Extremwetter Starkregen in Deutschland: Welche Regionen er besonders bedroht

Der Ort Dernau wurde 2021 beinahe komplett von den Wassermassen der Ahr geflutet. Neue Modelle sollen solche Ereignisse künftig besser vorhersagen
Der Ort Dernau wurde 2021 beinahe komplett von den Wassermassen der Ahr geflutet. Neue Modelle sollen solche Ereignisse künftig besser vorhersagen
© dpa picture alliance
Starkregen und Hochwasser bedrohen manche Regionen stärker als andere. Neue Frühwarnsysteme in Risikogebieten sollen helfen, eine bevorstehende Flutwelle zu simulieren und Katastrophen wie jene im Ahrtal künftig zu verhindern

Dass Starkregenereignisse im Zuge des Klimawandels in Deutschland zunehmend zu einer Gefahr werden, hat spätestens die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren gezeigt: Innerhalb weniger Tage fielen im Juli 2021 in der Region um die Flüsse Ahr und Erft mehr als 90 Liter Regen pro Quadratmeter - so viel wie nie zuvor. 180 Menschen starben deutschlandweit in den Fluten, 230 in Europa. Der finanzielle Schaden: 40 Milliarden Euro.

Aber: Sind alle Regionen Deutschlands und Europas gleichermaßen von Starkregen betroffen? Was lief bei der Vorhersage der Katastrophe im Ahrtal schief - und ist sie mehr als zwei Jahre nach der Flut besser geworden? Darüber diskutierten Experten auf dem Extremwetterkongress in Hamburg.

Lange Zeit wurde der Niederschlag in Deutschland stationär gemessen, also punktuell an einzelnen Messstationen erfasst. Seit 2001 misst ein Radarnetz den Niederschlag auch flächendeckend – verlässliche Aussagen, die weiter als zwei Jahrzehnte zurückreichen, gibt es daher nicht. Möglicherweise wurden deshalb in der Vergangenheit nicht alle Starkniederschläge erfasst: "Wenn ich mir kürzere und kleinräumige Starkniederschlagsereignisse anschaue, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich sie mit den Stationsnetzen verpasse", sagte Frank Kaspar vom Deutschen Wetterdienst.

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Betrachtet man die Niederschläge der letzten 50 Jahre - in denen sich der Klimawandel am stärksten vollzogen hat - zeigt sich daher im Gegensatz zur Temperatur noch keine eindeutige Veränderung der Niederschläge über das ganze Jahr. Aber: Regional gibt es große Unterschiede. "Im Norden Europas sehen wir eine Zunahme der Niederschläge, im Süden eine Abnahme", sagte Kaspar. Vor allem im Winter gebe es im Mittelmeerraum einen starken Rückgang der Niederschläge.

Ganz anders stellt sich die Situation im Süden Deutschlands dar. "In Süddeutschland haben wir eine signifikante Zunahme von Starkregenereignissen", sagte Kaspar vom Deutschen Wetterdienst. "Das muss man in Deutschland aber differenziert betrachten." Während im Nordwesten eher eine leichte Abnahme von Starkregenereignissen zu verzeichnen ist, sind auch der Osten und die Mitte Deutschlands zunehmend betroffen. Vor allem im Süden und im Nordosten nimmt sowohl die Zahl der Extremwetterereignisse als auch die betroffene Fläche statistisch signifikant zu - auch wenn die Datenreihe seit 2001 noch zu kurz ist, um den Trend eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen.

Neue Modelle simulieren, welche Gebiete überflutet werden

Starkregenfälle nehmen in vielen Regionen also zu – im Extremfall ist mit Hochwasser zu rechnen. Derzeit machen 13 Hochwasserzentralen in Deutschland pegelbasierte Vorhersagen; messen also, wie hoch der Wasserstand an einem bestimmten Punkt ist. Meteorologische und hydrologische Vorhersagen prognostizierten auch vor dem Ahrtalhochwasser ein Extremereignis, warnten vor hohen Niederschlagsmengen, Pegelständen und Abflussmengen des Flusses.

Warum traf das Hochwasser viele Menschen dennoch so unerwartet? Weil es für viele schwer vorstellbar ist, was ein bestimmter Pegelstand des Flusses für einen Ort zehn oder zwanzig Kilometer flussabwärts bedeutet, sagte Sergiy Vorogushyn vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam: "Im Ahrtal wurde ein Wasserstand zwischen fünf und sechs Metern vorhergesagt. Das in die Fläche zu übertragen, ist aber schwierig." Zum einen sind in den Hochwassergefahrenkarten nicht alle historischen Hochwasser berücksichtigt und sehen vergleichsweise harmlos aus. "Zum anderen war das Ereignis im Ahrtal größer als je zuvor instrumentell gemessen - das sprengt unsere Vorstellungskraft", sagte Vorogushyn.

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Damit sich Katastrophen wie im Ahrtal nicht wiederholen, hat das Geoforschungszentrum Potsdam ein Modell entwickelt, das Hochwasser an verschiedenen Orten präzise vorhersagt. Frühwarnsysteme haben sich technologisch inzwischen so weiterentwickelt werden, dass sie komplexe Berechnungen in wenigen Minuten durchführen können. "Die Berechnung einer Hochwasserwelle von 15 Stunden dauert heute nur noch fünf Minuten bis eine halbe Stunde", sagte Vorogushyn.

So kann zum Beispiel mit der hydrologischen Vorhersage für die obere Ahr ein Modell für die Überflutung flussabwärts berechnet werden: In der Simulation wälzt sich die Hochwasserwelle durch die Straßen, breitet sich zwischen den Häusern aus, zeigt, wie hoch das Wasser dort steht. "So wird greifbarer, welche Gebiete tatsächlich vom Hochwasser betroffen sind", sagte Vorogushyn. "Ich gehe davon aus, dass man andere Entscheidungen trifft, wenn man solche Bilder sieht, als wenn man nur eine Textwarnung bekommt." Gleichzeitig lassen sich die Schäden abschätzen und die Größe der benötigten Hilfsfonds berechnen.

ftk