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GEO.de: Sie haben auf der Suche nach Antworten auf die Ernährungsfrage mit Akteuren in aller Welt gesprochen. Wer hat Sie am stärksten beeindruckt?
Valentin Thurn: Die Bäuerin Fanny aus Malawi, mit ihrem Stolz und der Erkenntnis, dass es im Leben auf Dinge ankommt, die viel weniger komplex sind, als man annehmen sollte. Etwa die Sicherheit, dass der eigene Acker genug zu essen hergibt, auch in Krisenzeiten.
Den Wachstumsforderungen der Agrarindustrie und den Wachstumsversprechen der grünen Gentechnik stehen Sie eher skeptisch gegenüber. Warum?
Wir produzieren heute schon genug für zehn Milliarden Menschen, werfen aber ein Drittel auf den Müll. Wichtiger als Wachstum ist, dass wir uns Gedanken machen über die Verteilung und Effizienz. Bei uns in Europa ist das Problem die fehlende Wertschätzung. In Entwicklungsländern geht es dagegen um fehlende Infrastruktur zwischen den Feldern und den Städten. Darauf sollte Entwicklungshilfe sich viel mehr konzentrieren. Denn der Schlüssel zur Welternährung sind die Kleinbauern; sie ernähren zwei Drittel der Menschheit.
Wie haben Sie Ihre Gentechnik-Protagonisten überhaupt vor die Kamera bekommen?
Bei Monsanto sind wir aufgelaufen. Wir wurden durchleuchtet, wir haben Vorgespräche geführt, ich bin hingereist - alles vergebens. Monsanto steht schon zu sehr in der Kritik. Dabei ging es mir gar nicht darum, sie zu dämonisieren. Die Leute von Bayer Crop Sciences dagegen hatten meinen Film "Taste the Waste" gesehen und wussten, dass ich zwar kritisch bin, aber die Konzerne nicht pauschal in die Pfanne haue. Sowas kann man machen, aber es bringt nicht weiter. Klar, der Wissenschaftler glaubt daran, dass die Gentechnik uns voranbringen wird. Ich wollte verstehen, warum er das glaubt. Um vor dem Hintergrund sagen zu können: "Ich glaube es trotzdem nicht."
Klingt ein bisschen pädagogisch ...
Er mag pädagogisch funktionieren, aber es ist eher Respekt vor dem Zuschauer, das Vertrauen darauf, dass er selber so viel Grips hat, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das größte Lob ist für mich ohnehin, wenn Zuschauer unterschiedlicher Weltanschauung aus dem Film rausgehen und jeder für sich etwas mitnehmen konnte.
Sie schreiben in einer Notiz zum Film, dass es ein Wachstum gibt, das Kleinbauern sogar schadet. Wie meinen Sie das?
Eine Landwirtschaft, die auf Wachstum ausgerichtet und stark weltmarktabhängig ist, macht uns leider krisenanfällig. Die Getreidepreise werden in Chicago und London gemacht. Und ein plötzlicher Preisanstieg, so wie 2008 und 2011, sorgt dafür, dass diejenigen, die selber produzieren, gegen Ende dieser Phase plötzlich vor Preisen stehen, die sie nicht bezahlen können. Und hungern müssen.
Apropos Wachstum: Was versprechen Sie sich von TTIP?
TTIP ist für mich in erster Linie ein Demokratieproblem. Ich sehe das durchaus kritisch. Andererseits frage ich mich, warum wir uns über die Amerikaner aufregen, die uns unter Umständen zwingen werden, Chlorhühnchen und Hormonfleisch zu essen. Das ist schlimm. Aber wir machen genau das Gleiche mit Afrika. Nur dass keiner darüber redet. Europa zwingt afrikanische Länder, ihre Grenzen zu öffnen für unsere hochsubventionierten Agrarprodukte. Damit machen wir die dortigen Bauern platt. Und nachher versucht die Entwicklungshilfe, das ein bisschen zu reparieren. Bei der Grundversorgung geht es um Leben oder Tod. Nahrung, das ist keine Ware wie jede andere. Aber wir behandeln sie so.
