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Paläontologie Das Rätsel um das "Tully-Monster" ist gelöst

Die Rekonstruktion zeigt, wie Tully ausgesehen haben könnte
Die Rekonstruktion zeigt, wie Tully ausgesehen haben könnte
© mauritius images / Dotted zebra / Alamy / Alamy Stock Photos
War es ein Fisch? Oder eher ein Wurm? Lange rätselten Forschende, ob es sich bei den 300 Millionen Jahre alten Fossilien des sogenannten Tully-Monsters um ein Wirbeltier oder um einen Wirbellosen handelt. Ein japanisches Forschungsteam glaubt nun, den Fall gelöst zu haben

Während uns die Dinosaurier noch einigermaßen vertraut erscheinen, bevölkerten vor 300 Millionen Jahren Lebewesen die Erde, die uns heute wie Kreaturen von anderen Planeten erscheinen. Das "Tully-Monster" ist so eines.

Entdeckt im Jahr 1966 in den Sedimenten des Mazon Creek in Illinois, USA, gaben die versteinerten Überreste von Anfang an Rätsel auf. Die im Durchschnitt nur wenig mehr als 30 Zentimeter langen Fossilien ließen keinen Schluss darauf zu, ob es sich bei dem Wesen um ein Wirbeltier oder um ein wirbelloses Lebewesen handelte. War es eine Art Fisch, eine Art Wurm – oder etwas ganz anderes?

Die Anatomie des Wesens mit seiner Schwanzflosse, dem spindelförmigen Körper, Augen, die am Ende von unpraktisch lang und fragil scheinenden Fortsätzen sitzen, vor allem aber der teleskopartige Fortsatz des Kopfes mit dem zähnestarrenden Maul gaben den Paläontologinnen und Paläontologen Rätsel auf.

Studien kamen in den vergangenen Jahren zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die einen rückten Tullimonstrum gregarium in die Verwandtschaft der heute lebenden, kieferlosen Rundmäuler, zu denen auch die Neunaugen gehören. Andere sahen in dem Wesen eher eine bislang unbekannte Spezies aus der Gruppe der Wirbellosen. Zu denen werden heute beispielsweise Schnecken, Würmer, Insekten und Quallen gerechnet.

Nun glaubt ein japanisches Forschungsteam, den Fall entschieden zu haben – und schlägt das Tully-Monster den Wirbellosen zu. Für ihre im Fachmagazin Palaeontology erschienene Studie nahmen die Forschenden insgesamt 153 Fossilien des Tieres unter die Lupe. Genauer gesagt, unter den 3D-Laserscanner. Zusätzlich unterzogen die Forschenden den Proboscis, den teleskopartigen Fortsatz mit dem Maul, einer Röntgen-Mikrotomografie. Die Auswertung zeigte: Dem Körperbau des Wesens fehlen genau jene Merkmale, die eine Klassifizierung als Wirbeltier erlaubt hätten.

"Wirbeltier-Hypothese unhaltbar"

"Aufgrund verschiedener Beweislinien ist die Wirbeltier-Hypothese unhaltbar", sagt Erstautor Tomoyuki Mikami von der Universität Tokyo in einer Pressemitteilung. Demnach spricht etwa der Aufbau der Zähne gegen die Zuordnung zu den Wirbeltieren. Zudem sei die Anatomie des Kopfes mit keinem heute bekannten Wirbeltier vergleichbar.

Ganz gelöst ist das Rätsel damit jedoch noch nicht. Denn zum einen gibt es aus der Fachwelt noch Zweifel an der neuen Beweislage. So gibt die Paläontologin Victoria McCoy im Magazin Livescience zu bedenken: Die Morphologie der lebenden Tiere könne sich während des Versteinerungsprozesses stark verändert haben. McCoy hatte in einer Studie aus dem Jahr 2020 nachgewiesen, dass die Haut der Tully-Monster – wie bei anderen Wirbeltieren auch – aus Proteinen aufgebaut war.

Doch selbst vorausgesetzt, die Klassifizierung des japanischen Forschungsteams ist zutreffend: Weiterhin unklar ist, zu welcher Tiergruppe das Tully-Monster gehört. In weiteren Untersuchungen muss nun geklärt werden, ob das Wesen zu den wirbellosen Chordatieren gerechnet werden kann – dazu zählt etwa auch das Lanzettfischchen –, oder zu den sogenannten Urmündern. Zu denen werden so unterschiedliche Tiere wie Würmer, Insekten und Schnecken gezählt.

Fest steht: Wo auch immer die Forschung das Tully-Monster schlussendlich einsortiert: Es bleibt in seiner Fremd- und Einzigartigkeit faszinierend.

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