GEO.de: Sie haben über einen Zeitraum von acht Jahren Tieren aufgelauert, die andere beim Spazierengehen lieber nicht treffen wollen. Wie ging es Ihnen damit?
Axel Gomille: Die durchschnittliche Wolfsbegegnung sah für mich so aus, dass ich bei schlechtem Licht in 300 Meter Entfernung für ein paar Sekunden kurz einen Wolf über den Weg rennen sah. Und dafür musste ich auch oft viele Tage ansitzen. Wölfe sind extrem scheu und vorsichtig, und ich habe bei über 200 Begegnungen keine einzige brenzlige Situation erlebt. Sobald sie mitbekommen haben, dass ich da war, waren sie weg.
Gab es etwas, das Sie bei diesen Begegnungen besonders berührt hat?
Für mich als Zoologen ist eine Begegnung mit einem solchen Wildtier immer ein Glücksmoment. Ein ganz besonderes Erlebnis hatte ich, als ich einmal wieder auf einem Ansitz saß und wartete: Plötzlich fing irgendwo vor mir ein Wolf an zu heulen. Ein weiterer, neben mir, stimmte ein, und schließlich kam noch ein dritter dazu, der sich irgendwo hinter mir befand. Ich saß also mitten unter ihnen, ohne auch nur einen von ihnen zu sehen.

Vor allem Umweltverbände begrüßen die Rückkehr des Wolfs. Was ist eigentlich gut daran?
Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen könnte der Wolf einen Teil der ökologischen Rolle wieder übernehmen, die er einmal ausgeübt hat – nämlich als Raubtier, das auch große Huftiere reißen kann. Wir könnten uns also wieder ein kleines Stück in Richtung des Urzustandes einer natürlichen Regulation von Räubern und Beutetieren annähern. Was in der Praxis allerdings kaum möglich ist. Wir haben heute in Deutschland mehrere Millionen wildlebender Huftiere, die wenigen hundert Wölfen gegenüberstehen. Der andere Punkt ist, dass der Wolf einen hohen Symbolwert hat. In Deutschland gehört er zu den seltensten Säugetieren überhaupt. Und genießt darum zu Recht den höchsten Schutzstatus.
Man hört gelegentlich die Kritik, die Befürworter des Wolfs seien Großstädter mit einer romantischen Vorstellung von „Natur“. Ist da was dran?
Es stimmt schon: Manche Städter haben ein verklärtes Bild vom Wolf. Für die ist er das Symbol der Wildnis, und wenn er zurückkehrt, dann kehrt auch die Wildnis zurück. Aber so einfach ist es nicht. Der Wolf braucht nämlich keine Wildnis. Ich habe schon Wölfe in Kiesgruben beobachtet. Oder in Tagebauen. Besonders wohl fühlen sie sich ja auch in militärischen Sperrgebieten, in denen auch mal scharf geschossen wird. Das zeigt, dass die Wölfe sehr wohl in unseren Kultur- und Industrielandschaften zurechtkommen, solange sie geeignete Rückzugsgebiete und genug Beutetiere haben.
Zurzeit gibt es 60 Rudel in Deutschland, die aus durchschnittlich acht Tieren bestehen. Die Population wächst um rund ein Viertel jährlich. Brauchen wir eine Diskussion um eine Obergrenze?
Nein. Laut einer Studie, die das Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben hat, gibt es theoretisch Lebensräume für 440 Wolfsrudel in Deutschland. Das zeigt: Viele Bereiche, die für die Wölfe geeignet wären, sind noch nicht wieder besiedelt. Da ist noch viel Luft nach oben.
Trotz aller Freude: Was ist mit den Geschädigten, vor allem Viehhaltern?
Wölfe sind aus Polen wieder nach Deutschland eingewandert, und die Gesetzeslage ist klar – die Tiere sind bei uns strengstens geschützt. Insofern müssen wir Wege des Miteinanders finden. Das bedeutet aber auch, dass wir die, die betroffen sind, nicht alleinlassen. Darum gibt es verschiedene Förderprogramme für Herdenschutz, also zum Beispiel Schutzzäune und Herdenschutzhunde.
Und das reicht?
Ich habe bei meinen Recherchen viel mit einem Schäfer aus der Lausitz gesprochen, der in Deutschland die ersten Angriffe überhaupt von Wölfen hatte. Er hat damals zunächst höhere Elektrozäune errichtet und sich einen Herdenschutzhund angeschafft. Das half zunächst, doch nach einer Weile gab es weitere Angriffe, er verlor insgesamt 38 Schafe. Erst als er sich einen zweiten Herdenschutzhund zugelegt hatte, war Ruhe. Offenbar war den Wölfen klargeworden, dass sich Angriffe nicht mehr lohnen. Also jagten sie wieder Rehe und Wildschweine. Aus der Sicht dieses Schäfers ist es sogar wichtig, erfahrene Wölfe in der Gegend zu haben – weil die Tiere territorial sind, halten sie fremde Artgenossen aus ihrem Revier und damit auch von den Herden fern. In jedem Fall muss das Ziel sein, möglichst wenige Vorfälle zu haben. Tierhalter müssen also ihre Tiere schützen – und sie müssen eine Förderung bekommen, um diesen Schutz zu gewährleisten. Prävention ist das Zauberwort.
Werden Wölfe in Deutschland irgendwann normal sein?
Die Zeit arbeitet für sie. Viele Menschen sind verunsichert und haben irrationale Ängste. Aber die Leute werden die Erfahrung machen, dass Wölfe für sie selbst kein Problem darstellen. Man kann auch weiterhin, ohne Angst haben zu müssen, im Wald Pilze suchen, man kann joggen und mit Kindern spazieren gehen, denn die Wölfe werden verschwinden – selbst wird man sie nur ganz selten zu Gesicht bekommen. Der Wolf ist weder eine reißende Bestie noch ein Kuscheltier. Sondern ein völlig normales Wildtier, das zu unserer Fauna gehört.
Wenn wir von Indien verlangen, dass es Tiger schützt, wenn wir von Tansania verlangen, dass es Löwen schützt, dann müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Und Wölfe sind deutlich weniger konfliktträchtig als Tiger und Löwen.