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Tierproduktion Ende des Kükentötens: Was passiert jetzt mit den "Bruderhähnen"?

Küken in Mastanlage
Rund zwei Drittel der männlichen "Bruderhähne" werden in Deutschland jetzt aufgezogen – und nach drei Monaten geschlachtet
© A / Adobe Stock
Seit Anfang des Jahres ist es verboten, männliche Küken zu töten, nur weil sie keine Eier legen und zu wenig Fleisch ansetzen. Die Geschichte einer wunderbaren Rettung?

Statistisch verdrückt jede*r Deutsche 239 Eier pro Jahr – als Frühstücksei, aber zum Beispiel auch als Bestandteil von Eiernudeln oder vegetarischem Fleischersatz. Das kostete bislang jährlich mehr als 45 Millionen männliche Küken das Leben. Der Grund: Bei Hühnerrassen, die von Züchtern auf "Legeleistung" optimiert wurden, sind die männlichen Tiere wertlos. Nicht nur, weil sie keine Eier legen. Sie bilden – aus Sicht der Geflügelwirtschaft – zu wenig und zu langsam Muskelmasse. Nachdem sie das Licht der Brüterei erblickt hatten, landeten die männlichen Küken bislang in der Kohlendioxid-Gondel oder im Schredder.

Nachdem Bundeslandwirtschaftsminister*innen Jahr um Jahr das Ende des grausamen Massentötens in Aussicht gestellt hatten, gilt das Verbot des Kükentötens nun seit Jahresbeginn. Tiere aus rein wirtschaftlichen Interessen zu töten, das hatte das Bundesverwaltungsgericht 2019 festgestellt, ist nicht zulässig.

Meilenstein für den Tierschutz?

Doch was passiert nun mit den männlichen Küken, die bislang "entsorgt" wurden? Nachfrage bei Henner Schönecke, dem Vorsitzenden des Bundesverbands Ei: "Für die Brütereien gibt es jetzt die Möglichkeit, entweder die Hähne mit aufzuziehen oder eine Geschlechtsbestimmung im Ei vorzunehmen", sagt Schönecke, der selbst einen Geflügelhof im niedersächsischen Neu Wulmstorf betreibt.

Schätzungen zufolge werden nun etwa zwei Drittel der männlichen Küken – die sogenannten Bruderhähne – mit aufgezogen. Allerdings mit wirtschaftlichen Nachteilen. Denn die männlichen Tiere aus der Legehennenproduktion brauchen bis zur Schlachtreife fast dreimal so lange wie die auf maximalen Fleischansatz optimierten Masthähnchen.

Die Geschlechtsbestimmung vor dem Schlüpfen, von Ex-Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner als Ausweg aus dem moralischen Dilemma in Aussicht gestellt, wird dagegen kaum praktiziert. "Das macht nur eine einzige Brüterei in Deutschland", sagt Schönecke.

Der Verbandschef befürchtet nicht nur, dass "eine ganze Menge" der insgesamt 22 Brütereien in Deutschland aufgeben werden. Er prognostiziert auch, dass für die Lebensmittelproduktion vermehrt Eier aus dem Ausland importiert werden – Kükentöten inklusive. Immerhin entfällt rund die Hälfte des Eierverbrauchs in Deutschland auf Produkte wie Nudeln oder Backwaren, die Eier enthalten. Eine Kennzeichnungspflicht gibt es nicht.

Eine dritte Möglichkeit: die männlichen Küken über die Grenze ins EU-Ausland transportieren, um sie dort töten zu lassen. Verboten wäre das nicht, sagt Schönecke. Es sei allerdings nicht im Sinne des Gesetzgebers. "Unser Verband würde das verurteilen."

Millionen ungewollte "Bruderhähne"

Tierschützer treiben derweil noch andere Sorgen um. Denn es gibt momentan keine gesetzlichen Regelungen zur Aufzucht, Haltung und Schlachtung von Bruderhähnen. "Teilweise werden die Tiere ins Ausland verbracht oder in älteren Ställen für Masthühner oder auch Wassergeflügel wie Gänse oder Enten gehalten – unter Bedingungen, die für die agilen und lebhaften Bruderhähne nicht geeignet sind", beklagt Annika Lange, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund.

Zudem seien die Schlachtkapazitäten in Deutschland begrenzt. Denn die Bruderhähne können aufgrund ihres schmaleren Körperbaus nicht in typischen Masthuhn-Schlachthöfen geschlachtet und zerlegt werden, sagt Lange. "Auch hier droht also der massenhafte Export ins Ausland."

Auch die Geschlechtsbestimmung im Ei sieht die Tierschützerin kritisch. Derzeit stehen nämlich nur Verfahren zur Verfügung, die eine Bestimmung nach dem siebten Bebrütungstag ermöglichen. Und dass der Embryo in diesem Entwicklungsstadium Schmerzen empfindet, ist nicht auszuschließen.

"Hochleistungszucht muss hinterfragt werden"

Aus Sicht des Tierschutzbundes ist darum weder die Aufzucht der Bruderhähne noch die Geschlechtsbestimmung im Ei eine tierschutzgerechte Lösung. Das System der Hochleistungszucht müsse kritisch hinterfragt werden, sagt Annika Lange. Es brauche ein Umdenken: "Weg von den auf Eier- oder Fleischproduktion spezialisierten Linien mit immer extremeren Leistungen auf Kosten der Tiere, hin zu robusteren Zweinutzungsrassen, die zwar gemäßigtere Leistungen bringen, aber sowohl für die Eierproduktion als auch zur Mast geeignet sind."

Die Geschichte einer wunderbaren Rettung ist das Verbot des Kükentötens also eher nicht. "Nur eine vegane Lebensweise kann langfristig die industrielle Ausbeutung von Tieren verhindern", so das nüchterne Resümee von Peta.

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