GEO: Um die wichtigste Frage mal direkt zu Beginn zu stellen: gibt es Spezies auf Fernandina, die durch den Ausbruch gerade vom Aussterben bedroht sind?
Rosemary Grant: Nein. Zumindest keine, die wir kennen. Die Tierwelt auf Fernandina ist aus verschiedenen Gründen nicht in Gefahr. Es gibt dort beispielsweise keine bekannten Arten, die nur auf dieser Insel vorkommen. Die einzige mir bekannte Ausnahme sind spezielle Reisratten, aber selbst die leben dort so weit verbreitet, dass die Eruption nicht die gesamte Population gefährden wird.
Peter Grant: Außerdem ist Fernandina eine große Insel. Mit 640 Quadratkilometern eine der größten im gesamten Archipel. Außerdem ist sie die höchste. Wenn der La Cumbre dort ausbricht, passiert das sehr weit oben auf einem Berg und die Lava fließt quasi in einer geraden Linie herunter Richtung Meer. Aktuell passiert das auf der südöstlichen Seite. Es ist also keinesfalls so, dass etwa die gesamte Insel mit flüssigem Gestein überströmt wird. Der Großteil ist von der Eruption also gar nicht betroffen. Offensichtlich ist die Lava verheerend für alle Lebewesen, die in ihrem Weg sind. Aber Tiere, die weiter davon entfernt sind, sind nicht betroffen. Und die Arten, die auf Fernandina vorkommen – Pinguine, Land- und Wasserechsen, flugunfähige Kormorane – leben so auf der Insel verteilt, dass der Vulkan gar nicht allen gleichzeitig gefährlich werden kann.
Auch in der Berichterstattung zur Eruption wird immer wieder über die Tierarten gesprochen, die auf der Insel leben. Warum ist das so ein wichtiges Thema in dem Ganzen? Was macht die Natur des Galápagos-Archipels so besonders?
Peter: Die Inseln und ihre Ökosysteme sind unglaublich einzigartig. Es gibt zahlreiche Tierarten, die nur dort leben. Galápagos ist fabelhaft dafür geeignet, die Evolution zu studieren. Dort leben Spezies, die sich sehr schnell vermehren und sich mit der Zeit von Insel zu Insel auf unterschiedlichste Weisen verändern und neue Arten bilden. Man kann quasi die gesamte Region als eine Wiege der Evolution bezeichnen.
Rosemary: Was diesen Ort außerdem so besonders macht: Forscher können die Tiere dort in ihren nahezu unberührten Lebensräumen beobachten, weil viele der Inseln unbewohnt sind.
Um nochmal auf Fernandina zurückzukommen: Es ist also nicht notwendig, Tiere von der Insel zu evakuieren, wenn ein Vulkan ausbricht?
Peter: Nein. Es werden dort keine Tiere eingesammelt, um etwa den Fortbestand einer Art zu garantieren. Das ist bei diesen Eruptionen auf Fernandina, wie gesagt, auch gar nicht notwendig. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Eine besondere Riesenschildkröte wurde aus Sicherheitsgründen von der Insel gebracht. Das Weibchen gehört einer Art an, die für mehr als 100 Jahre als ausgestorben galt. Erst 2019 haben Nationalpark-Ranger der Galapagos-Inseln zusammen mit Wissenschaftlern der Yale-Universität sie wiederentdeckt. Möglicherweise leben noch andere Exemplare davon auf Fernandina, aber das besagte Weibchen ist die einzige Vertreterin der Art, von der wir wissen.
Rosemary: Dass Schildkröten evakuiert werden, passiert gerade aber auch nicht zum ersten Mal. 2005 brach auf der benachbarten Insel Isabela der Vulkan Cerro Azul aus. Dort wurden mehrere Landschildkröten mit Helikoptern zu einer anderen Stelle der Insel geflogen. Dort wurden sie in Gefangenschaft gehalten, bis die Gefahr vorbei war und wurden anschließend zu ihrem ursprünglichen Lebensraum zurückgebracht.
Solche Eruptionen sind auf den Galápagos-Inseln keineswegs Ausnahmen. Immer wieder spucken die verschiedenen Vulkane des Archipels Feuer. Ist es bei anderen Ausbrüchen auf der Inselkette schon mal dazu gekommen, dass eine Spezies ausgelöscht wurde?
Peter: Wir wissen von keiner Tierart, die in den letzten Jahrzehnten infolge einer Eruption ausgestorben ist. Das heißt aber nicht zwingend, dass so etwas gar nicht vorkommt. Wir wissen zum Beispiel noch relativ wenig über die Welt der Insekten und Spinnentiere auf den gesamten Galápagos-Inseln. Viele Spezies sind uns zwar schon bekannt, aber gerade auf kleinen, abgelegenen Inseln kann es gut sein, dass dort Tiere wie Grillen oder Grashüpfer leben, die wir noch nicht entdeckt haben. Und wenn es dort ein Vulkanausbruch geben sollte, könnten diese Arten aussterben, ohne dass wir je von ihrer Existenz gewusst haben. Aber zumindest von den uns bekannten Spezies ist noch keine einer Naturkatastrophe gänzlich zum Opfer gefallen.
