Der Rhein ist ein gigantischer Strom. Sein Quellgebiet liegt überwiegend im Schweizer Kanton Graubünden, von dort aus fließen die Wassermassen durch Frankreich, Westdeutschland und die Niederlande, bevor sie – in breit gefächerten Flussarmen – in die Nordsee münden.
Derzeit ist der Rhein aber vor allem eines: flach. An vielen Stellen inmitten des Flusses reicht das Wasser nicht einmal mehr bis zur Hüfte. Weil es wochenlang kaum geregnet hat, fallen ganze Uferzonen trocken, ragen neue Inseln aus dem Wasser. Das hat teilweise gravierende Folgen für die Wasserqualität und Ökosysteme des Flusses, vor allem aber für die Schifffahrt. Ähnlich sieht es in der Elbe, Donau oder Weser aus.
Zwar gibt es in Deutschland keine behördliche Regelung, die es bei einem bestimmten Pegelstand verbietet, Flüsse mit dem Schiff zu befahren. An vielen Stellen werden jedoch derzeit Wasserstände gemessen, die eine Durchfahrt für gängige Schiffstypen schlichtweg unmöglich machen, weil ihr Rumpf aufsetzen würde. Am Mittelrhein, der flachsten Stelle als Bundeswasserstraße genutzten Rheins, ist dieser Grenzwert fast erreicht. Am Pegel Kaub bei Koblenz wurde ein Wasserstand von 45 Zentimeter gemessen, bei 40 ist für die meisten Schiffe Schluss, denn dann ist die Fahrrinne nur noch knappe anderthalb Meter tief.
Austrocknender Rhein: Deutschlands längster Fluss schrumpft

Dabei fahren die meisten ohnehin bereits mit einem Bruchteil ihrer Ladung. Transportschiffe, die normalerweise 2200 Tonnen Steinsalz geladen haben, seien in den ersten Augusttagen nur noch mit 900 Tonnen an ihren Zielhäfen angekommen, erzählt Christian Lorenz, Pressesprecher der Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK). "Jetzt sind es nur noch knapp 600 Tonnen."
Der Transport solcher Massen lässt sich derzeit kaum auf die Straße oder die Schiene verlagern – nicht umsonst gilt der über 1200 Kilometer lange Rhein als eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt. Also treibt die geringe Ladekapazität der Binnenschiffe die Transportpreise in die Höhe und lässt Lieferketten stocken. So warnte der Energiekonzern Uniper bereits vor Tagen, er müsse die Stromproduktion des hessischen Kraftwerks Staudinger 5 möglicherweise drosseln, weil der Kohlenachschub gefährdet sei.
Die einzelnen Pegel werden in der Karte als Punkte dargestellt. Deren Farbe zeigt an, ob der Wasserstand im niedrigen (orange), mittleren (grün) oder hohen (blau) Bereich liegt. Die Karte wird bereitgestellt von "Pegelonline", dem gewässerkundlichen Informationssystem der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes
Wie sich das auf Industrie und Verbraucherpreise auswirken könnte, ist derzeit schwer abzusehen. Als Referenzwert gilt das historische Niedrigwasser von 2018: Schon damals war die Industrieproduktion in der Spitze um mehr als ein Prozent gedrückt worden, heute kommt die ohnehin angespannte Lieferketten- und Energiesituation hinzu. Im Oktober 2018 war an der Koblenzer Engstelle Kaub ein Wasserstand von nur 25 Zentimetern gemessen worden.
Laut der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) könnte der dortige Pegelstand bereits zu Beginn der kommenden Woche auf 30 Zentimeter fallen. Dann können nicht einmal mehr flachgehende Binnenschiffe passieren, die Schifffahrt würde an dieser Stelle des Rheins wohl ganz zum Erliegen kommen. Zwar bringt der erwartete Regen Ende nächster Woche wohl etwas Entspannung, mit einem Ende des Niedrigwassers sei jedoch nicht zu rechnen.
Zukunftsprojektionen zeigten, dass sich die Situation in den kommenden Jahrzehnten durchaus zuspitzen könnte, sagt Jörg Belz, stellvertretender Leiter des Referats Hydrometrie und Gewässerliche Begutachtung beim BfG. "Niedrigwasserabflüsse an vielen wichtigen Rheinpegeln wie dem am Pegel Kaub könnten gegen Ende des 21. Jahrhunderts systematisch um 20 Prozent abnehmen und die Niedrigwasserdauern zunehmen. Dabei schlagen auch zurück gehende und schließlich ausbleibende Abflüsse aus den schmelzenden Alpengletschern zu Buche."
Die Binnenschifffahrt muss sich also anpassen. Das geschieht unter anderem bereits mit präziseren Prognosesystemen, die den Unternehmen mehr Sicherheit in ihrer Planung geben sollen. Aber auch die Bauweise der Schiffe wird sich ändern. "Wir haben aus dem Dürrejahr 2018 sofort Konsequenzen gezogen und rüsten seitdem unsere Flotte um", erzählt HGK-Sprecher Lorenz. "Alle Neuanschaffungen werden so konstruiert, dass sie weniger Tiefgang haben und bei niedrigen Wasserständen weiterhin fahren können."
Auch die Rufe nach Vertiefungen der Wasserstraßen werden immer lauter. So veröffentlichte der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) Anfang August einen "dringenden Appell an die Bundesregierung, die seit vielen Jahren überfällige Beseitigung der Engpässe im Wasserstraßennetz nun beschleunigt in Angriff zu nehmen". Zum Beispiel müsse die Fahrrinne im Mittelrhein dringend tiefer gebuddelt werden, ebenso der Niederrhein bei Duisburg.
Bereits jetzt beeinflussen die niedrigen Wasserstände das Ökosystem Fluss
Dabei stehen die Ökosysteme der Flüsse bereits jetzt unter hohem Druck. Fließt weniger Wasser, werden die Flüssigkeiten, die aus der Abwasseraufbereitung und Industrie einfließen, weniger verdünnt – die Schadstoffkonzentration steigt. Außerdem erwärmen sich Flüsse bei Niedrigwasser schneller und stärker, die Sauerstoffkonzentration nimmt ab. Algen und Cyanobakterien, sogenannte Blaualgen, vermehren sich. Ihre Blüten können auch für Menschen gefährlich potenziell gefährlich werden.
Andere Fluss- und Bachbewohner hingegen geraten durch die Wassertemperaturen unter enormen Stress. "Bei einer Temperaturzunahme um zehn Grad verdoppelt bis verdreifacht sich die Stoffwechselrate vieler wechselwarmer Tiere", sagt BfG-Experte Belz. "Fische können das Energiedefizit ihres Stoffwechsels dann häufig nicht mehr durch zusätzliche Nahrung ausgleichen – sie leiden unter Hungerstoffwechsel." Sind die Temperaturen dauerhaft erhöht, werden Arten, die an kaltes, sauerstoffreiches Wasser angepasst sind, in höhere Lagen der Gebirge zurückgedrängt. Die Ausbreitung von an warmes und sauerstoffarmes Wasser angepasste Arten hingegen werde begünstigt.