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Eine deutsche Kirschblütenprinzessin

Zur Kirschblüte befindet sich Japan im Rausch - die Natur wie der Mensch. Alle zwei Jahre entsendet die Stadt Hamburg genau dann eine deutsche Kirschblütenprinzessin zu einem Marathon durch das höchst offizielle Japan. Ein GEO-Team durfte an ihrer Seite sein

Inhaltsverzeichnis

Donnerstag , 15.30 Uhr

Zur Verabschiedung einer Prinzessin ausnahmsweise kein Pomp. Kein Fähnchenschwenken, kein Winken vom Balkon. Nur ein Dutzend Menschen, die im Rathaus auf eine junge deutsche Frau im Kimono blicken. Knapp eine Stunde hat es gedauert, bis ihr eine Helferin das Gewand angelegt hatte und auch äußerlich aus der Japanologie-Studentin Inger Maleen Bachmann die 24. Hamburger Kirschblütenprinzessin geworden war. Dabei hatte sie sich lediglich um ein Praktikum bei der Deutsch-Japanischen Gesellschaft bewerben wollen, war dort aber gleich gefragt worden: Möchten Sie nicht auch als Kirschblütenprinzessin kandidieren? Zwei Jahre lang als Sonderbotschafterin die Stadt Hamburg repräsentieren und einmal, zur Kirschblüte, nach Japan reisen, Grußbotschaften an Bürgermeister überbringen, Wirtschaftsführer treffen und Zentralen der etwa 100 in Hamburg ansässigen japanischen Firmen besuchen, möchten Sie das? Ja, das möchte sie gern, hatte die 22-Jährige geantwortet und sich kurze Zeit später in drei Wahlgängen gegen 25 Mitbewerberinnen durchgesetzt. In wenigen Tagen wird nun ihre zweiwöchige Reise nach Japan beginnen. Der Kimono bleibt allerdings zu Hause; wie die viel zu kleinen Zehensandalen, über die ihre Fersen ragen. "Drüben werde ich mich eher westlich geben", sagt die Prinzessin. Dienstkleidung sind Kleid und Krone.

Eher rosa-weiß- als blaublütig: die Hamburger Prinzessin im Kreis ihrer japanischen Kolleginnen
Eher rosa-weiß- als blaublütig: die Hamburger Prinzessin im Kreis ihrer japanischen Kolleginnen
© Andreas Seibert

Dienstag, 7.30 Uhr

Ankunft der Prinzessin in Tokio. Statt blühender Kirschbäume stehen zunächst nur Hochhäuser Spalier.

Mittwoch , 9 Uhr

Tadelloses Aussehen ist für eine Prinzessin Pflicht. Jeden Morgen führt der Weg daher zunächst in den Frisiersalon des exklusiven Hotels "New Otani", wo das Haar erst zur Einstein-Frisur toupiert und anschließend kunstvoll hochgesteckt wird. Am ersten Tag sitzt neben der Prinzessin zufällig die japanische Kirschblütenkönigin. Die Hoheiten erkennen sich an ihren auf den Frauenzeitschriften abgelegten Kronen.

Mittwoch, 11 Uhr

Der erste Auftritt mit Kleid und Krone. Treffen der Kirschblütenvereinigung, das hatte irgendwie nach Fest geklungen. Nach Gesang unter Bäumen und fröhlichen Männern, die ihre Krawatten zunächst um den Hals und nachher wie ein Stirnband tragen. Nun aber sitzen 600 vorwiegend ältere, dunkel gekleidete Menschen in einem großen Saal und blicken mit der Heiterkeit von Kriegsveteranen auf die Bühne. Da wird endgültig klar: Die Kirschblüte, Japans Symbol für Anmut und Vergänglichkeit, auf zahllosen CDs besungen, auf T-Shirts gedruckt, als Videospiel käuflich, ist eine ernste Sache. Auf der Bühne sitzt die Prinzessin neben den japanischen Kirschblütenköniginnen und verneigt sich reflexartig, als der Vorsitzende der einflussreichen

"Cherry Blossom Association" (CBA) unvermittelt den Namen "Inger Maleen Bachmann-san" sagt. Eine Million Kirschbäume will die CBA innerhalb von zehn Jahren in Japan pflanzen - und fängt damit eine Stunde später auf einem kleinen Rasenstück an. Umringt von einer gewaltigen Traube Fotografen gibt die beeindruckte deutsche Prinzessin mit einem Spaten Erde an eine junge Kirsche, die etwas verloren vor einer Reihe Palmen steht.