Nahrung ist keine Ware, Tiere erst recht nicht. Warum stammen nur ein Prozent des Fleischs auf unseren Tellern aus Bio-Produktion?
Die Schockbilder aus der Massentierhaltung hat jeder gesehen, aber so etwas verdrängt man nach ein paar Wochen. In unserer Gesellschaft läuft das Thema Wertschätzung stark über Preise. Die beste Lösung wäre vermutlich, man würde die ganzen Umweltschäden, die die Fleisch- und Milchproduktion mit sich bringt, einpreisen. Dann wäre die ökologische Landwirtschaft vermutlich billiger als die konventionelle. Und ein paar Sachen müssen auch schlicht und einfach verboten werden, zum Beispiel Schnäbelkürzen, Schwänze kupieren, Hörner abschneiden.
Sie machen nicht nur Filme über die Ernährungsproblematik, Sie tun auch was. Schon 2012 haben Sie foodsharing.de initiiert, eine Plattform, die die Essensverschwendung reduzieren soll. Ist seitdem Bewegung in das Thema gekommen?
Die EU-Kommission hat zwar gute Pläne in der Schublade, verfolgt das Thema aber nicht weiter. Das finde ich sehr enttäuschend. Ein gutes Konzept haben nur die Engländer. Aus gutem Grund, denn sie haben so lange geschlampt, bis die Müllkippen randvoll waren. Also haben sie an der Quelle angesetzt und es als einziges Land in der EU geschafft, den Trend zu immer mehr Lebensmittel-Müll umzukehren – minus 20 Prozent beim Verbraucher.
Macht Ihnen das Hoffnung?
Es gibt inzwischen eine breite Bewegung. Von vielen kleinen Startups über die großen Caterer, die täglich hunderttausende Mittagessen ausliefern, bis hin zum Weltkonzern Unilever, der sich des Themas angenommen hat. Ob aus Imagegründen, oder um wirklich Wareneinsatz zu sparen, sei mal dahingestellt. Aber es hat sich auf breiter Front was getan. Nur: Wenn wir das Problem grundsätzlich angehen wollen, kommen wir um eine andere staatliche Rahmensetzung nicht herum. Das können noch so viele wohlgemeinte Initiativen nicht leisten.
Aktuell sind Sie dabei, einen Ernährungsrat zu gründen. Was ist das?
Auf die Idee gekommen sind wir durch die Arbeit an der Plattform "Taste of Heimat", einem Online-Führer durch den Dschungel der regionalen Angebote. Unter unseren Mitstreitern sind auch viele Landwirte, aber selbst die kannten nur einen Bruchteil der Akteure in unserer eigenen Stadt, in Köln. Das hat uns positiv überrascht - und uns war klar: Die müssen wir vernetzen. Unser Ziel ist jetzt unter anderem ein Ernährungsrat der Stadt Köln, nach dem Vorbild der Food Policy Councils in den USA. Die haben etwas geschafft, was auch für Deutschland eine schöne Sache wäre, nämlich Ernährungspolitik wieder auf eine kommunale Ebene herunterzuholen. So könnte ein Gremium entstehen, das als Teil der Stadtverwaltung alles unterstützt, was die Lebensmittelproduktion in den Nahbereich holt.
Bis es so weit ist - haben Sie einen Tipp für den "richtigen" Einkauf?
Lebensmittel "korrekt" einzukaufen ist kompliziert geworden, denken Sie nur an den ökologischen Fußabdruck. Da könnte man über jeden Einkauf eine Doktorarbeit schreiben. Das Einfachste ist, selbst zu schauen, wo man Lebensmittel aus der Region bekommt, am besten aus biologischem Anbau. Die Faustregel sollte sein "bio, regional, saisonal".
Die Plattform "Taste of Heimat" für Nahrungsmittel aus der Region