GEO.de: Herr Professor Dr. Voolstra, Sie fordern ein Menschenrecht auf den Schutz von Korallen. Das müssen Sie erklären!
Christian Voolstra: Gerade in den Küstenregionen des Globalen Südens ist die Existenz von Millionen von Menschen von gesunden, fischreichen Korallenriffen abhängig. Wenn man den Menschen das Recht auf Arbeit, Nahrung, Gesundheit und sauberes Wasser zugesteht, dann muss man auch anerkennen, dass für all das in manchen Gegenden der Welt gesunde Korallenriffe die Voraussetzung sind.
Der beste Korallenschutz ist ein effektiver Klimaschutz. Was könnte ein Menschenrecht auf Korallenschutz bringen?
Es gibt schon heute ganz gute lokale Gesetze zum Schutz von Korallen. Das Problem ist die Implementierung, die Durchsetzung. Hier wäre ein übergeordnetes Menschenrecht hilfreich, einklagbar vor einer internationalen Gerichtsbarkeit, zum Beispiel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Natürlich führt kein Weg daran vorbei, dass wir die Klimagas-Emissionen reduzieren. Aber man kann auch andersherum argumentieren: Wenn der Schutz von Korallen erst als Menschenrecht verankert ist, dann könnte das ein weiterer Hebel für mehr Klimaschutz sein.
Gibt es Beispiele?
Es gibt das Beispiel der Torres-Strait-Insulaner. Das Inselvolk argumentiert, Australien unternehme zu wenig gegen den Klimawandel, während das Ansteigen des Meeresspiegels, Starkregen und Stürme ihre Häuser und Ernten zerstören und den Menschen die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben entziehen. Das Gericht gab ihnen recht.

Ich selbst forsche relativ viel im Korallendreieck zwischen Malaysia, den Philippinen und Indonesien. Mit Kollegen und Kolleginnen arbeite ich daran, zusammen mit der Bevölkerung einer kleinen indonesischen Insel einen weiteren Präzedenzfall zu schaffen – mit dem Fokus auf dem Recht auf gesunde Korallen.
Wie soll der Schutz auf lokaler Ebene realisiert werden, wenn doch die Wassertemperaturen weltweit steigen und die Ozeanversauerung voranschreitet?
Viele Maßnahmen haben mit dem Klimawandel zunächst einmal nichts zu tun, können aber seine Auswirkungen abmildern: Abwässer müssen in Schach gehalten werden und destruktive Fischereimethoden, wie zum Beispiel das Dynamitfischen, aber auch generell das Überfischen, müssen verboten werden. Zudem braucht es Schutzzonen, in denen sich der Fischreichtum erholen kann. Und dann gibt es natürlich noch die Möglichkeit der aktiven Wiederherstellung von Korallenriffen, vorzugsweise mit temperaturtoleranten Korallen, sogenannten Superkorallen, auch wenn der Ausdruck in der Wissenschaft umstritten ist. Solche X-Men oder X-Women unter den Korallen, wie ich sie nenne, könnten einen Temperaturanstieg von immerhin ein bis zwei Grad Celsius überstehen.
Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten 90 Prozent aller Korallen verschwunden sein. Was macht sie zuversichtlich, dass ein Menschenrecht auf gesunde Korallen "funktioniert"?
Die Verknüpfung von Wohlergehen der Natur und der Gesundheit der Menschen geht uns alle an. Und es gibt Beispiele, die Mut machen, etwa die erste erfolgreiche Klimaklage von Schweizer Seniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Ja, es ist in den Riffen schon viel kaputt, aber den Kopf in den Sand zu stecken, bringt nichts. Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Oder eine Koralle …
Genau. Das ist doch eine gute Haltung. Und es ist ja wirklich so, dass man nie weiß, wie die Geschichte weitergeht.