Mittwoch, 12.20 Uhr

Am Buffet gibt’s Maki-Röllchen und frittiertes Gemüse. Hin und wieder verneigt sich die Prinzessin vor einem der Gäste, die sie um einen Kopf überragt, und signiert einen Sake-Becher. Einer ist für den Schneider des Kimonos, den sie bei offiziellen Terminen in Hamburg trägt. "Oh, viel Stoff", erinnert sich der kleine Herr und schaut lächelnd an der Prinzessin hinauf. "Viel Stoff!"

Mittwoch, 17 Uhr

Ne in, ein Termin beim Premierminister ist keine Selbstverständlichkeit, selbst deutsche Minister erhalten Absagen. Für Kirschblütenadel findet Junichiro Koizumi jedoch immer Zeit. Der Delegation schließt sich daher gleich noch der Kulturbeauftragte der Deutschen Botschaft an. Das Empfangszimmer liegt im ersten Stock einer imposanten Residenz aus Holz und Glas. Warten vor einem Halbkreis blütenfarbener Sessel. Die Prinzessin ist nervös und nestelt an ihrer roten Schärpe. Dann tritt der Premier ein. Grauer Anzug, energischer Schritt, wogende Frisur. Ein fester Händedruck für jeden, dann erhält der Premierminister eine Klassik-CD und einen Silberbecher mit Hamburg-Wappen. "Oh", sagt Herr Koizumi mit tiefer Stimme und liest: "Mozart-o!". Gern höre er auch Bach, sagt er, und wendet sich an die deutsche Prinzessin. "Und Sie heißen: Bach-mann!" Da schmunzelt er und lässt sich so beschwingt in den Sessel fallen, dass er für eine Sekunde hintenüber zu kippen scheint. Die Türen schließen sich. Über den Inhalt des Gesprächs wird Stillschweigen vereinbart. Dennoch dringt später die Frage des Premierministers nach außen, ob auch in Deutschland Kirschblüten nachts angestrahlt würden. Die Prinzessin verneinte dies, hält es aber für eine gute Idee.

Man muss kein Visionär sein, um in Japan blühende Landschaften zu sehen: Allein in Tokio stehen rund 140 000 Kirschbäume, von denen jeder im Frühjahr etwa 350 000 Blüten trägt
Man muss kein Visionär sein, um in Japan blühende Landschaften zu sehen: Allein in Tokio stehen rund 140 000 Kirschbäume, von denen jeder im Frühjahr etwa 350 000 Blüten trägt
© Andreas Seibert

Mittwoch, 17.12 Uhr

Gerade haben sich die Türen wieder geöffnet, da ist die Prinzessin umringt von Fotografen und Fernsehteams. Zunächst stutzt sie etwas, gibt dann aber ganz staatsmännisch Statements ab: "Yes, he was friendly", sagt sie mit einem souveränen Blick in die Kameras. "Very open." In der Zwischenzeit geht der Chef der japanischen Postbank, des größten Finanzinstituts der Welt, an der Presse vorüber zum Premier. Aber nur ein Kameramann schwenkt ihm etwas lustlos hinterher.

Donnerstag, 10.30 Uhr

An der Hotelrezeption liegen Zeitungen aus. Mit ihrem Besuch beim Premierminister hat es die Kirschblütenprinzessin in verschiedene überregionale Ausgaben geschafft. Mit Foto. Lediglich der Kulturbeauftragte der Botschaft wurde abgeschnitten.

