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Klimawandel Verbreitungsgebiet seltener Pflanzenarten in den Alpen schrumpft

Das Sommer-Adonisröschen gehört in den Alpen zu den Verlierern des Klimawandels
Das Sommer-Adonisröschen gehört in den Alpen zu den Verlierern des Klimawandels
© Hawi / Adobe Stock
Bislang blicken viele Naturschützer mit Sorge auf die Entwicklung der Pflanzenarten im Hochgebirge. Doch die in unteren Gebirgsregionen sind von mehr Faktoren bedroht

Das Verbreitungsgebiet seltener Pflanzenarten in den Alpen schrumpft schneller als das weit verbreiteter Arten. Vor allem in tieferliegenden Gebieten konkurrieren seltene und teilweise gefährdete Arten zunehmend mit gebietsfremden Pflanzen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Untersuchung italienischer Forscher, die auf Daten von 1479 Pflanzen und ihre Verbreitung im Zeitraum 1990 bis 2019 zurückgreifen konnte.

In tieferen Gebieten sei der Lebensraum der Pflanzen zudem stärker vom Menschen beeinträchtigt als in Höhenlagen, schreibt das Team um Costanza Geppert und Lorenzo Marini von der Universität Padua (Italien) ist im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS).

"Unser langfristiger, hochauflösender Datensatz ermöglichte es uns, eine große Anzahl einheimischer Arten, darunter auch seltene einheimische Arten, und gebietsfremde Arten zu berücksichtigen", schreiben die Wissenschaftler. Die verwendete Datenbank enthält mehr als ein Million Einträge von Pflanzen, die während 30 Jahren in einer Höhe von 61 bis 3456 Metern über dem Meeresspiegel bestimmt worden sind. Als "seltene Arten" bezeichnen die Studienautoren diejenigen, die in der regionalen Roten Liste als "potenziell gefährdet", "gefährdet", "stark gefährdet" und "vom Aussterben bedroht" aufgeführt sind. "Gebietsfremde Arten" sind nach dem Jahr 1500 von Menschen eingeführt worden.

Geppert, Marini und Kollegen teilten die 1479 analysierten Pflanzenarten aus der autonomen Provinz Trient im Nordosten Italiens in die Kategorien "häufig" (1507 Arten), "seltene Arten" (604) und "gebietsfremd" (134) ein. Die Temperaturzunahme von 1981 bis 2010 (0,75 Grad Celsius) in der Region führt zu der Erwartung, dass das Verbreitungsgebiet einer Pflanze im jährlichen Durchschnitt vier Meter bergauf wandert. Denn die mittlere Temperatur auf einer bestimmten Höhe ist ein wichtiger Faktor für die Frage, ob eine Pflanze dort gedeihen kann. Üblicherweise nimmt die Jahresdurchschnittstemperatur mit jedem Höhenmeter ab.

"Gebietsfremde" Arten im Vorteil

Bei den häufigen Arten, beispielsweise dem Weißklee (Trifolium repens), verschob sich die untere Grenze des Verbreitungsgebiets im Jahresdurchschnitt um 2,9 Meter, die obere Grenze jedoch nur um 2,2 Meter. Nach Höhenmetern schrumpfte das Verbreitungsgebiet also etwas. Drastischer sah es bei den (potenziell) gefährdeten Arten aus, beispielsweise beim Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis): Die untere Grenze stieg bei ihnen im Schnitt um mehr als vier Meter an, während sich die obere Grenze um nicht einmal einen halben Meter erhöhte. Diese Arten haben also ein deutlich größeres Stück ihres Verbreitungsgebietes eingebüßt als die häufig vorkommenden.

Vorteilhafter ist die Entwicklung für die gebietsfremden Arten, beispielsweise die Wilde Sorghumhirse (Sorghum halepense). Diese Arten verbreiteten sich der Studie zufolge im Schnitt mehr als vier Meter pro Jahr die Berge hinauf, während sich die untere Grenze des Verbreitungsgebietes kaum veränderte. Dabei sind sowohl die gefährdeten Arten als auch die gebietsfremden Arten überwiegend an ein warmes Klima angepasst, die gefährdeten Arten teilweise auch an ein mittelwarmes Klima. Doch die gebietsfremden Arten haben einige Wettbewerbsvorteile, beispielsweise eine hohe relative Wachstumsrate.

Die Studienautoren plädieren unter anderem dafür, die Schutzstrategie für gefährdete und für endemische Arten, die also nur in einem begrenzten Gebiet vorkommen, zu ändern und den Blick von hohen auf tiefere Gebiete in den Alpen zu richten. "Auch wenn endemische Hochgebirgspflanzen in Zukunft zunehmend durch die Klimaerwärmung bedroht sein könnten, scheinen die meisten von ihnen nicht unmittelbar gefährdet zu sein, und daher sollten wir das Tiefland priorisieren, um dringendere Schutzmaßnahmen umzusetzen", schreiben die Forscher. In tieferen Gebieten seien einheimische Pflanzen nicht nur dem Klimawandel ausgesetzt sondern auch stärker als im Hochland eingewanderten Arten und zudem der Lebensraumzerstörung durch den Menschen.

Stefan Parsch, dpa

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