Mal angenommen, eine Insel, die den alleinigen Lebensraum für eine Spezies bildet, wird völlig zerstört. Wenn wir die Tiere dort retten könnten, wo würden wir sie überhaupt hinbringen? Ein benachbartes Eiland ist ja keine Option, die Ökosysteme sind doch viel zu empfindlich, um die Arten dort einfach zu vermischen.
Rosemary: Das kommt darauf an, um welche Tiere es geht und wie geschädigt ihr ursprünglicher Lebensraum ist. Es gab in der Vergangenheit bereits Eulen, die durch die „Galápagos National Parks Authority“ eingefangen und in Sicherheit gebracht worden sind, als sie in ihrem Zuhause durch Naturkatastrophen bedroht wurden. Als die Gefahr vorbei war, konnten die Eulen aber wieder in ihrem alten Lebensraum freigelassen werden.
Peter: Die Behörde des Nationalparks ist aber strikt dagegen, dass Tiere von einer Insel auf eine andere transportiert werden. Werden sie anderswo ausgesetzt, paaren sie sich nämlich schnell mit Artverwandten und sorgen dafür, dass sich die individuellen Spezies untereinander vermischen. So eine Umsiedlung von Tieren auf eine andere Insel wäre die absolut letzte Option. Bis jetzt war so etwas aber auch noch nie notwendig.
Wenn es irgendwann aber passieren sollte, dass die Heimat einer seltenen Spezies entweder durch die Natur oder durch uns Menschen zerstört wird, was wäre zu tun? Dann blieben doch nur noch künstliche Lebensräume, die wir selbst errichten müssen. Also Gehege.
Peter: Das ist ein schwieriges Thema, nicht nur ethisch, sondern auch juristisch. Und die Entscheidung würde am Ende bei der Regierung Ecuadors liegen. Zu ihr gehören ja die Galápagos-Inseln. Tatsächlich hatte Neuseeland mal ein Problem auf einer Insel, als dort die Population von heimischen Vögeln immer weiter gesunken ist. Die Tiere kamen dann in Gefangenschaft auf eine andere Insel, damit sie sich dort in einer Brutstation vermehren konnten. Als das geklappt hat, konnten die Vögel aber zu ihrem ursprünglichen Lebensraum zurückkehren, statt in dem neuen Gehege bleiben zu müssen.
Rosemary: Auf den Galápagos-Inseln haben Forschende auf diese Weise auch Schildkröten gerettet. Aber auch da ging es nicht um Umsiedlung, sondern darum, die Population zu stärken. Die Tiere kamen aus ihrer Heimat, der Insel Española auf das nahegelegene Eiland Santa Cruz und blieben dort die ganze Zeit in Gefangenschaft in der Forschungsstation, bis sie sich ausreichend vermehrt hatten. Danach ging es direkt nach Hause. Aber Naturkatastrophen und Vulkane sind in dieser Region selten schuld daran, dass es einer Tierart schlecht geht.
Was sind dann die größten Bedrohungen für das Leben auf den Galápagos-Inseln?
Rosemary: Wie in den meisten anderen Fällen auch, wo die Natur zu kämpfen hat, sind wir das Problem. Es fängt an mit dem Klimawandel: Der steigende Meeresspiegel wirkt sich auf die Inseln aus und auch das Korallensterben ist in den letzten Jahren immer stärker zu sehen. Aber gerade hier macht der Mensch diesen einzigartigen Ökosystemen vor allem auf eine andere Art zu schaffen. Nämlich durch das Einschleppen von Lebewesen, die sich in Schiffen und Importlieferungen verstecken.
Peter: Genau. Das können zum Beispiel Ratten sein, die heimische Tiere fressen, kleinere Parasiten oder auch Erreger wie Malaria oder Grippeviren. Die Vögel etwa kämpfen zum Beispiel mit einer parasitären Fliegenart, eingeschleppt vom südamerikanischen Festland. Sie legt ihre Eier auf denen der Vögel ab. Die Larven schlüpfen dann gleichzeitig mit den Küken und kriechen den Jungvögeln in die Nasenlöcher, um sie von innen aufzufressen. Die Vögel sterben entweder direkt daran, oder sie sind danach so geschwächt, dass sie nicht lange überleben.
Die Art der Berichterstattung zu dem Vulkanausbruch war eher negativ, weil sich Menschen Sorgen um die seltenen Tierarten machen, die auf Fernandina leben. Können Sie mir abschließend sagen, ob dieses ganze Ereignis auch seine guten Seiten hat?
Rosemary: Ja, natürlich bewirken die Ausbrüche auch viel Positives! Die komplette Region ist vulkanischen Ursprungs. Man kann quasi sagen: Gäbe es keine Vulkanausbrüche, dann gäbe es auch keine Galápagos-Inseln. Durch Eruptionen und austretendes Magma verändert sich die ganze Gegend immer wieder. Und wächst weiter. Das ist so wie auf Island. Dort gab es zuletzt im November und Dezember viele Ausbrüche, durch die auch dort die Insel langsam weiterwächst. Natürlich werden dort Städte und Häuser zerstört, was traurig ist. Und auf Galápagos sterben Lebewesen, die sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen können. Aber auch für sie ist das nichts Neues. Die Tiere, die hier leben, haben schon immer Vulkanausbrüche mitbekommen. Das ist einfach ein Teil ihrer Welt.