Donnerstag, 11.30 Uhr

"Say cheeeerry!": Der Präsident des Unterhauses bei angenehmer Gartenarbeit in seiner Residenz
"Say cheeeerry!": Der Präsident des Unterhauses bei angenehmer Gartenarbeit in seiner Residenz
© Andreas Seibert

Die Freunde Deutschlands treffen sich in einem fensterlosen Hotelraum. Der Präsident der "Japan-Germany Parliamentary Friendship Group", Toshiki Kaifu, ist ehemaliger Premierminister und hat wie zum Beleg seiner Deutschland- Erfahrung Farbkopien von Fotos mitgebracht. Er mit Berlins Ex-Bürgermeister Walter Momper an der Mauer, er bei einer Rede vor dem Bundestag. In offensichtlicher Wertschätzung für Richard von Weizsäcker hat Herr Kaifu den früheren Bundespräsidenten gleich mehrere Bilder signieren lassen - auch ein Foto, das nur Eberhard Diepgen zeigt. Innerhalb der nächsten 45 Minuten werden von den anwesenden 16 Personen 14 eine Rede halten. Zunächst die Kirschblütenprinzessin, dann der Gesandte der Deutschen Botschaft, ein großer Mann mit goldener Brille. "Ich bin heute ganz erfüllt von Kirschblüten", fängt dieser an und schließt mit dem Versprechen, seine rosafarbene Krawatte erst abzulegen, wenn die letzte Kirschblüte auf Hokkaido verwelkt sei. Applaus. Das Mikrofon wird herumgereicht. Minister Kosaka berichtet von einem lang zurückliegenden Praktikum in Marburg, eine Abgeordnete von ihren guten Erfahrungen mit deutschen Autobahnen, eine weitere vom japanischen Direktor eines deutschen Stahlwerks, der an Kehlkopfkrebs erkrankte und dennoch weiter arbeiten durfte, während er in der Heimat hätte freiwillig den Betrieb verlassen müssen. Dann gibt’s Tempura aus der Lunchbox.

Donnerstag, 14 Uhr

Zwar spricht er nur Japanisch, dennoch führt der Vorsitzende von Miki- moto selbst durch die Hauptfiliale im vornehmen Einkaufsviertel Ginza. Perlenschmuck auf mehreren Etagen, die Einzelstücke nicht selten mehrere 100 000 Euro teuer. Es ist gut, dass der Besuch beim Sponsor der mit elf Perlen verzierten Kronen am Anfang des Aufenthalts liegt: Am Ende der Reise wird die Prinzessin noch einmal ihre Kolleginnen treffen, bei denen sich Terminfülle und Arbeitseifer an der Anzahl abgefallener Perlen erkennen lassen.

Donnerstag, 14.43 Uhr

Kaum tritt die Prinzessin aus dem Geschäft auf die Straße, heben Passanten ihre Mobiltelefone - Fotoshooting. Die Prinzessin lächelt leicht verunsichert, aber erfreut.

Freitag, 8 Uhr

Die Prinzessin ist im Fernsehen. Fünf Minuten dauert ihr Interview auf Nippon TV, das am Abend vorher im Chidorigafuchi- Graben am Kaiserpalast aufgezeichnet wurde. Zum Fest der sakura no hana sind die Grünanlagen dort besonders beliebt. Wenn sich ein rosafarbenes Dach aus Blüten über die Wege spannt, schicken Firmen schon am Morgen ihre jüngsten Mitarbeiter los, um mit Kartons und blauen Planen Plätze für den Betriebsausflug am Abend zu reservieren. Dass es tagsüber eher den Anschein hat, als würde Tokios Müllabfuhr streiken, stört niemanden.

Fre i tag, 19 Uhr

Das S chaubi ld der Wettervorhersage im TV zeigt, dass die Kirschblüte an diesem Wochenende in Tokio ihren Höhepunkt erreichen wird.

Heute ein König: Premierminister Koizumi umrahmt von deutschjapanischem Kirschblütenadel
Heute ein König: Premierminister Koizumi umrahmt von deutschjapanischem Kirschblütenadel
© Andreas Seibert

Freitag , 19.30 Uhr

Der Gesandte der Deutschen Botschaft hält Wort und trägt auch zum Abschlussfest des "Deutschlandjahrs in Japan" beharrlich seine Kirschblüten-Krawatte. Das Protokoll sieht für die Prinzessin zwei Einsätze vor ("20.15 h: bringt Herrn Saburo Kawabuchi ein Glas Sekt"; "gegen 22.15 h: zieht Los"). Dazwischen steht sie etwas verlegen am Fenster, schaut aus Tokios höchstem Wolkenkratzer auf die leuchtende Stadt und bestätigt hin und wieder japanischen Verehrern, dass auch in Deutschland bald die Kirschbäume blühen werden.

