Asien reisen. Der Sessel ist natürlich auch wieder dabei. Das funktioniert so, dass wir den Sessel ein bisschen umgebaut haben: Er ist etwas leichter geworden und hat außen Steckmöglichkeiten für Mountainbike-Räder. Wir werden dann von Vietnam über Laos, Kambodscha und Thailand wieder nach Vietnam fahren. Ich erhoffe mir von der Tour mit dem Fahrrad eine größere Nähe zu den Menschen am Straßenrand. In Mittelamerika waren wir ja mit Bussen unterwegs, und da konnte man nicht einfach aussteigen, wenn wir ein tolles Motiv gesehen haben.
Und Julia hat den Sessel einfach so gehen lassen? Ist es jetzt deiner?
Ja, das war natürlich schwierig. Sie liebt das Projekt genauso wie ich, nur ist sie beruflich mehr gebunden und kann nicht mehr länger verreisen.
Das Interview als Audio und weitere Informationen
Mit Rucksack und einem roten Sessel tourte Stefan Sirtl durch Mittelamerika und ließ unterwegs Menschen Platz nehmen. Im Interview mit GEO.de erzählt er von seinem Fotoprojekt und Zukunftsplänen (Länge: 12:18 Min; 11,2 MB)