Auf dem Lebenshof von Marion Diekel in Osthessen haben Kühe ein ziemlich ungewöhnliches Leben: Sie müssen nichts machen. Nur hin und wieder kommen Menschen zu ihnen auf die Weide und wollen sie kraulen. Warum, erzählt die Reittherapeutin und in tiergestützer Therapie ausgebildete Sozialpädagogin im GEO.de-Interview.
GEO.de: Von Therapien mit Delfinen oder Pferden haben wir ja schon gehört, von Kühen noch nicht. Warum Kühe?
Marion Diekel: Kühe sind sehr soziale Wesen. Sie strahlen – normalerweise – eine große Ruhe aus. Sie haben große, schöne Augen, und viele Kühe sind richtig hübsch. Wenn sie so daliegen und wiederkäuen, dann kann man sich gleich danebenlegen und einschlafen. Sie sind ganz entspannt im Hier und Jetzt.
Wie sieht denn so eine Mensch-Tier-Begegnung konkret aus?
Ich zeige meinen Klienten zuerst, wie man Kontakt aufnimmt. Die meisten Menschen fassen gleich ins Gesicht, egal ob Pferd oder Kuh. Einfach mal die Hand unter die Nase halten und das Tier von sich aus Kontakt aufnehmen lassen. Man merkt dann schnell, ob das Tier überhaupt in Kontakt gehen will oder nicht. Ich zeige den Menschen, wo sie sicher stehen können, wo sie massieren oder bürsten können. Es ist eine natürliche Begegnung zwischen zwei Lebewesen. Kühe wollen richtig fest gekrault werden. Man kann Kraft aufwenden, sich gegen sie lehnen oder um sie herumgehen. Viele sind fast schockiert darüber, wie die Kühe das genießen. Und ich passe auf, was die anderen Tiere machen. Wir arbeiten nämlich nur mit freien, nicht angebundenen Tieren. Das kann auch mal in der Scheune oder im Stall sein bei schlechtem Wetter, oder wenn die Kuh sich da gerade aufhält.

Und was passiert dabei?
Die Forschung geht davon aus, dass beim Kontakt mit Tieren, wenn man sie streichelt, massiert oder bürstet, Oxytocin ausgeschüttet wird, das sogenannte Wohlfühlhormon. Das ist, glaube ich, bei einer Kuh leichter und schneller zu erreichen als bei einem Pferd. Denn Kühe zeigen ganz deutlich, was ihnen gefällt. Wenn man zum Beispiel am Hals kratzt, dann recken sie den Kopf nach vorne, schütteln oder senken ihn und fangen vor Vergnügen an zu zucken. Sie zeigen ganz deutlich, was der Mensch dem Tier gibt. Und dadurch erlebt der Mensch das, was Psychologen Selbstwirksamkeit nennen. Im Idealfall ist die Interaktion zwischen Mensch und Tier so intensiv, dass ich gewissermaßen gar nicht mehr dabei bin. Die beiden sind dann wie in einer Blase.
Für welche Menschen sind Kühe als „Therapeuten“ denn besonders geeignet?
Vor allem für Menschen mit psycho-sozialen Problemen wie einer Sozialphobie oder mit Kommunikationsproblemen. Ich arbeite zum Beispiel regelmäßig mit einer Autistin zusammen. Meine beiden Kolleginnen arbeiten im ambulant betreuten Wohnen und kommen mit ihren Klienten hierher. Da gibt es welche, die brechen in Tränen aus, wenn eine Kuh ihnen die Hand abschleckt. Da passiert was, definitiv.
Warum arbeiten nicht mehr Therapeuten mit Kühen?
Kühe gelten in erster Linie als Nutztiere, also Fleisch- und Milchproduzenten. Das bringt alle möglichen gesetzlichen Vorschriften mit sich, von der Betriebsnummer über die Ohrmarke, bis zur jährlichen Blutabnahme. Aus diesem System kommt man auch als Betreiberin eines Lebenshofs oder Therapeutin nicht heraus. Und ich denke, das hält immer noch viele davon ab, mit Kühen zu arbeiten.