Samstag, 9 Uhr

Am freien Tag hinaus zur Kirschblüte nach Kamakura. Inkognito in Jeans und Blazer besucht die Prinzessin Tempelanlagen und einen begehbaren Bronze- Buddha und lässt sich auf der Rückfahrt in einen hoffnungslos überfüllen Vorortszug pressen. Am Nachmittag besucht sie Tokios bekanntesten Manga-Shop. Zum Karaokesingen kommt sie nicht, weil die kleine Bühne des Geschäfts stundenlang von einem jungen Mann blockiert wird, dem die Haare vom Kopf stehen, als wären sie statisch aufgeladen.

Montag , 8.50 Uhr

E in S - Bahnhof in einem Vorort Tokios. Vor einem mit Absperrband umwickel- ten Pfeiler steht eine kleine Dame mit Helm, die unermüdlich "Vorsicht, Pfeiler!" ruft. Die Prinzessin schreitet weiträumig ums Hindernis herum, stößt sich allerdings im wartenden Bus die Krone.

Montag, 9 Uhr

Wie in tausenden F irmen des Landes beginnt auch bei Jamco, einem Zulieferer des Hamburger Airbus-Werkes, heute der Arbeitstag mit einem nyushashiki. Zehn Hochschulabsolventen stellen sich bei der diesjährigen Eintrittszeremonie den Managern vor, die wie Geschworene in der Ecke des Raumes sitzen. Aufstehen, verbeugen, Universität und Abschluss nennen, Einsatz für die Firma geloben, setzen. Die Prinzessin wünscht alles Gute fürs Berufsleben und wird dann durch den Betrieb geführt. Tee gibt es vor einer Weltkarte mit Japan im Zentrum. Ein Mann im weißen Overall erzählt von seinem Montage-Einsatz bei Airbus in Hamburg-Finkenwerder. Doch, allen Jamco-Mitarbeitern habe es in Hamburg gefallen. Auch dem Kollegen, der sich in einem Supermarkt statt Zahnpasta versehentlich Haftcreme gekauft hat und sich anschließend beim Putzen fragte: "Warum ist das Zeug so klebrig?" Zum Mittagessen bittet das Jamco- Management in ein Restaurant, das zum ältesten Tempel Tokios gehört. Zwar mag die Kirschblütenprinzessin eigentlich keinen rohen Fisch. "But Sushi", sagt sie, "is okay."

Montag, 14.20 Uhr

Rückkehr zum S-Bahnhof. Der abgesperrte Pfeiler steht unverändert im Weg, nur die Dame mit Helm hat Dienstschluss.

Dienstag, 14 Uhr

Die Emp fangsdame von Kanebo Cosmetics lächelt mit einem makellos geschminkten Puppengesicht und bittet in einen kleinen Raum mit Blick auf den Tokio-Tower. Einige Minuten später treten zwei entzückt wirkende Manager ein, denen beim Wort "Hamburg" einfällt, dass dort der Fußballer Naohiro Takahara spielt. Dass er beim HSV aber offenbar unter falschem Namen als "Sushi-Bomber" aufläuft, erfahren sie erst von der Prinzessin. Nachdem das Thema Sport abgehakt ist, geht es um Politik, den Premierminister- Besuch und Anti-Aging- Cremes. 15 Minuten später erheben sich alle zur Abschlussverbeugung.

Sonntag Der letzte Tag in Japan . Hinter der Prinzessin liegen 21 Termine. Sie hat 15 Grußbotschaften überbracht, drei Firmen, einen Radiosender und eine Universität besucht und ist vor Tausenden Besuchern und 4500 blühenden Kirschbäumen auf dem "Sakura Festival" aufgetreten. Etwas erschöpft dreht sie sich nun die Krone aus dem Haar, als besitze sie ein Gewinde. Feierabend.

GEO SPECIAL Nr. 06/2006 - Japan

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